Die Wahrheit: Im Ossi-Himmel brennt noch Licht

Die DDR gab es nie. Sie wurde im Kalten Krieg vom Westberliner Springer Verlag erfunden. Inklusive der Anführungszeichen.

Ein Cartoon. Ein Mann, der Gurken isst, hinter Gittern, daran ein Schild mit der Aufschrift DDR.

Illustration: Burkh

Der Osten ist eine westdeutsche Erfindung“, behauptet Dietmar Kaukas, Denkmalschützer für historische Flur- und Randstücke, in seinem Büro an der Polytechnischen Spreewald Universität Spremberg, erntet aber bloß demonstratives Desinteresse bei der angereisten Journaille aus dem Westen. Einer der Journalisten blättert ungeniert in einer Minigolfzeitschrift und der andere gibt Ratschläge zum konservatorischen Umgang mit der Lausitzmetropole: „Abreißen die Scheiße!“

In den Osten gereist sind wir Pressevertreter der freien Welt – das soll zur Wahrung qualitätsjournalistischer Premiumstandards nicht unerwähnt bleiben – nur wegen der Buschzulage von 30 Cent und der vagen Hoffnung, ein paar protestierende Reichsbürger an der B96 bei der Paarung filmen zu können. Für solche Bilder zahlen Agenturen zweistellige Beträge, wenn man die Nazi-Tattoos gut lesen kann. Stattdessen hören wir uns wieder das übliche Gejaule vom übermächtigen Westen an.

Der Niederlausitzer Heimat- und Bodenpfleger Kaukas steht mit seiner Meinung nicht alleine auf der ostdeutschen Taiga. Seit Monaten führt der Leipziger Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann die Bestsellerliste mit derselben These an. In seinem Buch „Der Osten – Eine westdeutsche Erfindung“ werden ostdeutsche Schrecklichkeiten von Nazikameradschaft bis Würzfleisch dem Westen angekreidet, bloß weil der nach der Wende ein paar ausgebrannte Führungsruinen wie Kurt Biedenkopf und etliche Aushilfshitler von Michael Kühnen bis Björn Höcke in die Zone entsorgt hat. Dabei wurde westdeutscher Giftmüll schon immer in die DDR exportiert, ohne dass sich die werktätigen Massen beklagt hätten.

Denen ging es dort nämlich gold, erfuhren wir erst unlängst wieder. Die Historikerin Katja Hoyer trauert in ihrem Buch „Diesseits der Mauer“ einem urgemütlichem Arbeiter- und Bummelstaat nach, der keiner dissidenten Fliege etwas zu Leide tun konnte. Die gebürtigere Gubenerin muss sich heute als Fellow der Royal Historical Society am britischen King’s College durchschlagen, statt ihr Lebensglück im Chemiefaserkombinat ihrer Heimat finden zu dürfen.

Sogar der eine Nette von Rammstein, der seit Wikingerzeiten „Flake“ genannt wird, erzählt immer wieder, wie gechillt es im Sozialismus zuging, bis der grausame Kapitalismus ihn zwang, so richtig Asche zu machen. Immerhin Till Lindemanns Tastenmann wird in Zukunft anderes zu erklären haben.

Errungenschaften der Zivilisation für die arme mangelhafte DDR

Alle diese Klagen unterschlagen gemein die zivilisatorischen Errungenschaften der Wiedervereinigung. Nicht nur Gebrauchtwagen und Gelichter wurden massenhaft zur Treuhand-Bonanza in den Osten verschifft, auch lang gehegte Bekleidungswünsche wurden erfüllt. Die Deutsche Demokratische Republik hätte es nie aus eigener Kraft geschafft, das Land flächendeckend mit Bomberjacken zu versorgen, und mangels Ausrüstung hätten die Baseballschlägerjahre ohne Westimporte gar nicht stattfinden können.

