Die Wohnserie (VI): Fredos zukünftige Goldgrube

Die Bewohner der Überseestadt wollen keine Yuppies sein, die im Luxus-Ghetto wohnen. Sie betrachten sich als "Pioniere"

Innen herrscht Hotelatmosphäre, außen genießen Leonard-Vincent und sein Vater den spektakulären Ausblick Bild: Michael Bahlo

„Die Überseestadt darf keine Yuppie-Oase werden!“, las Paul-Alexander Völcker im März in der Bild-Zeitung – und war sauer. Auf Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen, der das gesagt haben soll. „Ich bin kein Yuppie“, sagt Völcker, der seit Oktober 2010 in der Überseestadt lebt – ganz hinten im „Landmark-Tower“. Rund 70 Menschen wohnen hier in 53 Mietwohnungen, die zwischen zehn und 15 Euro pro Quadratmeter kosten – wenn man die 12 bis 48 Quadratmeter großen Balkone mitzählt. Keine Yuppies, sondern „Pioniere“ seien sie, sagt Völcker. Weil damals in der Gegend kaum etwas anderes gestanden habe als das Hochhaus.

Noch heute fährt man an riesigen Brachen vorbei, bis zur Konsul-Smidt-Straße 90. Ein Restaurant gibt es dort und einen Bäcker. Wer etwas anderes braucht, kann es am Fuß des Towers in „Fredo’s Shop & More“ versuchen. Der Kioskinhaber hat das im Sortiment, was seine Kunden nachgefragt haben. Chorizo-Wurst, Fleckentferner für Möbel, Kondome, Kaffeefilter, Katzenfutter, Tütensuppen und was man sonst so gebrauchen kann. Das Zeitschriftenregal ist übersichtlich. „Ich bestell nur, was auch gekauft wird“, erklärt der Mann hinterm Tresen, der in der Zeitung Fredo heißen möchte. Die FAZ verkauft er, die Bild, einige bunte Blätter sowie die Diät-Zeitschrift Eat Smarter und das Urlaubsmagazin Land und Meer mit Sylt-Special zum Herausnehmen.

Auch seine Öffnungszeiten hat Fredo an die Nachfrage angepasst. Von 6 bis 17 Uhr hat er jetzt geöffnet, sonntags gar nicht und samstags nur von 7.30 Uhr bis 13 Uhr. Auf Vorbestellung gibt es Brötchen, denn der Bäcker hat samstags mangels Kundschaft wieder geschlossen. Auch für ihn lohne sich das Geschäft nicht, sagt Fredo, dafür sei zu wenig los.

Der Endfünfziger ist seit 2010 Kioskbesitzer, seitdem es sein Betrieb nach 30 Jahren „mal ohne ihn probieren wollte“, wie er es formuliert. Jetzt hofft er, dass er noch zwei Jahre in der Überseestadt durchhalten kann. Dann nämlich, glaubt er, „ist das hier eine Goldgrube“.

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Fredo ist ein Pionier, auch wenn er sich nicht so nennt und wenn es für ihn eine ganz andere Bedeutung hat als für die Bewohner des Stadtteils. Die Yuppies. Ausgerechnet Völcker, der keiner sein will, ist einer. Jedenfalls dem Wortsinn nach: Mit 35 ist er „young“ genug, als gebürtiger Frankfurter, der in München und Berlin gearbeitet hat, sehr „urban“ und „professional“ – was sich mit „hoch qualifiziertem Berufstätigen“ übersetzen lässt – passt auch. Der Hotelfachmann und Betriebswirt führt die Geschäfte der stadtteileigenen Restaurant-Kette River Hudson Gastronomie GmbH, die vier Lokale in der Überseestadt betreibt, ein fünftes wird bald eröffnet. Viele Gäste, hat Völcker bemerkt, kommen von weit her, aus dem Umland oder aus Horn-Lehe.

