Die tunesische Insel Djerba: Das Eiland und der Müll

Djerba ist ein beliebtes Ferienziel der Deutschen – in einem Land, das nach der Revolution am Neuaufbau und an einer sauberen Landschaft arbeitet.

Graffiti am Eingang zum Dorf Erriadh auf Djerba, umrahmt von Müll. Bild: Renate Fisseler-Skandrani

Djerba im November 2014. Die Straße vom Flughafen Djerba Zarzis nach Houmt Souk verläuft am Rand des mehr oder weniger naturbelassenen Inselteils. Im kleinen Ort Mellita bleibt der Blick an verkohlten Müllhaufen und feuergeschwärzten Müllcontainern hängen. Auf freier Strecke ragen hohe Träger eines Hangars mit halbfertigem Dach aus der Ebene. „Das sollte eine Kompostieranlage werden“, aber die Leute von Mellita wollten das nicht“, erklärt der Taxifahrer schulterzuckend.

Im Rathaus von Houmt Souk stehen Abdelmajid und Radhia ratlos herum. „Heute sollte eine Sitzung des Krisenkomitees mit der Gemeinde stattfinden. Die wurde einfach abgesagt“, empören sich die beiden. „Wir wollen jetzt wissen, welche Sofortmaßnahmen die Gemeinde gegen das Mülldesaster ergreift.“ Wie viele Djerbi haben Abdelmajid und Radhia den Kampf gegen die himmelschreiende Vermüllung ihrer Insel aufgenommen.

Im Konflikt um die Abfallbeseitigung waren im Sommer Bürgermeister und Gemeinderat geschlossen zurückgetreten. Der jetzige Interimschef empfängt die beiden. Man erwarte Kunststoffmembranen, erzählt Radhia nach dem Gespräch, Spezialfolien für Mülldeponien, die das Einsickern von Deponiewasser in den Boden verhindern. „Und wann sind die da“, echauffiert sich Abdelmajid, „in einer Woche, einem Monat, wann?“

Am Rande von Houmt Souk – zwischen Palmen und Mittelmeerpinien, direkt am Meer, wo Flamingos im flachen Wasser picken, Fischerboote in Strandnähe ankern – wurde erst kürzlich eine Mülldeponie ausgebaggert. Sie liegt gleich gegenüber einer Abwasserkläranlage der staatlichen Wasserwerke, aus der rötlich-braunes Wasser ins Meer geleitet wird. „Morgens um fünf rücken die Bagger an, heben solche Kuhlen aus“, erklärt Abdelmajid, „danach kommen Mülltransporter und kippen ihre Fracht hinein. Manchmal blockieren protestierende Bürger die Transporter.“ Auf der wilden Müllkippe lugen Plastik, Flaschen, Dosen, medizinisch genutzte Plastikschläuche, Kanülen aus dem Sand. Was passiert, wenn der Platz voll ist? „Alles wird mit Sand bedeckt, soll ja ein Provisorium sein, später wieder ausgebaggert und sachgerecht entsorgt werden“, grinst Abdelmajid kopfschüttelnd.

Streetart-Projekt: Mehdi Ben Cheikh, francotunesischer Ausstellungsmacher, hat im Sommer 2014 im Dorf Erriadh das Streetart-Projekt Djerbahood mit KünstlerInnen aus aller Welt organisiert: weit über hundert meist großflächige figurative Malereien, Graffiti, Straßenszenen und Porträts haben ihren Platz an Mauern und Fassaden der Medina gefunden.

