Diktaturverbrechen in Argentinien: Was von den Todesflügen übrig blieb

Erstmals sind Leichenfotos von Menschen aufgetaucht, die von Argentiniens Militärs in den 70er Jahren lebend aus Flugzeugen geworfen wurden.

Während der Militärdiktatur 1976 - 1983 war die Schule Geheimgefängnis und Folterzentrum. Bild: dpa

BUENOS AIRES taz | An Händen und Füßen gefesselte Leichen, angespült an die Küste von Uruguay, übersät mit Spuren von Folter. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) hat der argentinischen Justiz eine Akte aus der Zeit übergeben, als in Buenos Aires die Militärs herrschten und Menschen zu Tausenden spurlos verschwinden ließen.

Es ist das erste Mal, dass die CIDH eine derartige Akte freigibt und damit die Justiz eines Mitgliedslandes unterstützt. Die Akte enthält 130 Fotos und Berichte der uruguayischen Küstenwache und des Geheimdienstes über Leichenfunde an der uruguayischen Küste. Unter den Dokumenten ist auch eine Seekarte, die die Strömungsverhältnisse der Küstengewässer von Buenos Aires bis Uruguay zeigt.

Für die argentinische Justiz ist der Inhalt der Akte ein weiterer Beleg dafür, dass es die Todesflüge gegeben hat, mit denen die Militärs Gefangene lebend aus Flugzeugen in den Atlantik und Río de la Plata geworfen haben. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 verschwanden rund 30.000 Menschen spurlos oder wurden nachweislich ermordet.

Mehrfache Brüche, Schädel zerstört

Die Fotos zeigen nicht nur die Körper, sondern dokumentieren mit Detailaufnahmen die Spuren der Gewaltanwendung. Zu sehen sind Hand- und Fußfesseln mit Stricken, aber auch mit Kabeln und Rolladenbändern. "Es sind keine Touristenfotos vom Badestrand", so der CIDH-Exekutivsekretär Santiago Cantón. Das belegen die angefügten Notizen der uruguayischen Küstenschutz- und Polizeibehörden. "Die sind in den ersten Dokumenten noch recht naiv, aber sie müssen rasch gemerkt haben, was sie da finden. Die Formulierungen ändern sich."

Etwa die Anmerkungen zum Fund einer angespülten Leiche in der uruguayischen Küstenprovinz Rocha. Das Foto zeigt einen weiblichen Körper, weiße Hautfarbe, schwarze Haare, 1,60 groß, um die 30 Jahre alt, wahrscheinlich seit 20 bis 25 Tagen tot. Der beiliegende Bericht datiert auf den 22. April 1976 und wurde aller Wahrscheinlichkeit nach von einem Gutachter verfasst: "… weist Anzeichen äußerer Gewaltanwendung auf: Zeichen von Vergewaltigung, möglicherweise mit spitzen Gegenständen; mehrfache Brüche und linker Ellenbogen zersplittert, mehrfache Brüche an beiden Beinen, möglicherweise gefesselt, enorme Anzahl von Hämatomen über ganzen Körper verstreut, komplette Zerstörung von Schädeldecke und Oberkiefer. Keinerlei Hinweise für Identifizierung. Der Körper wurde nackt aus dem Wasser gezogen, die gemachten Fingerabdrücke ergaben keine positiven Antworten."

70 Militärs, 800 Menschenrechtsverbrechen

Wie die Kommission an die Dokumente kam, ist nicht bekannt. Vermutlich hat sie sie bei ihrem Argentinienbesuch im September 1979 mitgenommen. Jetzt, nach über 30 Jahren, werden sie als Beweismittel im Prozess um die Menschenrechtsverbrechen in der berüchtigten Escuela Mecánica de la Armada (ESMA) dienen.

Bei dem Megafall ESMA müssen sich rund 70 ehemalige Militärangehörige der ESMA wegen 800 Menschenrechtsverletzungen vor Gericht verantworten. Die Mechanikerschule der Marine war das größte geheime Haft- und Folterzentrum in der Hauptstadt Buenos Aires. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass dort mehr als 5.000 Menschen gefoltert wurden und verschwanden. In dem Verfahren geht es auch um die Todesflüge.

In einem ersten Urteil waren im Oktober 2011 zwölf ehemalige Militärs zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dabei ging es auch um die Ermordung der französischen Nonnen Alice Domon und Leonie Duquet sowie eine der Gründerinnen der Mütter der Plaza de Mayo, Azucena Villaflor de Vincenti. Die drei Frauen waren im Dezember 1977 verschleppt und lebend aus einem Flugzeug in den Atlantik geworfen worden. Ihre sterblichen Überreste waren später in namenlosen Gräbern entdeckt und 2005 identifiziert worden.

Im gerichtsmedizinischen Bericht hieß es damals, die Art der Knochenbrüche lasse den Schluss zu, dass sie aus großer Höhe auf eine Wasseroberfläche aufgeschlagen sind. Außerdem seien Spuren des Betäubungsmittels Pentotal nachweisbar.

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