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Die WahrheitWeltflucht in den Kicheranfall

Immer mehr junge Leute verfallen dem Lachgas. Ein Verbot durch die Behörden steht unmittelbar bevor und ist nicht mehr aufzuhalten.

Die prallen Ballons, aus denen die gefährlichen Giggelträume kommen: gemeines Lachgas Foto: dpa

Wer in diesen herbstlichen Tagen an einer beliebigen weiterführenden Schule vorbeigeht, hört sie schon von Weitem keckern und prusten: die Schülerinnen und Schüler von heute. Sie feixen, schnauben und wiehern, als könne keine Zukunftssorge ihre gute Laune trüben. Anscheinend freuen sich die jungen Leute ihres Daseins, leben ganz im Moment und lassen den lieben Gott einen schmunzelnden Mann sein.

Wer genauer hinhört, wird jedoch der dissonanten Töne zwischen den Glucksern gewahr. Die Jugendlichen lachen nicht frei von der Leber weg und aus dem Bauch heraus wie einst, wenn sie unbeschwert herumalberten. Sie tun dies aktuell unter dem Einfluss der chemischen Substanz, die sie sich zielgerichtet verabreichen. Sie lachen ohne Wärme und Gemeinsinn. Es ist ein hohles, ein künstliches, gezwungenes Lachen! Es verdankt sich dem Konsum von Lachgas.

Das erheiternde Gas war früher als Narkosemittel gebräuchlich und wird heute in der Konditorszene genutzt, um Sahne aufzuschäumen. Bedenkliche Wunder bewirkt es allerdings erst in inhalierter Form. Mit seiner Hilfe nämlich gelingt es den niedergeschlagenen jungen Leuten, endlich wieder einmal lauthals aufzukichern, vor Vergnügen auf dem Flur zu rollen, sich restlos auszuschütten, nicht mehr einzukriegen und gegebenenfalls kaputtzulachen.

Inmitten der mannigfaltigen Krisen dieser Zeit und angesichts einer unsicheren Zukunft zeitigt dies ungewohnte Effekte. „Seit ich in jeder Pause ein oder zwei Ballons ballere, gehe ich wieder gern zur Schule“, sagt zum Beispiel Timeh (15) selbstbewusst. „Das Gas ist eine Partydroge, die Schule wird endlich wieder unsere Party“, erklärt uns die Gymnasiastin ihre Generation: „Wir haben ja sonst nichts zu lachen!“

Leichte Zugänglichkeit

Als Sprecherin der Kölner Vorstadtlinksjugend lobt sie vor allem die leichte Zugänglichkeit an Büdchen und in Supermärkten. „200 Ballons für 70 Euro – da kann man nicht meckern, hihi, beziehungsweise natürlich doch!“, meckert sie nach einem Zug am Sahnespender los und verschluckt sich an ihren eigenen Lachtränen.

Solche artifiziellen Lachanfälle, wie sie auf Partys und auf Klassenfahrten, auf Spielplätzen und in Hinterhöfen täglich millionenfach herbeigekitzelt werden, sind derzeit noch legal. Doch wie lange noch? Besorgte Stimmen in der Gesellschaft warnen bereits vor einer Epidemie, die auf uns zurollt wie eine Woge von dröhnendem Gelächter. Machen sich die Jugendlichen lustig über unsere Ahnungslosigkeit? Werden wir von ihnen ausgelacht?

Grund genug dazu hätten sie. Denn die jungen Leute wollen tatsächlich nur noch lachen, vernachlässigen alle anderen Pflichten. Sie begasen sich rücksichtslos von morgens bis abends, wenden dazu hin und wieder sogar den Blick vom Handy! Im Stadtbild macht sich das an proppenvollen Mülleimern bemerkbar, an den zerstörten Rasenflächen und Gehwegen, die vollgestopft und übersät sind mit leeren Ballons, Kapseln und Kartuschen.

Nicht nur dagegen regt sich inzwischen empörter Widerstand. Anwohnerbeschwerden reichen von konstanter Lärmbelästigung über leidige Entsorgungsprobleme bis zur Infektionsgefahr – Angst macht vor allem das ansteckende Lachen!

Doch Abhilfe ist auf dem Weg. Dr. Friedhelm Furst von der CDU-Mittelstandsvereinigung möchte den allgemeinen gesellschaftlichen Unmut nutzen, um ein Verbot durchzusetzen. „Abgesehen von den gesundheitlichen Risiken meinen wir vor allem: Die jungen Leute sollen nicht so viel lachen, es nutzt der Wirtschaft nichts, außer, okay, der Lachgaswirtschaft.“

Die Sorge ist nur allzu berechtigt, Lachgas mit der chemischen Formel Distickstoffmonoxid wird aus den Discountgasen Stickstoff und Sauerstoff hergestellt und bringt am Markt kaum Rendite. Es ist, im Gegenteil, pissbillig und überall verfügbar, außer in unionsregierten Gegenden, wo Sahnetorten demnächst verboten sind, wie Dr. Furst vorsorglich betont.

Grundsätzlich, sagt der Unionspolitiker ernst, habe man nichts gegen das Lachen und verstehe die Nöte der Jugend durchaus. „Gegen Lachen nach getaner Arbeit oder zünftiges Lachen am Wirtshaustisch sagt niemand etwas“, räumt er ein. „Aber künstlich erzeugtes Lachen auf Kosten der Allgemeinheit gehört nicht zu dem Deutschland, das ich mir wünsche und die Wirtschaft braucht.“

Berechtigte Panik

Auch Elternverbände, Polizeigewerkschaften und die Deutsche Heilpraktikergesellschaft schüren die berechtigte Panik und unterstützen die Forderung nach einem Verbot. „Wir können uns nicht leisten, dass aus der jungen Generation eine Generation von Lachsäcken auf gegenderten Sitzsäcken wird“, sagt Peer Huestowic vom Deutschen Sportbund. „Sie sollen lieber stolz an Boxsäcken lernen, sich gegen internationale Konkurrenz durchzusetzen – mit der nackten Faust, nicht mit der Sahnekapsel.“

Eine Allianz aus Wissenschaft und Sozialarbeit springt hingegen in die Bresche für die geplagte Jugend, die in den Lockdowns das Lachen verlernt habe. Die Experten warnen vor unsinnigem Aktivismus, schnöden Ablenkungsmanövern und billigen Appellen an niederste Instinkte, werden sich damit jedoch in der gegenwärtigen Öffentlichkeit nicht durchsetzen können.

Stattdessen werden nun irgendwelche Jugendlichen vor die Kameras gezerrt und dürfen sich vergeblich über autoritäre, entmündigende Politiker und repressive Tendenzen ausflennen. Tatsache ist: Die Union hat die Verbotsregelungen längst in der Schublade liegen, weil sie Verbotsregelungen für praktisch alles bereits in der Schublade liegen hat.

„Wir müssen endlich ein Bewusstsein für die gesundheitlichen Risiken schaffen“, erklärt daher Dr. Furst. „Irgendwann lacht sich noch mal einer tot. Dann nützt er der Wirtschaft nichts! Außer, natürlich, der Bestattungswirtschaft.“

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3 Kommentare

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  • Ich roll mich ab



    Rein prophylaktisch...

  • Um das hier lustig zu finden, bräuchte ich auch erstmal einen Ballon. Finde das Thema tatsächlich zu ernst für so eine Polemik.

  • Gottseidank - mit einem Verbot ist das Problem dann endlich vom Tisch!



    Narrhallamarsch!!!!