Digitale Imagepflege mit Google: Huch, vergessen

Jetzt ist auch die taz betroffen. Google beginnt Links aus seinen Ergebnislisten zu löschen – und benachrichtigt die betroffenen Medien. Und die Pressefreiheit?

Speichern, hochladen und kopieren – Erinnern ist im Internet das Einfachste der Welt, fest in die Architektur der Netze eingebaut. Bild: typopartner / photocase.de

Nun hat es auch die taz erwischt: Google hat den Artikel „Alte braune Herren“ aus einer seiner Trefferlisten gelöscht. Um die Verquickungen von NPD, Burschenschaften und rechtsextremer Szene in Hamburg und Sachsen geht es in diesem Text aus dem Jahr 2009; eine der Personen, die darin namentlich genannt werden, hat bei Google beantragt, dass der Link nicht mehr erscheint, wenn man ihren Namen googelt.

Digitale Imagepflege. Ein Antrag, der Google offenbar plausibel erschien – der Konzern schickte der taz vor wenigen Tagen eine Mitteilung, dass seine Suchmaschine diesen Text „für bestimmte Suchanfragen in europäischen Versionen von Google“ leider nicht mehr anzeigen könne.

Im Mai gab der Europäische Gerichtshof (EuGH) einem Spanier recht, der einen missliebigen Link aus der Trefferliste zu seiner Person entfernen wollte. Seitdem sind bei Google 70.000 Anträge aus ganz Europa eingegangen, 12.000 davon allein aus Deutschland.

Es gebe ein Recht auf Vergessenwerden, befanden die Richter der obersten europäischen Instanz im Mai – „unter bestimmten Umständen“ müsse Google auf Antrag Verweise auf Artikel entfernen. Wenn Privatpersonen betroffen oder die darin enthaltene Information nicht mehr adäquat oder relevant sei. Wenn im Einzelfall abgewogen werde zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem Interesse der Netznutzer an dieser Information.

Keine klaren Regelungen

Mehr als eine grobe Skizze ist das nicht – klare Regelungen lesen sich anders. Feinarbeiten und Ausmalen dieses Rechts muss jetzt Google übernehmen. Ein Privatkonzern. Der, vor dem die Richter die Privatsphäre der Bürger eigentlich besser schützen wollten. So sitzen bei Google, diesem Konzern, der sonst so vieles automatisiert löst, nun Mitarbeiter und prüfen jeden Antrag auf Vergessenwerden einzeln, ein Job, den Google nie haben wollte.

Nicht nur Links zu Texten der taz sind gelöscht worden: auch die Süddeutsche Zeitung ist betroffen. Beim Spiegel ein Artikel, der eine Person im Zusammenhang mit Scientology erwähnt. Bei Zeit online einer über Frühgeburten.

Während deutsche Medien dies zunächst nüchtern vermeldeten, waren britische Medienschaffende entrüstet: Guardian-Journalist James Ball wütete, man bekäme bei Google nun also nur noch die Informationen über eine Person angezeigt, die eine Person nicht verstecken wolle – und legte en Detail offen, welche sechs Artikel seines Blattes im „Erinnerungsloch“ verschwunden seien. Einen Tag später hatte Google die Links wiederhergestellt. Auch die BBC und die Daily Mail machten Fälle publik, in denen ihre Medien betroffen waren.

Auch in Deutschland wächst die Kritik: Die Welt am Sonntag berichtete, sie habe einen bewusst fehlerhaften Testantrag bei Google auf Löschung eines Links gestellt, der durchgekommen sei. Der Kölner Medienrechtler Christian Solmecke sagt der WamS, auch Löschanträge mit zweifelhafter Begründung, die er für Mandanten gestellt habe, seien durchgekommen. Er glaubt, Google-Mitarbeiter löschen „mehr, als sie müssten“.

Nachbessern, wenn’s Ärger gibt

Mit welcher Begründung Google Informationen aus Trefferlisten entfernt, verrät der Konzern nicht. Eine Blackbox. „Dieser Prozess ist für uns neu und entwickelt sich stetig weiter“, heißt es aus der Google-Pressestelle. Wie so oft bei Google also: erst mal machen – und nachbessern, wenn’s Ärger gibt. Am Anfang ihrer Löschaktionen wirkte es fast, als wolle Google negative Presse über das Recht auf Vergessenwerden geradezu provozieren – denn die kann dem Konzern, der die ganze Sache nach eigenem Bekunden „sehr kritisch“ sieht, im Grunde nur recht sein.

Man sei „offen für Feedback“, arbeite eng mit Datenschutzbehörden zusammen, ließ Google verlauten. Und kündigte wenige Tage später an, einen Expertenrat einzurichten, der Google bei der Umsetzung helfen soll. Renommierte Leute wie Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Wikipedia-Gründer Jimmy Wales sitzen darin.

