Die taz 1992 über Lichtenhagen: Die letzte Schlacht

Wie die taz 1992 über Rostock-Lichtenhagen berichtete. Teil 3: Die Plattenbausiedlung ist ausländerfrei. Trotzdem kommen wieder hunderte Rechte.

Eine Gruppe Geflüchteter wird eskortiert

25. August 1992: Die Verlegung der 200 Bewohner des Asylbewerberheimes in andere Notunterkünfte beginnt Bild: dpa

Am 22. August 1992 begann der Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Zum Jahrestag veröffentlichen wir noch einmal die drei Reportagen, in denen die spätere taz-Chefredakteurin Bascha Mika die Ereignisse 1992 dokumentierte. Den Text aus der taz vom 27. August (über den 25. August) finden Sie unten, den Text aus der taz vom 25. August hier und den Text aus der taz vom 26. August an dieser Stelle.

ROSTOCK taz | Sie kommen von allen Seiten. Mal zu zweit, zu dritt, mal im Haufen. Sie strömen vor das Flüchtlingswohnheim in Rostock-Lichtenhagen – in dem keine Flüchtlinge mehr sind. Drei nächtliche Schlachten von Ausländerhassern mit der Polizei, dann war die Plattenbausiedlung ausländerfrei. Trotzdem versammeln sie sich am Dienstag abend wieder vor dem Hochhauskomplex: die, die Krieg spielen wollen, und ihre Fans. Stehen da und warten. Auf die Polizei und den Anpfiff zum Gefecht.

Der kommt kurz nach dem Abpfiff im Rostocker Fußballstadion. Eine Handvoll Sportsfreunde erscheint in Lichtenhagen und berichtet vom Sieg gegen Braunschweig: 4:0. Das muß gefeiert werden. Schnell werden im Imbiß „Happi Happi bei Api“ noch ein paar Biere getankt, dann formieren sich rund sechshundert Jungmänner zur Spontandemonstration. Zwei Drittel kommen aus Rostock, glaubt die Polizei. Der Rest aus der übrigen Republik. Glatzen sind auch dabei. Die Ordnungsmacht ist inzwischen auf dem Parkplatz vor dem Gelände in Stellung gegangen.

Ein paar hundert Meter läßt sie die Menge marschieren. Bis zum Erbrechen dröhnen die üblichen Sprüche. „Sieg Heil!“ „Ausländer raus!“ Um viertel nach zehn wird darauf geantwortet: „Achtung, Achtung! Hier spricht die Polizei.“ Sehr höflich werden die Demonstranten gebeten, das Terrain zu verlassen. Der Wasserwerfer ist in Stellung. Laut und deutlich schallen die Befehle für die Hundertschaften über den Platz. Dann schießt der erste Wasserstrahl in den Zug. Die ersten Steine fliegen.

Erstaunlich koordiniert sieht dieser Polizeieinsatz aus. Das konnte man in den vorangegangenen Nächten nicht behaupten. Mit 1.600 gut ausgerüsteten Männern und neun Wasserwerfern ist die Ordnungsmacht angerückt. Bereitschaftspolizei aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Unterstützt wird sie noch vom Bundesgrenzschutz. „In den Tagen davor“, sagt der Polizeisprecher von Rostock, „waren diese Kräfte nicht da, weil wir die Lage anders eingeschätzt haben.“

Diese dreitägige falsche Lageeinschätzung hatte am Montag dazu geführt, daß Faschos ungehindert das Flüchtlingsheim in Brand stecken konnten. Fast zwei Stunden war kein Polizist auf dem Gelände. Die massiven Vorwürfe gegen Mecklenburg- Vorpommerns Innenminister Lothar Kupfer haben Druck gemacht. „Wenn wir hier heute nicht Stärke zeigen“, meint einer der Polizisten, „dann rollt der Kopf des Ministers.“

„Das find' ich nich' mehr gut“

Tausend Beamte sind rund um das Gelände des Asylheims postiert. Systematisch jagen sie die Randalierer vom Heim weg und vor sich her. Zunächst scheint diese Strategie zu funktionieren. „Wenn wir sie da nicht vertrieben hätten“, schätzt der Polizeisprecher, „hätten sie heute das ganze Gebäude abgefackelt.“ Die meisten Zuschauer hat der massive Polizeieinsatz verschreckt. Zwar sind sie nach drei Tagen Kriegsspiel schon recht routiniert, weichen Steinen und Tränengas gekonnt aus, aber irgendwann hört der Spaß auf. „Das find' ich nich' mehr gut“, hört man von den Anwohnern von Lichtenhagen. Gemeint ist sowohl die Polizei als auch die prügelfreudige Jugend.

Die spielt Guerilla in Lichtenhagen. Ein paar hundert Kämpfer für das richtige Deutschland haben sich hinter Barrikaden aus Mülltonnen zurückgezogen. Sie schmeißen Molotowcocktails, stecken vier Trabis in Brand. Aus den Eingängen der Innenhöfe hagelt es Steine. Ehe ein Polizist zugreifen kann, ist der Werfer in den Büschen verschwunden oder gesellt sich unschuldig zwischen die verbliebenen Zuschauer. Minuten später hat er einen neuen Stein. Messer, Gaspistolen und Schlagstöcke sind auch zur Hand.

Mit der Zeit hat der Einsatzleiter vor Ort Probleme, seine Männer auf Trab zu halten. „Gehn Sie mal über in Marsch Marsch“, brüllt er ins Megaphon, „dann sind Sie schneller da!“ Die Kleingruppentaktik der Jugendlichen, die sich auf dem Gelände auskennen, zermürbt die Beamten zusehens. „Die Störer scheinen Erfahrung zu haben, wie sie vorgehen können, erklärt der Polizeisprecher. Eine „gewisse Führung“ sei bei ihnen sicherlich vorhanden, aber keine richtige Organisation.

Bis nachts um drei dauert die Straßenschlacht. Greiftrupps der Polizei schleppen 58 Festgenommene in die Wannen. Nicht gerade zart gehen die genervten Männer mit ihren Fängen um. Außer Waffen nehmen sie den Jugendlichen auch Geräte zum Stören des Funkkanals ab. 65 Beamte wurden verletzt, heißt es. Um halb vier wird der letzte Befehl per Megaphon ausgerufen: „Schicken Sie die Straßenreinigung.“

Mittwoch vormittag wird im Supermarkt beim Flüchtlingsheim die Parole für den Tag ausgegeben. Ein paar Jugendliche – Bierdosen in der Hand – geben bekannt: „Heute 16.00 Uhr. Ort wie gehabt!“

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Am 22. August 1992 begannen die tagelangen Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Für die taz berichtete damals die spätere Chefredakteurin Bascha Mika in drei Reportagen von vor Ort. Im ersten Text beschrieb sie, wie Tausende AnwohnerInnen ihre Leute anfeuerten: „Skins, haltet durch!“ Im Bericht vom zweiten Tag erzählt sie, dass sich die Polizei, kurz bevor der erste Brandsatz flog, zum Schichtwechsel zurückzog. In der dritten Reportage schrieb Bascha Mika über die hunderte Rechte, die immer noch zu den mittlerweile leeren Plattenbauten ziehen.

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