Die erste Olympiawoche: Wie war ich?

Wladimir Putin hat die besten Winterspiele aller Zeiten versprochen. Das Sotschi-Team der taz zieht eine Zwischenbilanz.

Die Olympia-Veranstaltung sollte ein Überflieger werden. Bild: dpa

Göttliche Ironie – Das sind die schönsten Sommerspiele der Geschichte. Genauso wie es der liebe Gott seinen beiden Schäfchen Wladimir Putin und Thomas Bach versprochen hatte: Sommer, Sonne, Sonnenbrand, gute Laune. Ach, Moment, die beiden Wölfchen im Wollmantel hatten Winterspiele bestellt. Gott scheint Humor zu haben. (JÜK)

Der Kaiser in Sotschi – Es läuft alles glatt in Sotschi. Franz Beckenbauer, der das olympische Rodelrennen vor Ort begutachtete, wird es bestätigen: Alles bestens. Keine Spur von Menschenrechtsverletzungen und Korruption am Eiskanal. Es ist wie damals in Katar, als er keinen einzigen Sklaven sah.

Der Sport hat mit Beginn der Spiele erwartungsgemäß die Regie übernommen und fördert die Kunst des selektiven Sehens. Anrührende Erfolgsmärchen und Erzählungen vom melodramatischen Favoritensterben füllen die TV-Programme zur Gänze. Olympische Spiele funktionieren scheinbar wirklich überall. (JOK)

Im Betonkorsett – Die Msymta war ein herrlicher Fluss. Von den Höhen des Kaukasus schlängelte sie sich durch malerische Schluchten hinunter ins Tal. Den Fluss gibt es noch immer. Herrlich ist er nicht mehr. Mal wird er in ein enges Betonkorsett gedrängt, mal ist sein Ufer zementiert, um einer Autobahn und und einer Bahntrasse hinauf zum Skiresort Rosa Chutor ein stabiles Fundament zu bieten. Und oft sieht man die Msymta gar nicht, weil die Straßen direkt über dem Flussbett verlaufen. Olympia braucht die Berge als Sportgerät, als Naturereignis werden sie nicht wahrgenommen. Selten war der Sport so zerstörerisch. (ARUE)

Die Spitzel-Show – Entgegen vielen Befürchtungen, die Spiele sind sicher. Dafür sorgen mehr als 5.000 Überwachungskameras, zehntausende Milizionäre, die immer und überall genau zuhören, und personalisierte Internetzugänge. Mit ein bisschen mehr Kreativität wären ganz neue olympische Disziplinen denkbar gewesen: „Sotschi 2014 – Was denken Journalisten wirklich?“, „Sotschi sucht den Dusch-Gesang-Superstar“ oder „Wie loyal bist du?“. Stattdessen Tristesse. Für die Fußballweltmeisterschaft 2018 bleibt für Wladimir Putin also noch viel zu tun. (ASCH)

Exklusives Olympia – Unten am Meer sind die Hallen fast immer voll. Nur wenige Sitze bleiben frei. Wenn Russen an den Start gehen, wird selbst in der Curling-Halle Rabatz gemacht. Die Fanzonen sind nicht so gut besucht. Kleinere sind manchmal total verwaist. Dann wird Kalinka vor vier Leuten getanzt. Dafür ist abends die „Medal Plaza“ voll.

Olympia bleibt freilich für viele Russen ein exklusives Erlebnis, das gilt insbesondere für das hybride Bergdorf Krasnaja Poljana. Anreise und Karten sind teuer. Und in Sotschi ist Olympia oft viel weiter weg als jene 50 Kilometer Luftlinie zum Olympiazentrum im Iremetinischen Tal. Alteingesessenen bleiben die künstlichen Spiele fremd. (MV)

Deutsche Planwirtschaft – Wenn der Blick auf den Medaillenspiegel eines verrät, dann die kalte deutsche Effektivität. Zehn Medaillen reichen dem überwiegend bayerischen Olympiateam aus, um sich im Logenplatz des Erfolges zu suhlen, den sieben Goldenen sei Dank.

