Digitale Bürgerrechtsbewegung: Freiwillige Freizeit-Feuerwehr

Bisher regt sich Internet-Protest immer nur als Reaktion auf einzelne Gesetzesvorhaben. Es fehlt noch an professionellen Strukturen, wie sie etwa Greenpeace hat.

Gegen Acta gingen besonders viele junge Leute auf die Straße. Bild: Ints Kalnins/reuters

Man möchte derzeit kein Politiker sein: Aus allen Rohren feuert die Internetgemeinde auf sie, befeuert durch eine Handvoll konservativer Politiker, die den Protestierenden jegliche Legitimation absprechen und die bis heute nicht verstehen wollen, dass sich mit der Digitalisierung mehr ändert als nur die Übertragungstechnik für die Rundfunkausstrahlung.

Wenn der Regierungssprecher Steffen Seibert das Wort "Raubkopie" twittert, erntet er einen Sturm der Entrüstung schon allein des irreführenden Wortes wegen. Wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel sich auf Facebook zu dem Acta-Vertrag zu Urheberrecht und Produktpiraterie äußert, rauschen die Kommentare im Minutentakt ein.

Und der Gegenwind bläst der Politik nicht nur im Netz entgegen. Der Protest gegen Acta hat eine breite Massenbewegung auf die Straße gebracht. Acta hat geschafft, was Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren nicht in diesem Umfang geschafft haben: Es demonstrierten zehntausende, wohl an die 100.000 Menschen in dutzenden deutschen Städten - und das bei eisigem Winterwetter.

Was in den letzten Wochen passiert ist und in diesen Demonstrationen seinen Gipfel fand, erstaunt selbst hartgesottene Akteure der Internetpolitik.

Kein kleines Häuflein Irrer

Für die digitale Zivilgesellschaft sieht dies alles nach einem großen Erfolg aus: sie hat am Wochenende gezeigt, dass sie kein kleines Häuflein Irrer ist, die ihren Tag hauptsächlich mit dem Programmieren vor dem Rechner verbringen. Sondern dass sie für eine wachsende Gruppe Menschen spricht, die ihre Interessen und Bedenken politisch für unterrepräsentiert halten. Auffällig war vor allem, wie viele Schüler mit auf die Straße gingen. Nur was das für die Bewegung für Bürgerrechte im Internet heißt, ist fraglich.

Falk Lüke ist Journalist, Internetaktivist und Mitbegründer der Digitalen Gesellschaft e.V.

So groß die Freude ist, dass nun eine kritische Masse mobilisiert ist, so tief sind auch die Sorgenfalten: Ist man dafür gerüstet, den nächsten Schritt zu gehen? Und welchen? Denn noch besteht die digitale Zivilgesellschaft vor allem aus Feierabendakteuren - wie die Umweltbewegung in ihren Anfängen.

Seit Jahren haben Aktivisten gegen Acta gekämpft. In den großen Staaten hieß es für die digitale Bürgerbewegung: interessieren, informieren, mobilisieren, lobbyieren. Der Anfang der Verhandlungen über Acta lag noch vor dem Aufstieg von Facebook und Youtube zu Massenphänomenen: 2006 begannen die Regierungen von Japan und den USA, sich zu beraten. Es ist wohl eher eine Anekdote, aber in dem gleichen Jahr gründete sich auch die erste Piratenpartei der Welt - die schwedische Piratpartiet. In Deutschland dauerte es noch einige Jahre, bis die Piraten breite öffentliche Aufmerksamkeit bekamen. Und mit Acta beschäftigten sich weiterhin nur wenige Personen.

Druck brachte Änderungen

Zu den ersten Gruppen, die sich früh für Acta interessierten, gehörte die Organisation Knowledge Ecology International rund um James Love. Love ist einer der wenigen zivilgesellschaftlichen Spezialisten für internationales Vertragsrecht und Wissen weltweit. Er gehörte zu den ersten, die Acta in seiner Bedeutung nicht nur für das Netz, sondern für die Wissensnutzung auf der Welt insgesamt erkannten.

