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Netflix-Miniserie „Untamed“Sheriff im Neo-Western

Die spannende Miniserie „Untamed“ erzählt von Traumata, Verbrechen und männlicher Gewalt im nordkalifornischen Yosemite-Nationalpark.

Sucht den Überblick: Kyle Turner (Eric Bana) Foto: Ricardo Hubbs/Netflix

Kyle Turner (Eric Bana) ist darauf spezialisiert, Verbrechen in schwer zugänglichen Bergregionen zu untersuchen. Also hängt der Bundesagent gleich zu Beginn von „Untamed“ an einem Kletterseil mehrere hundert Meter über einem Abgrund, als er die Leiche einer jungen Frau untersucht.

Die ist von einer Klippe im kalifornischen Yosemite-Nationalpark gestürzt und hätte dabei fast zwei Bergsteiger mitgerissen, in deren Kletterseil sie sich verfangen hatte. Wer ist die Tote? Wollte sie Suizid begehen, war das ein Unfall oder gar Mord? Was als spannender Krimi beginnt, entwickelt sich im Lauf der sechs einstündigen Episoden zu einem komplexen Opus voller Gewalt und Traumata vor dem Hintergrund geradezu verstörend schöner Landschaftsbilder.

Die Optik verwundert nicht: Verantwortlich die neueste Murder-Mystery-Serie von Netflix ist Mark L. Smith, der für den Streamingdienst zuletzt das Skript des brutal-kompromisslosen Neo-Western „American Primeval“ schrieb und die Drehbücher für die Kinofilme „The Revenant“ und George Clooneys Öko-Science-Fiction „The Midnight Sky“ verfasst hatte. „Untamed“ ist wieder ein Werk, das bildgewaltig ein Stück sonst kaum so in Szene gesetzter amerikanischer Wirklichkeit einfängt.

Kyle Turner ermittelt im Fall der unbekannten Toten zusammen mit seiner Kollegin Naya Vasquez (Lily Santiago), einer alleinerziehenden Mutter, die ihren Job als Polizistin in Los Angeles gegen die Arbeit als Parkranger in Nordkalifornien eingetauscht hat. Griesgram Turner und Kollegin Vasquez sind auf Pferden in den unendlich weiten Wäldern und Gebirgszügen unterwegs, treffen auf indigene Waldarbeiter, streiten mit Hippies, die in Zeltdörfern im Nationalpark wohnen und begegnen einsamen Wilderern und Jägern, die durch die Natur streifen.

die serie

„Untamed“

6 Folgen auf Netflix

Bilder einer überwältigenden Natur

Nach Feierabend beschäftigt Turner das schwierige Verhältnis zu seiner Ex-Frau Jill (Rosemarie DeWitt) und er versucht das Trauma vom Verlust seines einige Jahre zuvor verstorbenen Sohnes zu verarbeiten, dem er immer wieder in seiner Fantasie begegnet. Kollegin Naya wird vom Vater ihres Sohnes, einem kriminellen Ex-Cop heimgesucht. Außerdem hängt sich eine Anwältin an Turners Fersen, die versucht etwas über den Verbleib eines seit Jahren im Nationalpark vermissten Industriellen herauszufinden. Machte Turner damals bei den Ermittlungen Fehler?

In diesem immer verwickelter werdenden Krimi, der sich plötzlich wie ein großes Rätsel über mehrere Jahre hinweg erstreckt und diverse Kriminalfälle miteinander verbindet, geht es um familiären Missbrauch, Drogenhandel, Alltagsrassismus, indigene Kultur und brutale Morde. Den eigenwilligen Rahmen dafür bieten großartig eingefangene und komponierte Bilder einer überwältigenden Natur mit riesigen Wasserfällen, steilen Felswänden, gigantischen Wiesen vor hoch aufragenden Nadelwäldern und reißenden Flüssen.

„Untamed“ zu Deutsch „Ungezähmt“ erzählt von einer weitgehend unberührten Natur, die sogar heute noch weit abgelegen ist und in der für einige Menschen immer noch die Logik des Wilden Westens gilt. Kyle Turner patrouilliert in dieser Neo-Western-Welt wie ein eigenartig urtümlicher Sheriff. Wobei Serienmacher Mark L. Smith hier ebenso wie in „The Revenant“ und „American Primeval“ dem gängigen amerikanischen Heldentum eine Geschichte entgegengesetzt, die den Mythos zerlegt.

Im spannungsgeladenen Finale dieses sehenswerten Sechsteilers wird klar, was verantwortlich ist für die eskalierenden und dramaturgisch geschickt ineinander greifenden Konflikte: männliche Gewalt und Rücksichtslosigkeit getarnt als vermeintliche Tugenden.

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