Die Wahrheit: Das endgültige Ende aller Staus
Gerade in der Urlaubszeit werden Autofahrer von maroden Baustellen und bröckelnden Bauwerken behindert. Dabei gäbe es eine seit langem geheime Lösung.
Hamburg, A 1, Norderelbbrücke. Wer hier zurzeit im Berufsverkehr strandet, braucht starke Nerven. Nur zwei Spuren frei, zäh fließender Verkehr, zig verlorene Minuten. Und das schon seit Monaten. Doch alle wissen: es kommt schlimmer. Die Brücke ist marode bis zur völligen Erschöpfung. Und ein Neubau wird Jahre dauern. Mit Dauerbaustelle, endlosen Staus und Milliardenkosten.
Dass es auch anders ginge, wissen bisher nur wenige. Dabei wurde die Alternative in Deutschland erfunden. Von einem Mann, den kaum jemand kennt: Moshe Hentschel, Ingenieur aus Bielefeld, Jahrgang 1927. Ein Tüftler, der Anfang der siebziger Jahre eine epochale Erfindung machte: die Baustelle ohne Bauzeit.
Das Verfahren bestach durch seine Schlichtheit. Hentschel erklärte es mit einem Bild aus der Zahnmedizin. „Ein Zahn ist kaputt“, schrieb er dem zuständigen Patentamt, „er muss raus. Aber der Patient verlässt die Praxis nicht mit einer Lücke. Er bekommt ein Provisorium. Während im Labor das Implantat gefertigt wird, kann er problemlos weiterkauen.“
Genau so stelle er sich den Straßenbau der Zukunft vor: „Ein verschlissener Abschnitt wird durch ein Provisorium ersetzt, eine Art Ersatzstraße, die sofort befahrbar ist.“ Währenddessen entstände in riesigen Fertigungshallen das neue Stück Straße oder Brücke. Sobald fertig, würde es mittels stählerner Plattformen, die von Kettenfahrzeugen bewegt werden, und vor Ort dann mit Unterstützung atombetriebener Zeppeline eingepasst, schnell und präzise. Und niemand hat währenddessen im Stau gestanden.
Patent im Tresor
Doch die baustellenbrechende Erfindung kam nie zum Einsatz. 1972 wurde Hentschels Patent auf persönliche Anweisung von Verkehrsminister Georg Leber (SPD) in einem Tresor seiner Behörde begraben. Offiziell hieß es, die Sache sei nicht wirtschaftlich umzusetzen. Tatsächlich hatte die deutsche Straßenbaubranche Druck gemacht. Allen voran die Baustellen betreibende Industrie, deren Geschäftsmodell ja auf möglichst langen Bauzeiten beruht.
Bis heute, so berichten Insider, liegen Hentschels Unterlagen unter Verschluss, inzwischen angeblich in einem muffigen Stauraum der Autobahn GmbH. Und das, obwohl der technologische Fortschritt das Verfahren jetzt ohne Weiteres realisierbar machte. 3-D-Druck, KI-gestützte Umsetzung, modulare Fertigung, batteriebetriebene Lastenräder – alles Tools, die es heute ermöglichen würden, Hentschels Traum ins Werk zu setzen.
Stattdessen wird gebaut wie immer: Spuren verengt, Brücken gesperrt, Umleitungen ausgeschildert. Autofahrer zählen nicht mehr ihre gefahrenen Kilometer, sondern die verlorenen Lebensstunden. Auf der A 1 in Hamburg genauso wie auf der A 3 bei Leverkusen, der Berliner Elsenbrücke und zahllosen weiteren Baustellen der Republik. Doch statt eine geniale Lösung endlich zu nutzen, klammert man sich an alte Strukturen, ewige Bauzeiten, jahrzehntelang verschleppte Aufträge. Deutschland, einst das Land der Dichter und Denker – inzwischen nur noch das der Dauerbaustellen.
Geld im Ausland
Dass Dauerdeutschland damit weltweit ins Hintertreffen gerät, ist inzwischen mehr als offensichtlich. Aus China hört man von kühnen Talbrücken, die in wenigen Tagen neu errichtet werden. Besonders bitter ist der Vergleich mit jenem berühmten Radweg in Peru, der hierzulande zum Symbol wurde. Finanziert aus deutscher Entwicklungshilfe wurde er zum angeblichen Paradebeispiel für verschwendetes Geld im Ausland, während zu Hause die Autobahnen verfaulen. Dass die peruanischen Radler während der Bauzeit nicht eine Minute warten mussten, wirkt auf hiesige Kfzler wie ein Hohn: „Wir stehen im Stau, aber die Peruaner radeln fröhlich ihrer Wege. Die der deutsche Autofahrer bezahlt hat.“ Man hört die AfD-Werte quasi durch die Asphaltdecke gehen.
Die Autofahrerverbände fordern dringend die Herausgabe von Hentschels Plänen, der ADAC spricht offen von einem Skandal. Immer mehr Kfzler, die täglich zwischen Behelfsspuren und Absperrvorrichtungen gefangen sind, wollen sich nicht länger anhören müssen, dass es keine Alternative gibt. Denn sie wissen: Es gibt sie. Sie liegt nur seit 50 Jahren in den Schubladen der deutschen Baustellen-Mafia.
Am Ende bleibt ein Bild, das fast schon zu symbolisch ist, um wahr zu sein: Vor der Norderelbbrücke steht ein Auto im Stau – mit Bielefelder Kennzeichen. Sein Fahrer sitzt auf der Leitplanke und raucht. Hätte „Die Baustelle ohne Bauzeit“ vor 50 Jahren eine Chance bekommen, müsste dieser Bielefelder heute dort nicht sitzen und warten.
Der Bielefelder aber, der den Stau in Deutschland für immer hätte abschaffen können, wurde von skrupellosen Lobbyisten kaltgestellt. Moshe Hentschel verfiel in Verbitterung. 1988 starb er, fast vergessen, in seiner Geburtsstadt.
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