Kontakte zur Zivilgesellschaft: Djerba Insolite - Alternativer Tourismus und Umwelt (2014 gegründet): www.djerba-insolite.com/ fb, www.facebook.com/djerba.insolite, E-Mail: contact@djerba-insolite.com; AJEM - Association Jlij pour Lenvironnement Marin (2013 gegründet): www.ajem-tn.com; Djerba Ulysse - Social - Culture - Environnement: www.djerbaulysse.org, //on.fb.me/1s89vyj:http://on.fb.me/1s89vyj; Vent de Jasmin Jerba Riah El Jasmin: //on.fb.me/1xIeOVP:http://on.fb.me/1xIeOVP; SOS BIAA Save the Environment (in Tunis, 2012 gegründet): on.fb.me/1w2r26w, E-Mail: sosbiaa@gmail.com

Im Herbst 2012 wurde die als kontrolliert geltende Mülldeponie der Insel im Töpferdorf Guellala geschlossen. Vorausgegangen waren massive Proteste der Anwohner, die sich ernsten Gesundheits- und Umweltgefahren durch die Deponie ausgesetzt sahen. Seitdem weiß die Insel nicht mehr, wohin mit ihrem Müll. Eine geregelte und regelmäßige Abfallbeseitigung besteht nicht mehr. Der Müll sammelt sich am Straßenrand, auf Plätzen, freien Flächen, wird vergraben, sogar in Brunnen geworfen, auf wilden Müllkippen deponiert. Am Abend steigen Rauchwolken aus Abfallcontainern und von Abfallhaufen hoch, es stinkt nach verbranntem Plastik. Experten warnen vor gravierenden Umweltfolgen und der Verschmutzung des Grundwassers.

Besonders betroffen ist die Gemeinde Houmt Souk, Djerbas Verwaltungszentrum. Die Touristenzone mit ihren Hotelburgen entlang des nordöstlichen Küstenstreifens, wo um die 40 Prozent des Inselmülls, vor allem organische Abfälle, produziert werden, macht einen mehr oder weniger verschonten Eindruck. Hier ist die Gemeinde Midoun zuständig, die, so der Vorsitzende der ,Fédération des Hoteliers, Jalel Henchiri, besser mit der Müllbeseitigung zurande kommt.

Die Suche nach einer unschädlichen Lagerung

Seit der Schließung der Deponie von Guellala reißen die Proteste gegen die wachsende Vermüllung nicht ab. Der Versuch, die Deponie erneut in Betrieb zu nehmen, wird von den Anwohnern verhindert. Im Sommer 2014 spitzt sich die Situation zu. Aktionstage werden organisiert, sogar eine Demo in Tunis, um die Verantwortlichen zum Handeln zu bewegen. Am 30. September legt ein Generalstreik die Insel lahm. In einem Aufruf fordern „Bürger und Bürgerinnen von Djerba“ das sofortige Einsammeln des Mülls und dessen Lagerung auf Mülldeponien außerhalb der Insel. Als befristete Lösung. Zugleich sollen nachhaltige infrastrukturelle Maßnahmen – Mülltrennung und Recycling – auf den Weg gebracht werden. Gefordert wird auch, die ökologische Frage zu einer Priorität im demokratischen Übergangsprozess Tunesiens zu machen und einen nationalen Dialog über Umwelt und nachhaltige Entwicklung aufzunehmen. Stützen können sich die Umweltaktivisten auf Artikel 45 der neuen Verfassung, die das Recht auf Umweltschutz garantiert.

Das neu gebildete Krisenkomitee mit lokalen Vertretern aus Tourismus, Industrie, Handel und Landwirtschaft, Gewerkschaft und Arbeitgebern, Berufsvereinigungen, Liga für Menschenrechte und zivilgesellschaftlichen Vereinen versteht sich als Partner im Prozess einer dauerhaften Lösungsfindung auf lokaler wie regionaler und nationaler Ebene. Mitglieder des Krisenkomitees waren Anfang Oktober in Tunis. Ministerielle Delegationen reisen nach Djerba, werben für eine Zwischenlösung auf der Insel. An der kritischen Umweltsituation ändert sich allerdings nichts.

Die nationalen, regionalen und lokalen Autoritäten wollen den Müll auf der Insel lagern, bis ein System zur Mülltrennung und Verarbeitung vorhanden ist. Ab Sommer 2013 wurde in Taourit, einem Viertel von Houmt Souk, mit Unterstützung von Freiwilligen ein Pilotprojekt zur Mülltrennung durchgeführt. Hie und da sieht man in den Ortschaften große Drahtkäfige zur Sammlung von Plastikflaschen, grüne und blaue Tonnen zur Mülltrennung, die sich vor allem zivilgesellschaftlicher Initiative verdanken.

