Die zeozwei-Kontroverse: Ethischer Konsum nützt nichts

Welzer irrt, die Umweltbewegung ist nicht unpolitisch. Die Frage ist vielmehr, macht sie die richtige Politik, meint Kai Niebert.

Verpackungsfrei einkaufen, ein neuer Lifestyletrend. Doch trägt er auch zu gesellschaftlichem Wandel bei? Bild: dpa

Sind Ökos unpolitisch? Nach Uwe Schneidewind, Chef des Wuppertal-Instituts, und Felix Ekardt, sächsischer BUND-Vorsitzender, greift nun Kai Niebert, der Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR), in die zeozwei-Kontroverse ein.

Die zeozwei-Kontroverse, Folge 4: Nieberts Erwiderung

Der Sozialpsychologe Harald Welzer wirft der Umweltbewegung vor, unpolitisch und sich selbstbestätigend zu agieren. Jemanden, der sich beruflich wie politisch mit Zukunftspolitik befasst, lassen die Vernehmungen Welzers nachdenklich werden. Hat er womöglich Recht?

Schaut man in die Realität der Verbände rein, läuft der Vorwurf des Unpolitischen ins Leere – zumindest meist. Umweltverbände und Bürgerinitiativen haben in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Sie haben die Zahl der Schutzgebiete in Deutschland ausgeweitet, den Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert und den Ausstieg aus der Atomenergie wiederholt durchgesetzt.

Ohne ihr jahrzehntelanges Engagement wäre der Pariser Klimagipfel nie zu einem Erfolg geworden. Ohne sie wäre der Klimawandel nicht einmal aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft in die Plenarsäle der Politik gekommen. Politisch ist die Umweltbewegung allemal – die Frage ist vielmehr: Betreibt sie die richtige Politik?

Der Mensch als geologische Kraft

In einem hat Welzer Recht: Auch die Aktivisten sehen hilflos zu, wie eine planetare Belastungsgrenze nach der anderen überschritten wird: Der Artenschwund nimmt dramatische Ausmaße an, der Flächenverbrauch ist viel zu groß und synthetische Dünger belasten unsere Äcker und Gewässer.

Die Menschheit ist – so meinen Geologen – in eine neue Erdepoche eingetreten, das Anthropozän. Das meint die offizielle Anerkennung des Menschen als geologische Kraft. Das könnte die Erkenntnis sein, die uns nicht nur die physische Unmöglichkeit unendlichen Wachstums aufzeigt, sondern uns auch politisch daraus Konsequenzen ziehen lässt.

Eine wichtige Erkenntnis, mit der dem Menschen seine Gestaltungskraft vor Augen geführt wird, ist die große Beschleunigung: Spätestens seit den 1950er Jahren explodieren unsere wirtschaftlichen Aktivitäten – und damit auch der Wohlstand. Gleichzeitig weisen aber auch alle Daten zur (Über-)Nutzung natürlicher Ressourcen steil nach oben.

Unzulängliche Umweltpolitik

Diese Entwicklung ist auch deshalb brisant, weil sie die begrenzte Wirkung bisheriger Umweltpolitik deutlich macht: Die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik, die durch die Grenzen des Wachstums in den 1970er Jahren in Fahrt kam und mit dem Erdgipfel in Rio Anfang der 1990er Jahre ihren Durchbruch erlangte, konnte an der globalen Übernutzung der Ressourcen nichts ändern.

Wenn es zu einer Abschwächung im CO2-Ausstoß, der Flächennutzung oder der Ausbringung von Stickstoff kam, dann waren ökonomische Krisen die Ursache: Die Ölkrisen der 1970er Jahre, der Zusammenbruch des Sowjetkommunismus in den 1990ern oder auch die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2009. Die politischen Erfolge von Umweltverbänden konnten, so wichtig sie lokal auch gewesen sein mögen, die Beschleunigung des Ressourcenverbrauchs nicht aufhalten, sondern ihn höchstens räumlich oder zeitlich verlagern.

Politischer denn je

Das Anthropozän zeigt, dass sich die Aufgabe der Umweltverbände verändert hat: Es geht nicht mehr darum, Anerkennung dafür zu schaffen, dass Umweltpolitik einen Platz in der Gesellschaft findet. Heute geht es darum, zu einer Gestaltungsbewegung zu werden.

