Die Wahrheit: Hass-Amseln am Morgen

Tierwelt mal anders: Eine dringend notwendige Verteidigung der im Sommer mitunter arg strapaziösen Singvögel.

Ein Feld, aus dem sich eine Amsel erhebt.

Eine Amsel erhebt ihre Schwingen über einem Mohnfeld Foto: ap

Amseln können wunderschön singen. Wenn man jemals eine Nachtigall hörte, könnte man sie glatt mit ihnen vergleichen. Die Amselmänner sitzen auf Lampen, Zaunpfählen, Dachfirsten und Mülltonnen, im Fachjargon „Singwarten“ genannt, locken dort das andere Geschlecht und zeigen dem eigenen mit ihrem Reviergesang, wo der Amselhammer hängt.

Amseln sind Hemerophile. Das meint: Freunde der Kultur. Sie lieben unsere menschliche Kulturlandschaft und sind uns daher aus den Wäldern in die Städte und Gärten gefolgt und eifern uns in der Kultur des Singens (Schubert, Grönemeyer) nach. Auch aus Dankbarkeit für den zur Verfügung gestellten Lebensraum wollen sie etwas zurückgeben, singen from dawn till dusk und stürzen sich danach gierig auf die Maden, die aus den Biotonnen quillen und bei über vierzig Grad auch nicht mehr so schnell wegkrabbeln können. Etliche Klimawandelverniedlicher sind der Überzeugung, die gestiegenen Temperaturen wären locker in der Lage, das Vogelsterben allein durch die Mehrproduktion an Mülltonnenmaden zu stoppen, denn letztlich hilft sich die Natur ja immer selbst. Nun ja.

Zurück zur Amsel. Turdus merula oder die Schwarzdrossel singt also von März bis Juli versiert und kulturbeflissen, aber geht auch durchaus mit der Zeit. Denn obwohl sie in Strophen mit Motivteil und einem zwitschernden Anhängsel trällert, was damit der Struktur deutschen Liedguts entspricht, ist sie auch ein guter Jazzer, kombiniert bis zu dreißig Motive, von denen maximal fünf als individuelle Lieblingsmotive erkannt werden können – zum Beispiel: Monk’sche dissonante Sekunden wegen zu kleinem Schnabel oder Miles Davis’sche kokain­induzierte Modalität wegen Sichelzellenanämie.

Aber die Amsel ist noch viel zeitgenössischer, sie battelt auch mit Nachbaramselmännchen (Kontergesang) und karikiert Meisen, Spechte und das Martinshorn der Rettungsfahrzeuge (Söhne Mannheims). Das ist Klasse und mehr, als was man gemeinhin erwartet von einem Vogel in freier Natur.

Die mobbende Amsel

Möwen hassen noch sehr viel intensiver als Amseln. Sie erbrechen sich auf ihre Opfer

Nun gibt es aber auch Unerfreuliches zu berichten von Turdus merula, und eines der allerschlimmsten Stichwörter des 21. Jahrhunderts steht leider ganz unmittelbar im Zusammenhang mit ihrem Verhalten: das Mobbing. Ornithologen sprechen in Bezug auf deutsche Amseln ganz offen von „hassen“. Amseln hassen dauernd und regulär. Das äußert sich durch laute Alarmrufe und Scheinangriffe, mit denen sie potenzielle Feinde vertreiben und ihre Mitamseln vor diesen warnen wollen.

Bei Wikipedia heißt es: „Besonders intensiv hassen Vögel während der Brutsaison. Hassende Vögel gehen nur selten das Risiko ein, selbst zum Opfer zu werden, da sie meist im Verband hassen und der Eindringling genau beobachtet wird.“ Gemeinschaftlich gehasst wird mittels Tixen und Zetern. Dabei handelt es sich um das genaue Gegenteil zum herrlichen, wohlklingenden Gesang. Man kennt es, dieses schrille, scharfe djück-djück-djück-djück-djück-djück …

Zielscheibe des Hasses sind meist Katzen, die mit zuckenden Schwänzen um die Nester schleichen und im Sturzflug von den Amseln gehasst werden. Hier setzt jetzt ein gewisses Verständnis fürs Hassen ein: Erstens sind Amseln nicht die Schlimmsten. Möwen hassen viel intensiver – sie erbrechen sich auf die Opfer. Wacholderdrosseln spritzen Kot. Zweitens müssen Amseln tixen. Nur mit Mühe finden sie geeignete heimische Hecken für ihre Brut, denn am rein dekorativen Kirschlorbeer hält kein Nest, und sowieso fehlt die Insektenbegleitfauna. Da ist es schwer, überhaupt geeigneten Wohnraum außerhalb der Reichweite von Katzen zu finden. Zudem stehen sie ständig unter Balzdruck, denn sie führen nur Saisonehen, mehrere hintereinander womöglich. Kein Wunder, dass sie sich Gemeinschaftsschlafplätze suchen.

Immer dieser Nahrungsbeschaffungsdruck

Da kommt eins zum anderen, und es ist nicht verwunderlich, dass sich bei dieser fast unvermeidlichen Ausbildung einer Parallelgesellschaft der Hass immer mehr verbreitet: stundenlange, unerträgliche, nervtötende Zetereien rund um die Uhr vom ersten Sonnenstrahl bis zum letzten. Man kann sich nur wundern, wie die Amseln das selbst aushalten, diesen Stress, diese Lautstärke und eben diesen Hass, übrigens eines der unschönsten Gefühle, wenn man die vogelige Wirkung bedenkt.

Die Tiere stehen außerdem unter einem ganz anderen Nahrungsbeschaffungsdruck als die fetten Hauskatzen, denen meist schlecht ist von ihrem Bio-Thunfisch-Parfait und die nur noch aus Langeweile töten. Ein Zeichen der politischen Vernunft wäre es, wenn sich die Bundesumweltministerin bequemen würde, umgehend aus dem Urlaub zurückzukehren, alle Beteiligten durch gute Worte zu beruhigen und für die sofortige Pflanzung von heimischen Gehölzen wie Weißdorn, Schlehe und Berberitze zu sorgen.

Vielleicht haben die Klimawandelverniedlicher doch recht und man kann den Ausfall größerer Ökosysteme tatsächlich mit kleinen, aber wirksamen Interventionen wie dem Öffnen des Deckels der Biotonne, durch den Kauf von upgecycelten Eierkartons oder dem Eindämmen des Hasses mittels guter Worte ausgleichen. Was soll man sonst tun? Etwa Katzen verbieten? Das würden die Wähler nicht mitmachen. Mindestens achtzig Prozent aller Single-Frauen besitzen mindestens eine Katze.

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kari

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