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Die WahrheitFünfmal am Tag Tod und Verderben​

Der Wahrheit-Wehrrapport: Zu Besuch in Deutschlands einziger Schule für Krisen- und Kriegsvorsorge​.

Wehrhaftes Unterrichtsmittel: Labubus saugen im Notfall bis zu 300 Milliliter Blut auf Foto: reuters

„Präsentieeeert das … Lineal!“, „Reeeechts um!“, „Stillgesessen!“. Was klingt wie eine normale Schulstunde in den 1940er Jahren, ist eine normale Schulstunde in den 2020er Jahren. „Zumindest hier bei uns“, erklärt Schulleiter Sebastian Thoma stolz und eher bullig von Statur, während er seine Schützlinge noch ein paar Runden um den Chemietisch drehen lässt. „Mitkommen, Kursbegehung“, befiehlt er uns ansatzlos weiter. Und auf die noch immer laufenden Schüler zeigend: „Die sind bis zum Essenfassen beschäftigt.“

Wir folgen Thomas lockerem Stechschritt durch die Gänge der Von-Schirach-Realschule im mittelfränkischen Ansbach. Die wirkt auf den ersten Blick wie eine ganz normale unterfinanzierte Schule, wie es sie überall in Deutschland gibt – hingen an den Wänden des in die Jahre gekommenen Zweckbaus nicht statt Goethe und Pestalozzi berühmte Erst- und Krisenhelfer wie Florence Nightingale (Krankenpflege), Trump beim Papprollenwerfen (Wiederaufbau) oder Dietrich Bonhoeffer (Faschismus).

Sein Konzept der „Wehrsportschule im Wandel“ hatte Thoma der bayerischen Landesregierung bereits zu Beginn des Ukrainekrieges als Pilot-, Pionier- und Panzerprojekt unterbreitet. Damals war er auf offene Ohren vorgestoßen. Hauptschüler seien zu dumm zum Drohnenfliegen und die Gymnasiasten brauche man noch für die Nachkriegsordnung, da eigne sich eine Realschule perfekt, habe man ihm hinter vorgehaltener Handfeuerwaffe im Kultusministerium gesteckt, so Thoma.

„Nun gibt es hier eben in Ansbach das Wehrpflichtfach Krise. Betonung auf Wehr. Und auf Pflichtfach.“ Als Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) dann forderte, dass Krisenvorsorge und mögliche Kriegsgefahren in Schulen thematisiert werden müssen, war das an der „Von Schirach“ längst kein konservativer Sicherheitsfetisch mehr, sondern Realität.

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„Jetzt aber genug von diesem weibischen Geschwätz“, drängt uns Thoma plötzlich von unserem vormittäglichen Gewaltmarsch in den Kurs „San for Fun“. San steht kurz für Sanitätsdienst. „Der Kurs“, erklärt uns Thoma, unfähig zu flüstern in beinah normaler Lautstärke, „wird von einer unqualifizierten Inhalteerstellerin geleitet, um die Schüler in ihrer Lebensrealität abzuholen.“ Dass er damit nicht ganz unrecht hat, wird schnell klar: „Sooo, und was machen wir bei Knochenbrüchen?“ fragt die ganz in Y2K-Couture gekleidete Content Creatorin die im Stuhlkreis versammelte Klasse. Ein hochgeschossener Junge, von dem wir später erfahren, dass er in der Jugendfeuerwehr ist, meldet sich: „Die Blutung stillen und den Krankenwagen rufen?“ – „Gar nicht so schlecht. Und danach?“ Der Schüler überlegt, weiß aber nicht weiter. „Ein kurzes Video drehen, um Aufmerksamkeit für das Thema offene Brüche zu generieren. Und natürlich einen Gutscheincode für Omega 3 zustecken.“

Der abgerissene Armstumpf eines Dummies wird mit Axe Deo kauterisiert.