Da können sich andere Nationen mit ihren Dutzenden Bronzemedaillen noch so abstrampeln. Allein viermal siegten die deutschen Rodler aus Georg Hackls Trainingsgruppe „Sonnenschein“. Über 3 Millionen Euro an jährlichen Subventionen für den Bob- und Schlittenverband machen sich also bezahlt. Das DDR-System der Förderung medaillenträchtiger Sportarten lebt in Reinform weiter. Der Plan ist erfüllt. (EPE)

Locker, lässig, lebensmüde – Unter dem sommerlich blauen Himmel von Sotschi segeln Ski-Freestyler und Snowboarder wie menschliche Propeller durch die Luft. Auf ihrem Weg ins Tal springen sie von überdimensionierten Schanzen und landen mal vorwärts, mal rückwärts im Steilhang, als wenn es nichts Leichteres gäbe.

Die überwiegend gerade der Pubertät entwachsenen Athleten gehen Risiken ein, die mit dem Attribut „lebensmüde“ trefflich beschrieben sind. Und das schweißt zusammen: Die Atmosphäre unter den Konkurrenten wirkt so herzlich wie in keiner anderen Sportart. Welch eine Bereicherung für Olympia. (MAT)

Blöder Fußball – Was für eine schlechte Versorgung aus Sotschi, die uns die öffentlich-rechtlichen Sender antun. ARD und ZDF strahlen zwar den ganzen Stoff aus Sotschi aus. Aber wo bleibt das Kümmern um Berufstätige, vor allem die vielen Frauen? Nach der „Tagesschau“ gab es neulich dennoch Bilder aus Sotschi, Eiskönigin Katarina Witt saß dabei, es gab ein wenig Paarlauf zu sehen. Dann sagte der Moderator: Jetzt schalten wir um zum Fußball.

Witt erwiderte: Aber warum das denn – Fußball gibt es das ganze Jahr, jetzt ist Olympia. Was für ein egalitäres, unprovinzielles Bewusstsein: Olympia für wichtiger zu halten als irgendeinen Kick. Was nicht vom eigentlichen Problem ablenken sollte: ARD und ZDF senden keine Primetime-Zusammenfassungen. Publikumsfeindlich! (VRI)

Magische Momente – Routinierte Olympiafans warten nur darauf: Diese magischen Momente, wenn AthletInnen über sich hinauswachsen. Carina Vogt gewann Gold im Skispringen, als erste Frau überhaupt. Die Zweite, Daniela Iraschko-Stolz, war jedoch noch eine Spur glücklicher: Was sie bei der Siegerinnenehrung zeigte, berührte, weil ihr Erfolg ein besonders persönlicher war.

Sie hatte nach langer Verletzungspause den weitesten Sprung stehen können. Sie ist in ihrem Land eine Heldin der queeren Szene, offen lesbisch und politisch sehr wach. Sie strahlte auf der Medal Plaza unter ihrer Pudelmütze: zum Mitweinen schön. Und last, but noch least, wenn es um „Pipi aus den Augen“ (Erik Lesser, Silbergewinner Biathlon) geht: Tränen lügen doch nicht! (JAF)

Reuige Rassistin – Eiskunstläuferin Irina Rodnina ist eine Ikone. Dreimal Gold hintereinander und zehn Weltmeisterschaften. Bei der Eröffnungsfeier durfte die flammende Patriotin und Dumaabgeordnete denn auch das Olympische Feuer entfachen. Ihr Kampfplatz ist mittlerweile nicht mehr auf dem Eis, sondern an der US-Front.

Im Herbst hatte sie die Obamas auf eine Banane starrend getwittert und sich mit Meinungsfreiheit herausgeredet. Diese Woche nun zeigte sie Reue. Rassismus unterstütze sie in keiner Form. Ihr Account sei damals gehackt worden, das Bild stamme nicht von ihr. Irina verdiente ihr Vermögen in den USA. Tochter Aliona blieb gleich dort. Russlands Elite ist sportlich, der Spagat zwischen Ost und West kein Problem. Familie und Vermögen sind beim Feind in besserer Hand. (KHD)

Missglückter Regenbogen Männerhosen mit Blumenmuster. Oder Karos. Oder in Nationalfarben. Auf der Straße würde das norwegische Curlingteam belächelt werden, in Sotschi sind sie die coolsten Kerle der Eishalle. Schon 2010 in Vancouver kamen wilde Muster zum Einsatz, auf Facebook haben die Beinkleider der Norweger über 550.000 Fans.

Die Norweger setzen ein modisches Statement, deshalb sind sie toll. Statementlos dagegen sind die missglückten Regenbogenanzüge der Deutschen Olympiamannschaft, die sich auf ihrer Facebookseite als „bunte Republik Deutschland“ betitelt. Diese Aussage ist – nicht nur auf der Straße – zu belächeln. (SB)

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