Digitalisierung im Rettungsdienst: „Bis zu drei Einsätze gleichzeitig“

Notärzte nicht vor Ort, sondern live zugeschaltet – das könnte in NRW bald normal werden. Ein Gespräch mit dem Leiter des Aachener Pilotprojekts.

Rettungssanitäter schieben Bahre mit Patientin in Rettungswagen mit der Aufschrift "Telenotarzt"

Einsatz mit „Telenotarzt“-Wagen in Greifswald. Dort läuft ein entsprechendes Projekt seit 2018 Foto: dpa

taz: Herr Felzen, der NRW-Gesundheitsminister Karl Josef Laumann wünscht sich Telenotärzte für ganz NRW. In Aachen erproben Sie das System schon seit 2014 – der Notarzt ist dabei nicht vor Ort, sondern wird live zugeschaltet. Wie funktioniert das?

Marc Felzen: Im Rettungs­wagen gibt es eine Übertragungseinheit, in die ein Mobilfunkkasten von mehreren Anbietern integriert ist. Darüber können die Vitaldaten und das EKG direkt an den Telenotarzt übertragen werden. Zusätzlich hält die Besatzung des Rettungswagens Sprachkontakt über Headsets, und wenn der Patient im Krankenwagen liegt, ist auch eine Videoübertragung möglich. Der Telenotarzt kann dann zum Beispiel direkt Medikamente verschreiben.

Was kann ein Telenotarzt, was ein Notarzt nicht kann?

Durch Telenotärzte wird das therapiefreie Intervall überbrücktoben – so nennen wir die Zeit bis zum Eintreffen des Notarztes. In dieser Zeit darf die Besatzung des Rettungswagens keine invasiven Maßnahmen durchführen und keine Medikamente vergeben. Früher, wenn das Team einen Notarzt nachfordern musste, gab es eine Verzögerung von 20 oder sogar 30 Minuten, gerade im ländlichen Raum. Jetzt kann das Rettungsteam Schmerzmittel per Knopfdruck beim Telenotarzt anfordern und muss nicht auf den Notarzt warten, wenn sich der Patient vor Schmerzen quält. Außerdem kann ein Telenotarzt von der Zentrale aus bis zu drei Einsätze verschachtelt machen und dabei an mehreren Standorten gleichzeitig praktizieren. Die Ressource Notarzt wird dadurch verfügbarer für überlebenswichtige Einsätze.

Also eine Reaktion auf den Ärztemangel?

Natürlich ist das auch eine Reaktion darauf. Telenotärzte sind eine zusätzliche Ressource im Rettungsdienst. Viele Standorte bräuchten mehr Notärzte, die kriegen sie aber nicht, weil die Ärzte fehlen. Da ist das sozusagen ein Add-on.

Auch ein Faktor, um Kosten zu sparen?

Ein regulärer Notarzteinsatz kostet etwa 430 Euro, einer mit dem Telenotarzt 400 – wegen der ganzen Technik. So viel Einsparung ist da gar nicht.

Dr. Marc Felzen von der Uniklinik der RWTH Aachen ist ärztlicher Leiter des Telenotarztdienstes und stellvertretender ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Aachen.

Sie leiten den Telenotarztdienst in Aachen. Was für Erfahrungen haben Sie bis jetzt mit dem System gemacht?

Sehr gute. Da wir schon seit 2007 daran forschen, hat alles sehr gut funktioniert, als wir die Telenotärzte 2014 eingeführt haben. Die meisten Patienten reagieren positiv, wir hatten mittlerweile 12.000 Einsätze mit dem Telenotarzt und nur ein Patient hat der Videoübertragung nicht zugestimmt. Auch die Übertragungsraten sind zu 95 Prozent zuverlässig, nur in 5 Prozent der Fälle hat etwas nicht funktioniert.

Stichwort Digitalisierung: In NRW gibt es noch jede Menge Funklöcher. Die Übertragung der Daten in die Zentrale funktioniert dort aber nicht.

Wenn das Fahrzeug in einem Funkloch steckt, muss die Besatzung einen Notarzt hinterher rufen. Bis der eintrifft, versucht man überbrückend den Telenotarzt zu konsultieren. Das macht man dann so gut es geht, auch wenn die Verbindung immer wieder abbricht.

Wird der Notarzt, wie man ihn kennt, denn irgendwann verschwinden?

Nein, wir wollen auf keinen Fall den Notarzt abschaffen! Das muss man im Gespräch mit Krankenkassen und Kostenträgern auch immer wieder betonen: Sie können nicht wegratio­nalisieren, was Sie brauchen. Wenn Sie im ländlichen Raum jemanden wiederbeleben müssen und rationalisieren die Notärzte weg – dann ist keiner mehr da, der das macht. Reanimation, Beatmung, dafür brauchen wir die Notärzte vor Ort.

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