Die Wahrheit: Und jetzt kommt Stalin

Im Jahr des Drachen: Vor vielen Jahren wollte der Autor und Filmemacher Alexander Kluge für das Kulturmagazin „10 vor 11“ ein Porträt des Satireheftchens Titanic drehen.

Personen auf dem Bild (von links nach rechts): Moderatorin Wang Ge, Dolmetscher (auf der Leinwand), Alexander Kluge (auf der Leinwand), Wang Hui. Bild: Christian Y. Schmidt

Vor vielen Jahren wollte der Autor und Filmemacher Alexander Kluge für das Kulturmagazin „10 vor 11“ ein Porträt des Satireheftchens Titanic drehen. Dazu lud er Achim Greser, Hans Zippert und mich in seine Wohnung nach München ein, wo er uns vor laufender Kamera intensive Fragen stellte. Außerdem überredete er uns mit hypnotischer Stimme, Dinge zu tun, die wir gar nicht tun wollten. Mich zum Beispiel lockte er in den Schneideraum und ließ dort einen Porno laufen, der, wie er sagte, Mitte der dreißiger Jahre in Paris von Emigranten gedreht worden sei. Ich sollte den Film ganz spontan aus dem Off kommentieren.

Ich konnte gar nicht anders als geheißen. Und weil ich wusste, was Kluge von mir erwartete, sagte ich an der Stelle, an der ein gehörnter Ehemann in eine wilde Vögelszene platzt: „Und jetzt kommt Stalin.“ Kluge war außer sich vor Glück. Später gingen wir noch zusammen sehr viel Bier trinken, und so wurde es ein wirklich wunderbares Zusammentreffen.

Allein aus diesem Grund musste ich dabei sein, als das hiesige Goethe-Institut am vorvorigen Samstag zum großen Kluge-Marathon einlud. Erst sollte, nur von kurzen Pausen unterbrochen, Kluges neuneinhalbstündige Kapital-„Verfilmung“ mit dem Titel „Nachrichten aus der ideologischen Antike“ gezeigt werden. Danach würde via Internet-Video-Schalte Kluge persönlich mit dem Soziologen Wang Hui und dem Publikum diskutieren.

Ich fand mich also morgens um halb zehn Uhr zusammen mit etwa 150 Chinesen in der Hochschule der Künste ein und kämpfte mich bis acht Uhr abends durch Kluges langatmiges Assoziationsgeblaster. Und auch wenn zwischendurch immer wieder Zuschauer aufgaben – speziell das Interview mit Durs Grünbein trieb sie hinaus –, hatten mit mir am Ende etwa 30 bis 40 Eisenharte durchgehalten. Dafür erwartete ich vom Goethe-Institut mindestens ein T-Shirt mit der Aufschrift: „I survived ’Nachrichten aus der ideologischen Antike‘“. Doch nichts gab’s, nicht einmal eine Anstecknadel.

Noch größer war meine Empörung, als bei der anschließenden Internet-Live-Diskussion vor allem prominente Diskutanten Kluge erzählten, sie stünden immer noch unter dem Bann des „eigenwilligen Films“, da sie den ganzen Tag im Kinosaal ausgeharrt hätten. Tatsächlich aber waren sie erst kurz vor Beginn der Diskussion gekommen. An dieser Stelle hätte ich Kluge gern aufgeklärt. Doch dann wollte ich ihm den Spaß nicht verderben. Und den hatte der Achtzigjährige zweifellos. Er erzählte eine antikapitalistische Anekdote nach der anderen und betonte immer wieder, wie großartig es sei, dass „wir über achttausend Kilometer, als Menschen, die sich vorher nicht kannten, so miteinander sprechen“.

So wurde es doch noch ein schöner Abend. Ganz so schön wie damals in München aber war er nicht. Ich vermisste einerseits den Porno, andererseits das Biertrinken danach. Könnte nicht mal einer ein Bierinternet erfinden, mit Bierleitungen rund um den Globus? Erst dann wären Internet-Video-Talks wie diese absolut perfekt.

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kari

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