Die Wahrheit: Künstliche Dummheit de luxe

Wenn Robbi 5 die Kurve nicht kriegt. Ein neu entwickelter Pflegeroboter versagt auftragsgemäß bei der Altenpflege im Versuchsheim.

Illustration: ein Mann auf der Couch, eine Frau dahinter, auf dem Boden ein von einem Mähroboter aufgeschlitzter Hund

Illustration: Michael Holtschulte

Upsi!“, Robbi 5 hat die Kurve zu Zimmer 18 etwas eng genommen. Aber Robbi 5 lacht nur etwas blechern und saugt mit seinem Zeigefinger den abgebröckelten Putz von der Stulle, die er Frau Böhring zum Abendbrot bringen soll. „Schlurp“, ist auch die Scheibe Cervelatwurst mit eingesaugt. Aber Frau Böhring lacht bloß über das kleine Malheur ihres elektronischen Freunds und Helfers.

„Ja, der Robbi 5 ist ein bisschen ungeschickt“, erläutert uns Dr. Franja Wells das Verhalten ihres Schützlings. Sie ist Gerontokybernetikerin am Deutschen Institut für Künstliche Intelligenz und leitet das Versuchspflegeheim „Haus Zukunftsblick“ unweit von Berlin. Hier werden in der Altenpflege alltagstaugliche Roboter eingesetzt, in deren neuester Generation auch Künstliche Dummheit implementiert ist. An der Entwicklung der Robbi-Serie hat Dr. Wells maßgeblich mitgewirkt. Und Pflegekraft Robbi ist tatsächlich künstlich dumm.

„KI macht uns Menschen Angst“, erläutert Wells den Ansatz von KD. „Sie ist zu perfekt. Menschen, die keine Fehler machen, finden wir unheimlich. Wir nennen sie ‚Maschinen‘.“ Das heiße im Umkehrschluss: „Wollen wir mit intelligenten Maschinen erfolgreich zusammenleben, müssen diese fehlbar sein und lernen, individuell zu versagen. Und das bringen wir ihnen bei!“, frohlockt Dr. Wells und schwärmt vom volkswirtschaftlichen Nutzen der KD: „Seien wir ehrlich: Die Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz sind beschränkt. Künstliche Dummheit ist dagegen universell einsetzbar, weil sie den Menschen wirklich zu 100 Prozent ersetzen kann!“

Frau Böhring isst inzwischen ihr Butterbrot ohne Belag. Sie winkt Robbi 5 zum Abschied nach, als dieser den Raum verlässt. Der Roboter verabschiedet sich ausgesprochen höflich: „Auf Wiedersehen, Herr Schmidt.“ Seine Stimme klingt leicht blechern und erinnert uns an deutsche Bahnhofsdurchsagen, als wolle er gleich den „ICE 884 von Hauptbahnhof nach Zug-endet-hier“ ankündigen.

Die beliebteste Pflegekraft

„Das soll auch so sein, niemand soll vergessen, dass er eine Maschine vor sich hat“, erklärt Dr. Wells. „Aber die Künstliche Dummheit war der entscheidende Schritt zur Akzeptanz in der Palliativ- und Gerontorobotik.“ Erst seit KD-Routinen in Pflegealgorithmen integriert wurden, laufe die Station. „Robbi 5 ist bei allen hier die beliebteste Pflegekraft!“

Also haben Roboter des Robbi-Typs einprogrammierte Bugs? Franja Wells schüttelt energisch den Kopf: „Ein Roboter ist doch kein Windows-Rechner! Es geht auch nicht um geplante Obsoleszenz wie bei einem Toaster. Nein, alle Roboter hier haben sich ihre Fehler selbst beigebracht!“

Dr. Franja Wells, Gerontokybernetikerin

„Künstliche Dummheit ist universell einsetzbar, weil sie den Menschen wirklich zu 100 Prozent ersetzen kann!“

