Digitalisierung im Alltag: Schlafen? Nur mit Cloud-Anschluss
Eigentlich ist Schlafen eine der Technologie-unabhängigsten Tätigkeiten überhaupt. Kein Wunder, dass die Industrie auf Ideen kommt – die Folgen haben.
S chlaf ist für viele Menschen ein sensibles Thema. Kommt er nicht oder ist er zu leicht, ist das Schlafzimmer zu warm oder zu kalt, zu hell oder zu dunkel, stört die Müllabfuhr zu früh oder die Party bei den Nachbarn zu spät – dann kann der Tag so richtig schlecht starten.
Aus dem Bedürfnis nach gutem Schlafgefühl hat sich mittlerweile eine ganze Industrie entwickelt: Nahrungsergänzungsmittel, ob als Tabletten oder als Fruchtgummi, sollen beim Einschlafen helfen. Sleep-Tracker analysieren die Nacht bis auf den kleinsten Schnarcher und sollen anhand der Hauttemperatur sogar die Zeitpunkte vergangener Eisprünge einschätzen können.
Und für alle, die es sich leisten können: vernetztes Bettzubehör. Matratzentemperatur und Neigungswinkel lassen sich da einstellen, sanfte Einschlafklänge abspielen oder weißes Rauschen. Und am nächsten Morgen zeigt die zugehörige App, dass der Schlaf diese Nacht wieder ganz wunderbar war. Wie auch sonst, wenn man eine vierstellige Summe ausgegeben hat plus gegebenenfalls ein Abo abgeschlossen, um die Dienste in Gänze nutzen zu können.
Nun gab es leider kürzlich ein kleines Malheur. Nicht beim Bettzubehörhersteller. Sondern bei Amazon. Genauer gesagt, bei dessen Cloud-Computing-Sparte AWS. Ein Fehler in der Server-Infrastruktur legte diverse Internet-Dienste lahm. Darunter auch solche, die für die Steuerung des teuren Schlafzubehörs nötig sind.
Wer also seine Matratze gerade in eine aufrechte Sitzposition gesteuert hatte, als der Ausfall kam, musste mit dem Liegen warten, bis das Problem behoben war. Wer gerade das Bett auf eine angenehme Schlaftemperatur vorheizen wollte, konnte nur hoffen, noch irgendwo eine alte Wärmflasche zu finden. Und vielleicht haben so manche Nutzer:innen verschlafen, weil das morgendliche sanfte Wecken mit Vibrationen ausfiel – was dem guten Schlaf vermutlich nicht geschadet hat, anstehenden Terminen aber schon.
Der Fall zeigt: Bei vernetzten Haushaltsgeräten ist das Ende der Phase, in denen Firmen ehemals Analoges digital und damit Geld machen, noch nicht in Sicht. Lampen, Herde, Küchenmaschinen, Heizungen, Garagentore, Haustüren, Rollläden, Waschmaschinen, Trockner – das gibt es alles schon mit Netzanbindung. Und da geht bestimmt noch mehr: Was ist mit Wäscheständern? Obstschalen? Toiletten? Bücherregalen? Yogamatten? Moment, Korrektur – mindestens letztes gibt es schon in vernetzt. Sensoren sollen messen, ob man die Übungen korrekt ausführt, und mittels Künstlicher Intelligenz weitere Anleitungen geben. Immerhin: Yoga machen lässt sich auf der Matte auch noch, wenn das vernetzte Zubehör einen Totalausfall hat.
Die Firma, deren Kund:innen plötzlich von digital begleitetem auf analogen Schlaf umschalten mussten, schickte jedenfalls via Social Media eine Entschuldigung. Und die Ankündigung, ab sofort daran zu arbeiten, die Produkte für die Zukunft internetausfallsicher zu machen – und zwar „24/7 bis das erledigt ist“. Schlafen, das geht ja vielleicht auch danach.
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