Verständiges Nicken. Für den praktischen Teil verteilen sich die Schüler nun an verschiedenen Stationen: Während einige den von einem umgefallenen Windrad abgerissenen Armstumpf eines Dummies mit Axe Deo kauterisieren – der konservative Einfluss auf den Lehrplan ist hier unverkennbar –, kümmern sich andere mit Räucherstäbchen und Dankbarkeitstagebuch um die Mental Health fiktiver Flutopfer. Und sie lernen, dass ein Labubu im Notfall bis zu 300 Milliliter Blut aufsaugen kann und wie sie anhand der „Checkst du?“-Regel Puls und Atmung Bewusstloser überprüfen.

„So, als Nächstes steht ‚Mensch gegen Natur‘ auf dem Plan“, zieht uns Thoma da auch schon rabiat weiter. „Den leite ich selbst.“ Ansatzlos betritt er den Raum gleich nebenan: „Nun, Kameraden“, begrüßt Thoma die bereits in Flecktarn bereitstehende achte Klasse. „Was macht ihr, wenn ein Flüchtling … ähh, Wolf auf euch zukommt?“ Alle Hände schnellen nach oben. „Du da, Drechsler!“ Drechsler, wie aus der Pistole geschossen: „Dann ist es zu spät! Ich hätte den Wolf schon beim Grenzübertritt entnehmen sollen!“ – „Clever, Drechsler. Jetzt kommt der Flüchtling … ach, Wolf natürlich, aber mit einem Messer auf dich zu! Ja, Geißler!“ Geißler: „Ich baue mit meinen Fäusten eine Messerverbotszone auf, um so vom eigentlichen Problem, dem Wolf, abzulenken!“ – „Exzellenter Seitenhieb auf die politische Großwetterlage, Geißler! Und jetzt: Nahkampfausbildung!“

Während die Schüler der 8a wild übereinander herfallen, gehen wir mit Thoma auf den Schulhof, wo sich Oberstufenschüler in ihrer Pause auf gemütlichen Liegen unter aufgespannten Sonnenschirmen an Südfrüchten „Made in Bavaria“ laben. Die konservative Landesregierung scheint auch hier ein Wörtchen mitgeredet zu haben – was Thoma nur recht ist. „Hier sehen Sie: ‚Überleben im Klimawandel‘“, lacht Thoma und legt sich selbst mit einer Piña Colada auf eine freie Liege.

Als wir uns moralisch erschöpft gerade dazulegen wollen, zieht uns ein älterer Schüler unauffällig zur Seite. „Ihr habt noch gar nichts gesehen, kommt mit – kostet aber Vapes: drei Elf Bars!“, fordert er uns flüsternd auf. Im selben Moment ist er schon hinter einer Ecke verschwunden.

Wir folgen dem unausweichlichen Krisenschulprofiteur in den Keller der Penne, wo Freiwillige aus der 10. Klasse gerade vom Bio-Lehrer in Erweiterten Verhörmethoden geschult werden. „Blenden mit Overheadprojektor“, „Waterboarding mit Flutwein“, „Elektroschocks bei Stromausfall“ können wir an den Stationen noch lesen, bevor wir den Raum schnell wieder verlassen.

Draußen fängt uns Schulleiter Sebastian Thoma ab. „Na, haben Sie ein bisschen zu tief gebohrt?“, lacht er uns wölfisch zu und lässt genüsslich seine Knöchel knacken: „Achtung! Wir bilden hier auch in Krisenkommunikation aus“.

Überhaupt seien sie hier an der Von-Schirach-Realschule Kritik gewohnt. „Die“ – er spuckt bei jeder Silbe einmal aus – „Pazifisten“ hätten ihm von Anfang an vorgeworfen, Panik zu machen und die Militarisierung der Gesellschaft voranzutreiben. „‚Schule muss ein Schutzraum bleiben‘, haben sie gesagt und …“, Thoma öffnet eine schwere Stahltür, die nur außen einen Griff hat, „tada, hier ist unser Luftschutzbunker. Schauen Sie doch mal rein!“.

Wir ergreifen die Flucht, raus aus der Von-Schirach-Realschule und zurück auf den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Zurzeit ist das auch noch in Ansbach drin.

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