Umweltaktivisten in Aktion. Ohne sie hätte es wohl auch die Pariser Klimakonferenz nicht gegeben Bild: dpa

Wenn in Deutschland mehr Menschen an den Folgen von Autoabgasen als an Verkehrsunfällen sterben und gleichzeitig deutlich wird, dass Einkommensungleichheit ein treibender Faktor für schlechte Lebensqualität und schlechte Umweltbedingungen ist, wird die Umweltbewegung das nicht alleine lösen können. Sie braucht Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen, Kulturverbände und Ärzte an ihrer Seite, um für wirksamen Umwelt- und Menschenschutz zu streiten.

Die Umweltverbände waren schon einmal in der Lage, gesellschaftliche Großprojekte wie den Atomausstieg oder die Energiewende zu initiieren. Ihr Engagement zu TTIP, Ceta und anderem zeigt, dass sie politischer geworden sind als je zuvor.

Sie waren es, die gemeinsam mit Entwicklungsorganisationen die Fallstricke von privaten Schiedsgerichten und Deregulierungen aufgezeigt haben. Stärke in der Mobilisierung haben sie aber erst erreicht, als sie sich mit Gewerkschaften zusammenschlossen. Wirksam zu sein, heißt anzuerkennen, dass Umweltschutz in erster Linie Menschenschutz ist.

Ein trügerischer Konsens

Die Debatte darum, ob immer mehr auch immer glücklicher macht, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch häufig wird sie privatisiert: Lebensstile dürfe man nicht politisch verordnen, heißt es aus Fraktionen, Ministerien und Studierstuben. Richtig, schließlich haben wir die DDR hinter uns gelassen.

Doch schaut man genauer hin, erweist sich dieser Konsens als trügerisch: In Deutschland werden Jahr für Jahr 52 Milliarden umweltschädliche Subventionen ausgeschüttet, mit denen das Fliegen auf Kosten der Umwelt verbilligt wird, Diesel-SUV auf Kosten unserer Gesundheit auf die Straße gebracht werden oder Pendler auf Kosten der Fläche in den Vorstädten ihr Haus bauen.

Der nicht-zukunftsfähige Lebensstil wird über Geldzuwendungen verordnet. Ein Blick in Shoppingmalls zeigt die Realität: ‚Ethischer Konsum’ verändert die Konsumgesellschaft nur homöopathisch und bringt keine messbaren ökologischen Entlastungen.

Welzer liegt falsch

Nur auf den einzelnen zu setzen – das wäre unpolitisch. Wenn ein zukunftsfähiges Leben zum Massensport werden soll, brauchen wir eine Finanzreform, die die ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Schäden unseres Konsums sichtbar macht. Genau daran arbeiten die Umweltverbände seit Jahren und das ist ihre zentrale Forderung für die Bundestagswahl 2017.

Welzer liegt falsch: Die Umweltbewegung ist hochpolitisch geworden, als sie den Pariser Klimagipfel vorbereitet, zur Verabschiedung der Sustainable Development Goals beigetragen und den G7 das Wort der Dekarbonisierung in den Mund gelegt hat. Doch nun darf sie sich darauf nicht ausruhen und routiniert die Flugtickets für den nächsten Klimagipfel buchen.

Die Umsetzung dieser Beschlüsse ist die Kärrnerarbeit in den Niederungen der Tagespolitik. Dazu muss die Umweltbewegung aus der Umweltpolitik heraustreten und ganz bewusst Sozialpolitik, Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik machen. Nur hier wird sich der Mensch als Leitfossil des Anthropozäns selber retten können.

KAI NIEBERT ist Professor für Nachhaltigkeitsdidaktik in Zürich und Lüneburg. Seit 2015 leitet er den Umweltdachverband DNR, in dem sich 5.5 Millionen Menschen in rund 100 Organisationen organisieren.

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Am 06.10.2016: Welzers Anklage

Am 10.10.2016: Schneidewinds Replik

Am 13.10.2016: Felix Ekardt antwortet