Ob Medikamente, Internet oder klassische Wissensträger: Love organisierte zusammen mit anderen den ersten Widerstand. Dass man das Abkommen jemals zu Fall bringen könnte, hatte damals keiner erwartet - mit Ausnahme des immer optimistischen französischen Netzaktivisten-Popstars Jérémie Zimmermann von La Quadrature du Net, der mit seinem Wuschellockenkopf Parlamente und Öffentlichkeit mit Argumenten gegen Acta befütterte und dessen Organisation viele der populär gewordenen Anti-Acta-Videos produzierte.

Im Laufe der Zeit ist aufgrund des Drucks der Zivilgesellschaft einiges mit dem Abkommen passiert. Der einst knallhart und eindeutig formulierte Wunschkatalog der Pharma-, Mode-, Musik- und Filmwirtschaft wurde zum überdimensionalen Juristenpudding: Das Regelwerk ist jetzt an den kritischen Stellen so undeutlich formuliert, dass es alles und nichts bedeuten kann. Die EU-Kommission sagt, dass sie alles aus dem Vertrag herausverhandelt hätte, was über derzeitigen EU-Gesetzesstand hinausgehen würde - das gilt übrigens nicht für die Gesetze in den Mitgliedstaaten. Und trotzdem begehren die Bürger jetzt auf.

Die Kommission hatte die Rechnung einfach ohne die Zeit gemacht: Fünf Jahre sind im Internet verdammt lang. Bei den Demonstrationen am vergangenen Wochenende konnte man das sehr praktisch sehen: Ein Großteil der Demonstrationsteilnehmer war jung, sehr jung. Viele von ihnen waren erstmals auf einer Demonstration. Sie waren ein Abbild dessen, was der Berliner Programmierer Max Winde bei der Verabschiedung des Websperrengesetzes 2009 getwittert hatte: "Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen."

Eine knallbunte Koalition von Jungunionisten, Piraten, Grünen, Linken, Liberalen und Sozialdemokraten bis zur Antifa ging auf die Straße. Die meisten aber waren parteipolitisch völlig ungebunden. Sie wurden über ihre Kanäle informiert, über ihre jeweiligen Netzumgebungen. Ob Youtube-Channel, Facebook, Twitter, Chats und Instant Messenger: So wie das Netz funktioniert, nämlich lose verknüpft und ad hoc, entstand eine intelligent organisierte politische Bewegung.

Greenpeace als Vorbild?

Nun steht die digitale Zivilgesellschaft vor einem Dilemma: Kann sie diesem losen und spontanen Charakter treu bleiben? Kann sie weiter in losen Aktionsbündnissen agieren wie gegen die Vorratsdatenspeicherung und die Zensur im Netz? Die dazu gebildeten Arbeitskreise sind gute Beispiele für eine digitale Zivilgesellschaft, die auf bestimmte Gesetzesvorhaben reagiert. Aber kann das reichen? Die bisherigen Strukturen sind viel zu schwach, um die Bewegung von einer reagierenden zu einer agierenden Kraft der Politik zu machen und die Bewegung in die Lage zu versetzen, dauerhaft und aktiv in das politische Geschehen einzugreifen.

Derzeit eilt die freiwillige Feuerwehr der Internetaktivisten den Brandstiftern hinterher und löscht, was gerade geht. Dass es auch anders geht, hat der Umweltaktivismus gezeigt: Greenpeace, BUND oder Nabu haben feste Strukturen geschaffen, um ihn zu organisieren. Sie arbeiten erfolgreich mit den losen Bündnissen zusammen, beschäftigen Experten, die Stellungnahmen erarbeiten und politische Termine wahrnehmen, die Politik professionell beobachten und rechtzeitig Alarm schlagen. Eine Partei, auch eine Piratenpartei, ist dafür denkbar ungeeignet - sie erfüllt eine andere Funktion.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.