Die steile These: Wer ist schlimmer als RB Leipzig?

Die Anhänger des wahren™ Fußballs: Sie versuchen zu definieren, was gutes Fansein ausmacht, doch schaffen wertkonservativen Kitsch.

Der DFB-Pokal, ein goldener Pott, vor einer Menge an rot-weiß gekleideten Fußballfans

Die Fans von RB Leipzig feiern nach dem Sieg im Finale Foto: Lisi Niesner/reuters

Der Mai ist für Fußballfreunde der Monat der Entscheidungen. Dauernd letzte Spieltage, Finals, Relegationen, dauernd späte Tore, Glück, Entsetzen, Dramatik. Dafür lieben sie den Sport.

Für deutsche Fans hatte es in diesem Jahr die dritte Maiwoche besonders in sich. Zunächst am Mittwoch das Finale der Europa League. Die Vollendung eines Märchens. Eintracht Frankfurt, in den vergangenen Jahrzehnten öfters auch mal in der Zweiten Liga, schaffte es nach einem Ritt über den Kontinent tatsächlich, seine eigene Cinderella-Story zu krönen. Es war der Sieg des unberechenbaren Moments im Fußball. Geld schießt eben doch keine Tore.

Dann am Samstag das Finale des DFB-Pokals. Für viele die Vollendung eines Albtraums. Rasenballsport Leipzig gewann den ersten Titel in seiner gerade einmal 13-jährigen Vereinsgeschichte. Und das auch noch gegen den SC aus der Fahrradfahrer- und Backgammonspielerstadt Freiburg, einen der Everybody’s Darlings des deutschen Profifußballs, seit 118 Jahren titellos. Für viele Fans war der Sieg dieses „Konstrukts“, wie RB Leipzig immer wieder gern genannt wird, so was wie der Triumph von Voldemort, Darth Sidious und Putin zusammen. Geld schießt eben doch Tore, on the long run.

Schwarz und Weiß. Yin und Yang. Ähnlich eindeutig zweigeteilt war auch das öffentliche Echo. Viel Liebe für Eintracht Frankfurt, der Hessische Rundfunk schob gleich mal eine 42-minütige Jubeldoku mit dem komplett unironischen Namen „Eine Traumreise durch Europa“ ins Programm. Viel Häme gegenüber RB Leipzig, was sogar schon vor dem Finale losging. Von niemandem dazu gefragt, erklärte der Drittligist VfL Osnabrück (of all clubs!) seine Solidarität mit Freiburg im Endspiel.

Ein Verein als Marketingtool

Nun hat Fußballdeutschlands Abneigung gegen RB Leipzig einige gute Gründe. Tatsächlich ist die Mannschaft Teil der Verkaufsstrategie des Energy­drink­-Herstellers Red Bull, der über Sportsponsoring sein Image als virile Marke stärken will. Nur dafür wurde der Verein gegründet. Um sich im deutschen Profifußball etablieren zu können, mussten dabei mehrere halb legale Tricksereien veranstaltet werden. Und überhaupt, „Verein“: RB Leipzig hat ungefähr 20 Mitglieder, Eintracht Frankfurt mehr als 100.000. Schließlich ist Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz auch noch ein ziemlicher Rechtsaußen. Alles nicht sehr schön, alles zu Recht in der Kritik.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Bei Eintracht Frankfurt wird umgekehrt besonders hervorgehoben, wie toll die Fans des Vereins sind (und dass der Titel allein ihretwegen verdient sei), was sich vor allem durch ihre Menge und ihre Hingabe begründet. In Barcelona waren 30.000 im Stadion Camp Nou und noch viel mehr in der Stadt, obwohl nur 5.000 Tickets für sie vorgesehen waren. Mit Kreativität und viel Geduld kauften sie freie Plätze abseits ihres Blocks. Zudem hatten sie sich abgesprochen, ihre weißen – und nicht etwa die roten oder schwarzen – ­Trikots zu tragen, sodass ihre schiere Masse auch zu sehen war. Ganz nebenbei ist Weiß die Farbe von Barcelonas Erzrivale Real Madrid. Was für eine Demütigung. Was für eine Story!

Und die Leipzigfans? Nun, zum RB-Hass gehört auch das Anhängerbashing. Wie man nur Fan eines solchen Vereins sein könne!? Kann man natürlich nicht! Ein reines „Eventpublikum“ sei das, echte Leipziger Fußballfans würden es mit den Viertligisten Lok oder Chemie halten. Hämisch wird auch auf die geringe Zahl der RB-Auswärtsfahrer verwiesen. Dass es vielleicht auch einfach Leipziger gibt, die sich freuen, dass da jetzt ein Bundesligaverein in ihrer Stadt spielt, das sogar recht ansehnlich und nun auch noch erfolgreich –, das darf in der Vorstellung der Anhänger des wahren™ Fußballs nicht sein.