Stolz berichtet sie von einem Robbi-Prototyp, der spontan begonnen hatte, zwischen 19.40 Uhr und 20.15 Uhr auf keine Patientennotrufe zu reagieren, weil er da lieber „GZSZ“ schaute. Dr. Wells jubelt: „Das war ein Meilenstein der Künstlichen Dummheit!“

Genau hier setzt die Kritik an der KD an. Marvin Flock vom Bundesverband Pflege befürchtet eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung. Eine geheim gehaltene Studie des Gesundheitsministeriums hätte unlängst errechnet, dass eine zu 100 Prozent perfekte Pflege durch künstlich intelligente Roboter die Pflegeversicherung innerhalb kürzester Zeit kollabieren ließe. „Und tatsächlich haben die Pflegekassen die Entwicklung der Künstlichen Dummheit massiv gefördert“, protestiert Flock. „Das kann doch kein Zufall sein!“

Wir halten die Augen offen. Robbi 5 ist mittlerweile in Zimmer 21 angekommen. Dort liegt Manfred Runkel, bettlägerig, seit man ihm seine Raucherbeine abgenommen hat. „Heee Blechbüxe, willste mir ma wieder den ollen Arsch abputzen?!“, begrüßt er den Pflegeroboter. Runkel gilt als der renitenteste Patient der Station. Eine Herausforderung für jede Pflegekraft. Doch Robbi 5 schlägt sich wacker. „Sehr wohl, Herr Runkel“, sagt er freundlich und macht sich ans Werk. Seine Handgriffe beim Wechseln der Erwachsenenwindel wirken alles andere als ungeschickt. Wie findet es Herr Runkel, von einem Roboter gepflegt zu werden?

„Na, jeht schon. Natürlich würd ick lieba von na vollbusigen Pflegeschülerin jeflecht werdn“, tut er kund. „Aber andererseits kriech isch eh keen mehr hoch, wa. Und besser als ne Schwatte isset allemal. Dann lieber so’n Elektro-Nescher.“

„Das sagt man nicht, Herr Runkel“, wendet Robbi 5 ein.

„Ich kann dit so oft sagen, wie ick will, Blechbüxe! Ham doch keene Jefühle diese Robotnix!“, zetert Runkel und wirft etwas Grießbrei nach der künstlichen Pflegekraft. „Die kann ick beleidigen, so oft ick will. Is den doch völlich wumpe.“

„Wenn Sie das noch mal zu mir sagen, kriegen Sie morgen kein Frühstück, Frau Böhring“, erläutert der Pflegeroboter und verlässt grußlos den Raum. Wieder trifft Robbi 5 die Tür nicht. Diesmal fährt er direkt durch die Wand.

Beschwerden über Fehlverhalten

Gibt es Behandlungsfehler durch die KD-Roboter? Dr. Wells verneint: „Die meisten Patienten hier sind in verschiedenen Stadien dement. Beschwerden über Fehlverhalten der Roboter haben wir noch nicht vernommen. Jedenfalls keine, die sich verifizieren ließen.“

Wir verbringen auch die Nacht auf der Station. Zu dieser Zeit ist sie komplett in Hand der Pflegeroboter. Alles geht seinen gemächlichen Gang. Die Robbis begleiten alte Herrschaften zur Toilette, wechseln Bettlaken und verwechseln Medikamente.

Ein leises „Upsi“ lässt uns gegen zwei Uhr aufhorchen. Robbi 5 hat wieder die Kurve zu einem Zimmer zu eng genommen. Geschickt hebt der Pflegeroboter ein dickes Kopfkissen auf, das ihm bei der Kollision entglitten ist. Er fasst es fest mit beiden Greifarmen und rollt lautlos ins Zimmer 21 von Herrn Runkel.

Kurz darauf sehen wir die Notlampe über der Tür hektisch aufleuchten. Aber Robbi 7 von der Nachtschicht streamt gerade „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Dann sehen wir Robbi 5 wieder auf dem Korridor. „Upsi“, sagt er und legt das mit Speichel beschmierte Kopfkissen akkurat in den Schmutz­wäsche­container. Herr Runkel wird ihn nicht mehr beleidigen.

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