Die Verantwortung der Politik

Der 2014 begonnene Bau einer Kompostieranlage in Mellita wurde nach Bürgerprotesten eingestellt. Der Boden, auf dem die Anlage errichtet werden sollte, war kein Gemeindebesitz. Hinter der geplanten Anlage in der Nähe des Flughafens wurde mit Baubeginn unsortierter Müll abgeladen. Ein Teil der zivilgesellschaftlichen Gruppen ist gegen eine Zwischenlagerung auf der Insel, will schnellstmögliche Maßnahmen zur Mülltrennung und Verarbeitung. Die Zwischenlagerung soll nun in Deponien auf dem Festland erfolgen. Dort wiederum beklagen Anwohner Gesundheitsprobleme und weigern sich, den Müll von der Insel Djerba in ihrer Umgebung aufzunehmen.

Inzwischen führen zivilgesellschaftliche Gruppen Aktionstage zur Reinigung der Strände und Straßen durch, sensibilisieren Kinder und Erwachsene für Eigenverantwortung und Mülltrennung. Ein „Kollektiv der Freiwilligen“ will in 26 Grundschulen in Houmt Souk aktiv werden. „Wir sind alleingelassen“ oder „Wir rennen mit unseren Vorschlägen gegen eine Wand“, „Der Schlüssel liegt im Gouvernorat in Medenine“ ist in Gesprächen zu hören. Politische und regionale Konflikte würden in die Krise hineinwirken.

„Meine beiden Töchter haben im Sommer Asthma bekommen“, klagt Nadia vom Kollektiv der Freiwilligen. „Machen Sie die Fenster zu und sagen Sie Ihren Nachbarn, sie sollen aufhören, Müll zu verbrennen!, hat mein Arzt gesagt. Da war mir klar, ich muss selbst handeln. Nicht mehr warten, bis eine Lösung von oben kommt.“ In Nadias Straße trennen die Anwohner jetzt organischen Müll, Plastik und Restmüll. „Den organischen Müll vergraben wir, Plastik verkaufen wir an eine private Recyclingfirma. Bei dem bisschen Restmüll, der übrig bleibt, warten wir, bis die Gemeinde ihn abholt“, sagt Nadia.

Aktivisten reinigen die populären Strände

Jetzt zur Abendstunde, wenn der gelbe Sonnenball an der feinen Linie, die das Blau des Meeres und des Himmels trennt, untergeht sieht man die Schönheit der Insel in Sidi Jmour, weit entfernt von der Touristenzone. Blass-weiß ragt die kleine Moschee Sidi Jmour in die beginnende Dämmerung, vor der die jungen AktivistInnen von Djerba Insolite sitzen. Sie haben diesen wunderschönen Strand gereinigt. Sie wollen selbst etwas tun. Fast alle Mitglieder der Gruppe haben ein abgeschlossenem Studium und sind auf Arbeitsuche.

„Alternativer Tourismus und Umwelt, das sind zwei Seiten der gleichen Medaille“, ist sich Mohamed Bayouli, der Vorsitzende von Djerba Insolite, sicher. Er hat seine Masterarbeit über alternativen Tourismus geschrieben. „Dabei habe ich mich zum ersten Mal richtig mit dem kulturellen Reichtum unserer Insel beschäftigt.“ So kam auch eine große Ausstellung der Gruppe über das kulturelle Erbe der Insel zustande. Sie ist im Hauptort Houmt Souk zu sehen. Djerbe auf dem Fahrrad kennenlernen, das steht auch auf der Agenda von Insolite.

