Die Wahrheit: Das Schweigegelübde von Gomera

Ein Urlaubseremit wird bekehrt. Durch die einzige Kraft, die einen Mann von der großen Stille abbringen kann: die Liebe zu den Sardinen.

Andere wollen im Urlaub reden, ich schweige. Ich will dann auch niemanden kennenlernen. Früher war ich einmal im Jahr auf Gomera, inmitten des wuseligen Valle Gran Rei, ein erfolgreicher Eremit. Mehr als ein tageszeitgemäßes „hola“ oder „buenas tardes“ gab es nicht von mir. Andere gehen zum Schweigen ins Kloster, ich reiste auf die Insel ins Valle. Ich stieg still hinauf zu den obersten Häusern von Calera und ging höchstens mal herunter zum Strand, zu den Trommlern, die allabendlich die Sonne verabschieden.

Aber dann kam sie. Ich saß im Descantillo und aß zu Abend, ein Buch vor mir und hob nur kurz den Blick, als sie das Restaurant betrat. Sie schaute sich um und setzte sich mit dem Rücken zu mir. Ich wusste sofort: Wenn du diese Frau nicht ansprichst, hast du in deinem Leben etwas verpasst. Heute, acht Jahre später, gibt mir jeder gemeinsame Tag Recht.

Das Ansprechen war allerdings kompliziert. Sie saß mit dem Rücken zu mir, ich konnte nicht einmal Blickkontakt aufnehmen. Mich überkam leichte Panik: Und wenn sie nun zahlte und ging? Ich stand auf, und die einzige Frage, die mir auf den zehn Schritten zu ihr einfiel, betraf ausgerechnet einen kanarische Karnevalsritus: „Entschuldigen Sie bitte, wissen Sie, warum hier zum Ende des Karnevals eine Sardine verbrannt wird?“

Eine Sardinenfrage! Darauf muss man erst einmal kommen! Sie wusste es nicht, wollte aber auch nicht recht mit mir reden, wie ich ihr von Alleinreisendem zu Alleinreisender freundlich anbot, auch wenn ich eilig den Zusatz anfügte: „Soll jetzt keinen Anmache sein!“ Der Rest ist eine fast kitschige Liebesgeschichte, mit Liebesgedicht und allem Drum und Dran! Warum die Sardine verbrannt wird, weiß ich bis heute nicht, kenne aber inzwischen vier Theorien.

Mein Leben auf der Insel hat sich seither radikal verändert. Ich muss nun alljährlich mein Schweigegelübde brechen. Es gibt Freunde von ihr, die warten auf uns und unser Kommen. Da kann ich nicht stumm bleiben – und auch nicht mehr stillsitzen. Ich muss jetzt wandern, denn sie wandert exzessiv. Sie hatte, schon bevor sie mich kannte, hier diverse Freundschaften geschlossen mit Wanderern und Residenten, mit denen man sich dann am Abend wieder trifft. Die einst so wunderbar stumme Insel lärmt nun vor sich hin, selbst der Wald ist nicht mehr leise.

Geschwiegen wird nur noch, wenn abends im „El Palmar“ Gloria mit Marcial auftritt. Gloria ist die Helene Fischer der Insel. Wir sind verabredet mit zwei sehr lebendigen, karnevalerprobten Krefelderinnen. Wir bestellen vier mal Gran Duque D’Alba – in Gläsern mit dem Fassungsvermögen eines Wischeimers, aber zum Preis eines deutschen Doppelkorns. Und endlich: Schweigen. Bis zum Schlusslied. Gloria haucht ein letztes „Para La Gomera“ hin. Beinahe wie Helene Fischer. Riesenapplaus. Und noch mal vier Eimer von der großen Ente. Dann wieder Schweigen …

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kari

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