„Sie verstehen mich falsch“, unterbricht der Ostdeutsche. „Ich meine das wörtlich: Der Osten ist eine westdeutsche Erfindung. Es hat ihn nie gegeben.“ Dietmar Kaukas zieht eine zerknitterte Flurkarte aus einer Schublade und zieht mit dem Finger die Grenzen der DDR nach. „Das hat Ende der Fünfziger alles der alte Springer gekauft. Der hat auch die Mauer gebaut. Die DDR war Privatbesitz, genau wie Belgisch-Kongo. Deswegen musste sie in Anführungszeichen geschrieben werden.“

Kaukas präsentiert ein weiteres Papier, eine vergilbte Papierserviette mit dem kyrillischen Schriftzug des Moskauer „Hotel National“. „Das ist der Kaufvertrag, Chruschtschow hat den ganzen Laden 1958 an Axel Cäsar Springer verkloppt, als der gerade in Moskau war. Natürlich wurde auch dieses Zusatzprotokoll geheim gehalten.“

Das Dokument sieht fast so echt aus wie die Hitler-Tagebücher, aber man kann nicht vorsichtig genug sein. Investigativ riechen wir an der Serviette, sofort steigt uns sowjetischer Kommunalka-Muff in die Nase. Ausgerechnet der kalte Krieger Axel Springer hat also die DDR gekauft. „Warum hat er das getan?“, fragen wir entsetzt.

„Warum hat Elon Musk Twitter gekauft? Weil er es kann. Weil große Männer große Hobbys brauchen“, hören wir zur Antwort. „Springer hat seine Zone wie eine Modelleisenbahnanlage benutzt. Da macht es ja auch am meisten Spaß, Züge zum Entgleisen zu bringen. Übrigens hat sich später auch Franz-Josef Strauß mit einem Milliardenkredit in den Hobbykeller eingekauft.“

„Bestimmt hat Springer fieberhaft auf die Wiedervereinigung hingearbeitet, keinesfalls wollte er ein Unrechtsregime unterhalten“, wenden wir ein, aber Kaukas kichert bloß.

„Ach was, sein geliebtes ‚Drüben‘ konnte ihm gar nicht deprimierend und grau genug sein. Immer wollte Springer noch mehr Stalinismus wagen, bis es sogar einem Betonkopf wie Ulbricht zu viel wurde. Da hat er diesen Saarländer angeheuert.“

Der Denkmalpfleger legt einen weiteren Beweis vor, eine Autogrammkarte Erich Honeckers, die ihn am Strand von Hiddensee zeigt, versehen mit der Widmung: „Ave Cäsar, Urlaubsgrüße aus der Bikini-Zone, Dein Honni.“

Von der Stasi heimlich betriebene Kaderschmiede des Boulevards

Wenn sogar der Staatsratsvorsitzende nur ein bezahlter Statist war, ist alles denkbar. „Die Stasi war eine Kaderschmiede für Boulevardjournalisten“, bestätigt der Heimatforscher schlimmste Befürchtungen. „Da haben Nachwuchskräfte der Bild-Zeitung gelernt, belastendes Material zu sammeln und Leute unter Druck zu setzen.“ Das immerhin klingt plausibel. „Aber Havemann, Biermann und die anderen verfolgten Oppositionellen …“

„Das waren meist zahlende Gäste“, winkt Kaukas ab, „die drüben den Helden spielen oder ihre Karrieren ankurbeln wollten. Was glauben Sie, warum die meisten Dissidenten in den Westen abgeschoben wurden, sobald sie einigermaßen bekannt waren? Wolf Biermann zum Beispiel war ein unbedeutender Liedermacher, der zuvor erfolglos durch die Folkclubs Ostwestfalens getingelt ist.“

Uns schwirrt der Kopf. Der Boden unter uns schwankt, und das liegt nicht nur am Pfefferminzlikör, den Kaukas ständig nachschenkt. „Aber dann kam ja zum Glück die Wiedervereinigung. Und nun ist alles gut.“

„Wie man’s nimmt. Auch Springers Nachfolger wollen sich profilieren. Aber für ein eigenes Raumfahrtprojekt ist Mathias Döpfner zu arm, und Twitter gehört ja schon Elon Musk, bleibt nur der alte Sandkasten vom Seniorchef. ‚Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten‘, hat er neulich irgendwo postuliert. Und Kommunismus wurde im märkischen Sand schon durchgespielt, da bleibt eigentlich nur eine Alternative für Ostdeutschland.“

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