Durch eine Facebook-Umfrage will die Gruppe herausfinden, wie die Inselbewohner über Mülltrennung denken, was sie selbst dafür zu tun bereit sind und wo sie die Verantwortung für die jetzigen Probleme sehen. „In welcher Gruppe engagieren sich Leute aus welcher Partei? Und was wollen die dort“, fragt Abdelmajid, der auch nach dem revolutionären Umbruch 2011 an keiner der beiden Parlamentswahlen teilgenommen hat. „Wenn Leute von Parteien in einer zivilgesellschaftlichen Gruppe sind, bekommt die Gruppe ein politisches Etikett. Dann wollen andere Gruppen nicht mit dieser Gruppe arbeiten“, erklärt Najoua Ben Khemis von der Umweltvereinigung AJEM. „Wir verstehen uns als politisch neutral“, versichert auch Sofiene Hadj Dahmen von Djerba Ulysse, „nur so kann man vor Ort arbeiten.“ Deshalb nehmen AJEM und Ulysse keine Leute auf, die Mitglied in einer Partei sind. „Wir haben noch zu wenig Vertrauen zueinander“, beklagt Mohsen Barkallah vom Collectif des Bénévoles. Misstrauen, Angst vor politischer Unterwanderung, Schatten aus jahrzehntelanger Diktatur erschweren manchmal die Zusammenarbeit innerhalb der Zivilgesellschaft.

Bei den Parlamentswahlen hat sich kaum jemand für die beiden Parteien interessiert, die das Etikett Grün oder Umwelt im Namen tragen, weder auf Djerba noch anderswo in Tunesien. Einig sind sich die meisten AktivistInnen in der Überzeugung, eigenständig nach Wegen aus der ökologischen Krise zu suchen. Der Staat sei dazu nicht in der Lage.

Wie unter einem Brennglas verdichten sich auf Djerba Umweltprobleme, die in ganz Tunesien bestehen. Unter der Diktatur unmöglich, wehren sich seit der Revolution vielerorts die Anwohner von Mülldeponien. Umweltschäden durch Deponien und Abwässer, die ins Meer geleitet werden, gelangen an die Öffentlichkeit.

Und der Müllmacher Tourismus?

„Das große Problem Tunesiens besteht darin“, so der Umweltexperte Morched Garbouj, Vorsitzender der Umweltorganisation SOS BIAA, „dass der Staat weiterhin auf Mülldeponien setzt.“ Die existierenden Anlagen seien zu einem großen Teil veraltet und ihre Aufnahmekapazitäten erschöpft. Hinzu komme, dass zu viele Beteiligte in die Entscheidungsprozesse involviert seien: verschiedene Ministerien, die nationale Agentur für Müllbeseitigung, die Gouvernorate, und erst am Ende stünden die Gemeinden. Die Entscheidungsprozesse müssten gebündelt und zugleich die Dezentralisierung vorangebracht werden. Nur so bekämen die Gemeinden Handlungsspielraum und finanzielle Absicherung vor Ort.

Und wie viel Müllprobleme erzeugt der Tourismus auf der Urlaubsinsel? Immerhin produzieren die Hotels 40 Prozent des gesamten Inselmülls. „Für dessen Beseitigung entrichten die Hotels eine besondere Abgabe an die Gemeinden“, entgegnet Jalel Henchiri, der Vorsitzende des Verbands der Hoteliers von Djerba-Zarzis. „Und vergessen Sie nicht: Wir produzieren nicht nur Müll. Durch den Tourismus entstehen auch viele Arbeitsmöglichkeiten auf der Insel.“

Im September 2014 hat der Verband entschieden, die Zahlung der Taxe Hotelière auszusetzen. Man wolle auf die Dringlichkeit einer Lösung hinweisen. Die bestehenden Konflikte müssten im Zusammenhang mit der Umbruchsituation in Tunesien gesehen werden, meint Henchiri. Sie seien Teil der politischen Herausforderungen in der jungen Demokratie. Viele Touristen hätten dafür Verständnis, manche würden bei Sensibilisierungs- und Säuberungsaktionen sogar mit Hand anlegen. „Wir finden unseren Weg aus der Umweltkrise“, versichert Henchiri, „wir Djerbi schaffen das.“

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