Die letzten Züge der EM: Schluss mit Schweiz!
Drama, Sprachenvielfalt und Anonymität bleiben von der EM in Erinnerung. Der Abschied aus Superreichen-Land-Schweiz fällt nicht schwer.
D ie EM geht ihrem Ende entgegen. Viel zu schnell, habe ich das Gefühl. Bin ich nicht gerade erst angekommen? Turniere haben einen unerbittlichen Arbeitsrhythmus, sie fliegen vorbei. Und diese unfassbar spektakuläre EM mit ihren dramatischen Wendungen ist besonders schnell gerauscht. Es war das dramaturgisch wahrscheinlich schönste Turnier, das ich live sehen durfte. Jeder einzelne Abend war unglaublich. Andererseits war all diese Dramatik auch erschöpfend. Irgendwann wollte ich nicht noch ein Last-Minute-Tor gegen ein Team erleben, mit dem ich litt.
Frauenturniere sind gute Turniere
Und die Schweiz? Sie war als Gastgeberin das Gegenteil, nämlich verdammt unspektakulär. Falls Sie noch nicht da waren: Es ist wie Deutschland, nur reicher und alles funktioniert. Oder vielleicht nicht ganz alles, wie die vielen Wohnungslosen bezeugen. Kein einziger kritischer Text über den Gastgeber Schweiz ist mir in der Zeit untergekommen. Frauenturniere sind gute Turniere. Aber Staaten üben nicht nur Gewalt aus, wenn sie Hände abhacken. Wie viel weitreichendere Gewalt übt ein Staat für Superreiche aus, mit Steuerverstecken für CEOs und Diktatoren weltweit? Wie brutal ist dieses Horten von Mitteln?
Doch systemische Gewalt zählt nichts, denn dann müssten wir übers System reden. Ich konnte mir nicht leisten, viel Zeit in der Schweiz zu verbringen. Es ist kein Staat für Menschen aus semipräkeren Verhältnissen, ich wohnte auf der französischen Seite. Von Schweizer:innen weiß ich ohnehin nicht allzu viel nach diesen zwei Wochen. Wie in Deutschland gilt: Durchkapitalisierte Gesellschaften fangen keine Gespräche mit Fremden an.
Die einzige Person, die sich interessierte, war ein algerischer Migrant. Und selbst das war realpolitisch gesehen in Frankreich. Immerhin das mochte ich: die schwindelerregende Vielsprachigkeit. Den vielstimmigen Konversationen im Zug zu folgen, war abwechselnd ultimativ das Beste und unendlich überstimulierend. In Basel von einer Seite zur anderen dieses Dreiländerecks zu spazieren, ließ fühlen, wie konstruiert Grenzen sind.
Eine neue Fankultur
Gelitten haben darunter ein paar britische Fans, die ständig unerwartet ihren Pass vorzeigen mussten, weil sie wieder aus Versehen eine Grenze überquert hatten. Es waren junge Frauen, wie so viele hier. Auch das war wirklich gut: Hätte es das für mich als Kind gegeben, so einen offenen Ort Stadion, diese gleichaltrigen Mädels in Trikots von Frauen! Damals hätte sich das niemand erträumen können. Was für eine Leistung, Uefa, trotz allem.
Und zuletzt habe ich gleich zwei kleine Wunder von Heimat erlebt. In Basel teilte ich das Airbnb mit zwei Argentinier:innen, die anschließend als Volunteers nach Italien wollten – ausgerechnet in das kleine Kaff im Süden, wo ich wohne. Keine Sau geht dorthin. Und mein Mitbewohner in Saint-Louis entpuppte sich als Italiener aus einem Nachbardorf. Er fand das so unglaublich, dass er seine Frau per Videocall dazuholte. Ich habe mich dann erinnert, dass auch ich es da unten vermisse. Es ist genug mit Schweiz. Oder, wie man in Apulien sagen würde: Basta.
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