piwik no script img

Die letzten Züge der EMSchluss mit Schweiz!

Alina Schwermer
Kolumne
von Alina Schwermer

Drama, Sprachenvielfalt und Anonymität bleiben von der EM in Erinnerung. Der Abschied aus Superreichen-Land-Schweiz fällt nicht schwer.

Schweizer Fans auf dem Weg ins Stadion von Bern Foto: Thomas Hodel/Keystone/dpa

D ie EM geht ihrem Ende entgegen. Viel zu schnell, habe ich das Gefühl. Bin ich nicht gerade erst angekommen? Turniere haben einen unerbittlichen Arbeitsrhythmus, sie fliegen vorbei. Und diese unfassbar spektakuläre EM mit ihren dramatischen Wendungen ist besonders schnell gerauscht. Es war das dramaturgisch wahrscheinlich schönste Turnier, das ich live sehen durfte. Jeder einzelne Abend war unglaublich. Andererseits war all diese Dramatik auch erschöpfend. Irgendwann wollte ich nicht noch ein Last-Minute-Tor gegen ein Team erleben, mit dem ich litt.

Frauenturniere sind gute Turniere

Und die Schweiz? Sie war als Gastgeberin das Gegenteil, nämlich verdammt unspektakulär. Falls Sie noch nicht da waren: Es ist wie Deutschland, nur reicher und alles funktioniert. Oder vielleicht nicht ganz alles, wie die vielen Wohnungslosen bezeugen. Kein einziger kritischer Text über den Gastgeber Schweiz ist mir in der Zeit untergekommen. Frauenturniere sind gute Turniere. Aber Staaten üben nicht nur Gewalt aus, wenn sie Hände ab­hacken. Wie viel weitreichendere Gewalt übt ein Staat für Superreiche aus, mit Steuerverstecken für CEOs und Diktatoren weltweit? Wie brutal ist dieses Horten von Mitteln?

Doch systemische Gewalt zählt nichts, denn dann müssten wir übers System reden. Ich konnte mir nicht leisten, viel Zeit in der Schweiz zu verbringen. Es ist kein Staat für Menschen aus semipräkeren Verhältnissen, ich wohnte auf der französischen Seite. Von Schwei­ze­r:in­nen weiß ich ohnehin nicht allzu viel nach diesen zwei Wochen. Wie in Deutschland gilt: Durchkapitalisierte Gesellschaften fangen keine Gespräche mit Fremden an.

Die einzige Person, die sich interessierte, war ein algerischer Migrant. Und selbst das war realpolitisch gesehen in Frankreich. Immerhin das mochte ich: die schwindelerregende Vielsprachigkeit. Den vielstimmigen Konversationen im Zug zu folgen, war abwechselnd ultimativ das Beste und unendlich überstimulierend. In Basel von einer Seite zur anderen dieses Dreiländerecks zu spazieren, ließ fühlen, wie konstruiert Grenzen sind.

Eine neue Fankultur

Gelitten haben darunter ein paar britische Fans, die ständig unerwartet ihren Pass vorzeigen mussten, weil sie wieder aus Versehen eine Grenze überquert hatten. Es waren junge Frauen, wie so viele hier. Auch das war wirklich gut: Hätte es das für mich als Kind gegeben, so einen offenen Ort Stadion, diese gleichaltrigen Mädels in Trikots von Frauen! Damals hätte sich das niemand erträumen können. Was für eine Leistung, Uefa, trotz allem.

Und zuletzt habe ich gleich zwei kleine Wunder von Heimat erlebt. In Basel teilte ich das Airbnb mit zwei Argentinier:innen, die anschließend als Volunteers nach Italien wollten – ausgerechnet in das kleine Kaff im Süden, wo ich wohne. Keine Sau geht dorthin. Und mein Mitbewohner in Saint-Louis entpuppte sich als Italiener aus einem Nachbardorf. Er fand das so unglaublich, dass er seine Frau per Videocall dazuholte. Ich habe mich dann erinnert, dass auch ich es da unten vermisse. Es ist genug mit Schweiz. Oder, wie man in Apulien sagen würde: Basta.

Fairplay fürs freie Netz

Auf taz.de finden Sie unabhängigen Journalismus – für Politik, Kultur, Gesellschaft und eben auch für den Sport. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Inhalte auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich leisten kann, darf gerne einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
Mehr zum Thema

0 Kommentare