Welche Restaurants in Bremen gut laufen hat er nach vier Jahren in der Stadt herausgefunden – mithilfe von Nicole Ciara, seiner Frau. Sie ist Bremerin und arbeitet seit langem in der Gastronomie, heute als Angestellte ihres Mannes. Warum der sich so über Böhrnsens Yuppie-Spruch ärgerte, musste er ihr erklären. Der Begriff ist so 80er, er sagte der 32-Jährigen nichts. Das etwas neuere Wort „Dinky“ schon eher, aber das trifft auf das Paar nicht zu. „Double Income“ ja, aber nicht „no kids“. Sie sind eingezogen, als Nicole Ciara mit dem heute 16 Monate alten Leonard-Vincent schwanger war. Er war der Grund, eine neue Wohnung zu suchen, die Überseestadt bot sich wegen der Nähe von Arbeits- und Wohnort an.

Kein Problem war es, einen Platz in der privaten Kita zu bekommen, am anderen Ende der zwei Kilometer langen Straße. Zwei Kleinkindgruppen gibt es dort, für eine dritte fehlten die Anmeldungen. Vielleicht liegt’s an den Preisen: 30 Wochenstunden kosten 355 Euro. Wenn der Arbeitgeber seinen Anteil nicht übernimmt, werden weitere 330 Euro fällig. „Nicht alle Eltern“, sagt eine Mitarbeiterin der Krippe, „wohnen oder arbeiten in der Überseestadt.“

Dabei ist Leonard-Vincent nicht das einzige Kind im Landmark-Tower. Über ihm wohnt eine Zweijährige und auch in den Eigentumswohnungen in den Nachbarhäusern sollen Familien leben. Doch auf der Straße ist nichts von ihnen zu sehen. Hemden tragende Männer und Frauen eilen zum Mittagstisch, genauso, wie es im Werbefilm für die Überseestadt zu sehen ist, der nonstop in der Lobby des Towers läuft. Hier sitzt ab 20 Uhr ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes. Wer einen Ausweis für die nicht öffentliche „Sky Bar“ ganz oben in der 20. Etage hat, darf an ihm vorbei.

„Man muss sich nichts vormachen“, sagt Nicole Ciara, „wer hier in der ersten Reihe am Wasser wohnt, der muss sich die Preise leisten können.“ 1.450 Euro zahlen die beiden für ihre 110 Quadratmeter große Dreizimmer-Wohnung im vierten Stock. Für 2.300 Euro wird derzeit eine 156 Quadratmeter große Wohnung neben der „Sky Bar“ angeboten.

Dabei ist schon der Blick aus Völckers und Ciaras Wohnung spektakulär. Wer sich fragt, warum sie in diesem unfertigen, homogenen und am Reißbrett entstandenen Stadtteil wohnen, bekommt die Antwort spätestens auf dem Balkon, der sich an den zwei voll verglasten Außenseiten der Wohnung entlangzieht. Zu Füßen liegt die Weser, auf der anderen Flussseite geht der Blick über das grüne Rablinghausen, dahinter die Neustädter Häfen.

Bei diesem Ausblick braucht es keine Bilder mehr, fand Nicole Ciara. Die Wohnung hat sie sparsam eingerichtet, auf dem Esstisch steht ein Pflanzen-Arrangement. Dass hier auch ein Kind lebt, ist am Bobbycar – ein Modell von BMW – zu erkennen. Und am Kinderwagen vor der Wohnung. Der und die Fußmatte der Nachbarn – „Ich will zurück nach Sylt“ geben dem langen dunklen Gang etwas Persönliches. „An den Luxus eines Hotels“ will der Bauherr mit dem Design erinnern, heißt es auf dessen Homepage.

Anonym und einsam sei es im Turm aber nicht, sagt Paul-Alexander Völcker. „Wir haben hier mehr Kontakt zu unseren Nachbarn als früher.“ Dennoch wollen sie nicht ewig hier wohnen bleiben. Wenn das Kind größer wird, soll es in einem Garten spielen. Und der, findet das Paar, muss nicht in der Überseestadt liegen.

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