Im Herbst sollen sie auf Europatournee gehen, strittige Fälle erörtern, einen öffentlichen Bericht mit Empfehlungen zum Vorgehen bei schwierigen Löschanträgen vorlegen, schrieb Google-Chefjustiziar David Drummond am Freitag in einem Gastbeitrag, der in mehreren europäischen Ländern in Zeitungen erschien. Der Versuch, Kritik an der Intransparenz des Verfahrens entgegenzuwirken. Aber genügen ein paar Experten, um Pressefreiheit und das Interesse der Öffentlichkeit an bestimmten Informationen zu verteidigen? Oder ist all der Wind, der derzeit darum gemacht wird, doch etwas übertrieben?

Tatsächlich kann man, spätestens wenn man von einer nicht-europäischen IP-Adresse aus unter google.com sucht, alle Links weiterhin finden. Denn das EuGH-Urteil erstreckt sich nur auf Europa. Auch unter einem anderen Suchwort sind die Texte weiterhin auffindbar. Oder bei einer anderen Suchmaschine.

„Eine Art digitale Bremsschwelle“

„Es geht um eine Art digitale Bremsschwelle und darum, dass wir nicht mehr über diese Suchergebnisse geradezu stolpern, sondern etwas gezielter danach suchen müssen“, sagt Viktor Mayer-Schönberger, Oxford-Professor und Big-Data-Forscher. 2009 hatte er ein Buch über das Vergessenwerden im digitalen Zeitalter veröffentlicht, darin etwa vorgeschlagen, Informationen schon bei ihrer Einspeisung ins Netz mit einem Ablaufdatum zu versehen. Die kleine Hürde, die zehn Sekunden, die es länger dauert, bei google.com nachzuschauen – „das mag in die richtige Richtung einer Balance von Erinnern und Vergessen zeigen“, sagt Mayer-Schönberger.

Speichern, hochladen und kopieren – Erinnern ist im Internet das Einfachste der Welt, fest in die Architektur der Netze eingebaut, Grundlage vieler Geschäftsmodelle. Mit dem Vergessen ist es kompliziert. Kompliziert, weil das Internet dafür gebaut wurde, Informationen zu verteilen – und nicht zu verstecken oder zu löschen.

Das Vergessen ist aber auch deshalb kompliziert, weil es ganz große Fragen aufwirft: Gehört die Information über eine Person wirklich dieser Person? Darf sie darüber entscheiden, was damit geschieht – auch wenn es um Steuerhinterziehung oder politisches Engagement geht? Ab wann genau wird eine schützenswerte Privatperson eine Person des öffentlichen Interesses? Soll jetzt Google definieren, welche Aspekte des Zeitgeschehens relevant genug sind, um weiter erinnert zu werden – und welche hinter einem Suchmaschinen-Paravent verschwinden sollen? Oder noch grundsätzlicher: Wann wiegt die Privatsphäre des Einzelnen schwerer als die Presse- und Informationsfreiheit?

Eine zweite Chance für jeden?

Auf der anderen Seite argumentieren Verfechter eines Rechts auf Vergessen, dass darin etwas zutiefst Menschliches stecke. Muss nicht jeder eine zweite Chance bekommen, die Möglichkeit, Verfehlungen, Misserfolge und Peinlichkeiten auch im Netz hinter sich zu lassen? Ist das Konzept von Vergeben und Vergessen nicht eine Fähigkeit, die auch im Netz gespiegelt werden muss, wenn es für unser Kommunikationsverhalten immer und immer wichtiger wird?

Selbst viele, die sich im Netz zu Hause fühlen und gut auskennen, sind in dieser Frage hin und her gerissen. Es ist nicht so einfach wie in Urheberrechtsfragen, wo Google ebenfalls Millionen Links auslistet und die Sympathien zwischen Netzaktivisten, Künstlern und Musikindustrie klar verteilt sind. Einig sind sich die meisten Gegner wie Befürworter des Vergessens, dass es keine gute Idee ist, solch sensible Entscheidungen bei einem Suchkonzern abzuladen.

In Brüssel arbeitet man – mal wieder wenig bemerkt von der Öffentlichkeit – an einem Gesetzespaket, das noch viel mehr digitales Vergessen zu Recht machen könnte. Kommen die aktuellen Entwürfe für eine neue Datenschutz-Grundverordnung durch, dann müssten künftig auch Unternehmen wie Amazon und Facebook unter bestimmten Umständen Informationen löschen. Das Lobbygewitter gegen diese Pläne war und ist heftig, das deutsche Innenministerium blockiert die Zustimmung für das Gesetzespaket im Rat noch heute.

Der informationelle Widerstand gegen das Auslisten von Google läuft bereits: die Seite hiddenfromgoogle.com sammelt bekannt gewordene Fälle von gelöschten Links – und veröffentlicht auch, so weit ermittelbar, die Namen derer, die auf die Löschung gedrängt haben dürften. Streisand-Effekt nennt man das im Netz – benannt nach der amerikanischen Schauspielerin, die einmal erfolglos versuchte, Luftbilder von ihrem Anwesen aus dem Netz zu tilgen, und damit nur erreichte, dass die Bilder im Netz erst recht die Runde machten. Der Erfolg von hiddenfromgoogle.com ist bislang überschaubar: die Zahl der aufgelisteten Fälle stagniert bei 15.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.