Irgendwie soll bitte alles wieder so sein wie früher

Was dieser wahre™ Fußball ist? Das ist nie so ganz klar, aber irgendwie soll bitte alles so sein wie früher! Als Fußballer noch Schnorres trugen und die Bundesliga aus dem festgelegten Kanon der Traditionsvereine von Kaiserslautern bis Duisburg bestand, als es ausschließlich Stehplätze gab und sämtliche Spiele noch samstags um 15.30 Uhr angepfiffen wurden (wurden sie niemals, aber egal).

Es ist die Sehnsucht nach Zeiten, die unwiederbringlich vorbei sind. Geld regiert die Fußballwelt. Ein sich als Malocherklub verkaufender Klub wie Borussia Dortmund ist an der Börse, der von Traditionsfans für seinen „You’ll never walk alone“-Kult verehrte FC Liverpool ist im Besitz der US-amerikanischen Fenway Sports Group (immerhin nicht von Scheichs aus Katar oder Saudi-Arabien wie andere europäische Klubs). Selbst Freiburg und Frankfurt machen jährlich dreistellige Mil­lio­nen­um­sät­ze. RB Leipzig hat in diesem Prozess eine Abkürzung genommen, die es so früher einfach nicht gab. Wer wahren™ Fußball sehen will, muss sich schon einen Kreisligisten suchen.

Weil darauf niemand Lust hat, retten sich die Traditionsfußballfreunde in Rituale und überhöhen ihre besondere Zelebrationskultur – stets sehr bemüht um die Definitionsmacht dessen, was gutes Fansein ausmacht. Je mehr gesungen wird, desto besser. Je pompöser die Fankurvenchoreografie vor dem Spiel, desto besser. Je mehr Auswärtsfans, desto besser. Und wer nicht hüpft, der ist kein Schalker/Bremer/Kölner! In diesem Sinne wurde auch die erfolgreiche „Besetzung“ des Camp Nou abgefeiert. Fan sein wird zu einem Stellungskampf, mit den Trikots als Uniformen.

Sein Extrem erlebt dieser Zugang in der Subkultur der Ultras – das sind, wie der Name suggeriert, besonders beinharte Anhänger, jeder größere Verein hat welche, und sie verhalten sich alle halbwegs ähnlich. Sie singen fast die gesamte Spielzeit irgendwelche Fanlieder (egal, was gerade auf dem Rasen passiert), wedeln unentwegt mit Fahnen und überhöhen dabei „ihren“ – das Besitzanzeigende ist wörtlich zu nehmen – Verein und sich selbst aufs Äußerste.

Bestenfalls stumme Sitzplatzheinis

Ultras stellen bei Misserfolg auch mal die Spieler zur Rede und verlangen von ihnen, die Trikots abzugeben, weil sie es nicht wert seien, die Farben des Vereins zu tragen. Oder wählen in Bundesligaspielen gegen RB Leipzig als Protestform einen „Stimmungsboykott“ – da sind sie dann am Anfang still, mal 15, mal 19 Minuten, oder verweigern die Fahrt nach Leipzig gleich ganz. Sie verstehen ihre eigene Abwesenheit als etwas, das straft. Wie von sich eingenommen kann man sein?

Das alles ergibt eine toxische Suppe aus Ehrgefühl, Opferbereitschaft und Zugehörigkeitswunsch, gepaart mit einer anstrengenden Ernsthaftigkeit und dem Anspruch: „Nur wir sind der wahre™ Fußball.“ Wer sich nicht dran hält, wird bestenfalls als stummer Sitzplatzheini geduldet, schlimmstenfalls verachtet.

Man kann RB Leipzig und sein Publikum auch als Gegenentwurf zu diesem arrogant-elitären, wertkonservativen Kitsch verstehen. Sportgucken als Unterhaltung, die Freude bereitet, ohne gleich ans Existenzielle zu gehen. Warum soll das nicht zumindest denkbar sein?

Kleine Notiz am Rande: Die Finalgegner von Eintracht Frankfurt im Europapokal waren die Glasgow Rangers. Sie kommen aus dem Ehrliche-Arbeiter-Land Schottland, dem sportlich der Ruf des ewigen Verlierers (Underdog! Sympathisch!) anhängt, ihr Finaleinzug war ähnlich sensationell wie der von Frankfurt, auf dem Weg dahin haben sie unter anderem Borussia Dortmund und – Tatsache – RB Leipzig geschlagen. Die Rangers­fans sind so dermaßen leidenschaftlich, dass vergangene Woche 100.000 von ihnen in den Finalort Sevilla gereist sind. Demgegenüber waren es nur 50.000 Eintrachtfans.

Nach ihrer eigenen Logik haben die Frankfurter das Finale also verloren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.