Dirk Niebel über Entwicklungshilfe: "Wir sind keine Kolonialherren"

Dirk Niebel spricht über 68er in Afrika, über mehr Geld und seinen Plan, die Spuren seiner Vorgängerin zu tilgen: "Karitative Tätigkeit ist 'nice to have'".

Wer dreht hier wem was an? Dirk Niebel prüft - wie immer - alles genau. Bild: dapd

taz: Herr Niebel, Ihr Ministerium feiert das 50-jährige Bestehen. War die deutsche Entwicklungshilfe erfolgreich?

Dirk Niebel: Es gibt Länder, in denen viel erreicht wurde, aber auch schlechte Beispiele. Die Arbeit hat sich verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es um Wiedergutmachung, im Kalten Krieg um strategische Motive. Heute sprechen wir von Entwicklungszusammenarbeit statt -hilfe. Denn wir arbeiten nicht mit Taschengeldempfängern, sondern mit souveränen Staaten, die eigene Interessen haben. Wir sind keine Kolonialherren.

Wo liegen die deutschen Interessen?

In der Stabilität von Regionen, in der Krisenprävention. Unser Interesse sind alle Formen von internationalen Kontakten: persönlich, kulturell, wirtschaftlich.

Viele Ihrer Mitarbeiter haben sicher nicht wegen der Eigeninteressen das Berufsfeld Entwicklungspolitik gewählt - sondern um etwas Gutes zu tun.

Der Minister: Niebel, 48, war acht Jahre lang Zeitsoldat bei der Bundeswehr, studierte Verwaltungswesen und ist Diplom-Verwaltungswirt. Er trat 1990 der FDP bei, ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter und war von 2005 bis 2009 FDP-Generalsekretär. Seit 2009 ist er Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Das Ministerium: Am 14. November 1961 wurde Walter Scheel (FDP) zum ersten Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ernannt. Dieser Tag gilt als Gründungsdatum des Ministeriums, in dem die bis dahin auf verschiedene Ressorts verteilten Zuständigkeiten gebündelt wurden.

Eigene Interessen sind doch nichts generell Schlechtes. Karitative Tätigkeit ist "nice to have". Bei Hunger- oder Flutkatastrophen muss sie sein. Aber so verändere ich keine Strukturen. Meine Mitarbeiter sind erfahren genug zu wissen, dass das Verteilen guter Taten allein nicht hilft.

In weiten Teilen Afrikas gibt es kaum Verbesserungen, obwohl es seit Jahrzehnten Entwicklungshilfe gibt. Warum?

Ich bestreite, dass das so ist. Der Kontinent besteht aus 54 souveränen Staaten mit ganz unterschiedlichem Entwicklungsstand, von Somalia bis Südafrika. In manchen Ländern gibt es große Fortschritte, in anderen nicht.

Was halten Sie von dem Ökonomen James Shikwati aus Kenia, der am liebsten gar keine Entwicklungshilfe mehr in seinem Kontinent hätte?

Ein intelligenter Mann, dessen Kritik ich nicht in jedem Punkt teile. Man tut aber gut daran, ihm zuzuhören, um bessere Entwicklungspolitik zu machen.

Wo teilen Sie die Kritik?

Es gibt eine Art der Kooperation, die entmündigend wirkt. Manche Staaten sind überfördert, nicht überfordert. Eigeninitiative ist geschwächt worden, wenn Eliten aus dem Partnerland aus der Verantwortung entlassen wurden. Das klassische Beispiel: der Alt-68er, der sein Afrikaprojekt entwickelt hat und dann bis zum Ende seiner Tage kleine Kinder unterrichtet.

Aus Ihrem Haus ist Kritik zu hören: Inhaltliche Themen finden nicht mehr statt, der Minister kümmert sich nur noch um Organisation und PR.

Diese Kritik hat mich nicht erreicht. Ich bin aber auch kein regelmäßiger taz-Leser. Wir haben ein Bildungskonzept und ein Schwellenländerkonzept erarbeitet, genauso eines zur ländlichen Entwicklung, eine Rohstoffstrategie, an Regionalkonzepten der Bundesregierung für Afrika und Lateinamerika mitgewirkt und noch viel mehr inhaltliche Arbeit geleistet.

Deutschland hat sich verpflichtet, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe auszugeben. Sie stagnieren bei 0,38. Wäre es zum 50. Geburtstag des Ministeriums an der Zeit, zuzugeben, dass Sie es nicht erreichen?

Das wäre grundfalsch. Denn wir werden es schaffen. Außerdem würde ein Abgehen von den Zielen die Schleusentore in die andere Richtung öffnen und Begehrlichkeiten wecken. Zudem ist es falsch, Erfolg an der Menge des Geldes zu messen.

Die Punkte widersprechen sich. Wie ist es denn nun? Schaffen Sie es? Oder dürfen Sie nur nicht sagen, dass es nicht so ist?

Alle drei von mir genannten Punkte stimmen. Wir können es schaffen. Ich habe das Amt bei 0,35 übernommen, 2010 sind es 0,39 gewesen. Wir sind der viertgrößte Entwicklungsgeber weltweit.

Sie sagen, Sie dürfen das Ziel nicht aufgeben, weil das Begehrlichkeiten weckt. Ist das ein Eingeständnis, dass Sie eigentlich nicht mehr wirklich daran glauben?

Überhaupt nicht. Die Skeptiker dürfen nicht bedient werden. Ich gehe davon aus, dass wir es schaffen. Die Bundeskanzlerin hat es auch immer wieder betont. Es ist nicht leichter geworden durch Schuldenkrise und -bremse. Dennoch gibt es Zuwächse von 164 Millionen Euro. Alle anderen Etats - außer dem Bildungsetat - müssen Kürzungen hinnehmen! Das zeigt, wie ernst das Ziel gemeint ist.

Tatsächlich bräuchten Sie ungefähr das Zehnfache - pro Jahr.

Das habe ich auch schon mal gehört. Ich habe es nie nachgerechnet, denn die Quote hängt ja von der Wirtschaftsleistung ab - und unser Ziel kann auch nicht sein, dass die in Deutschland sinkt!

Vorschlag: Die FDP schenkt sich die Steuersenkungen und Sie geben das Geld für Entwicklung aus.

Die Bundesregierung hat sich insgesamt für Steuersenkungen eingesetzt. Es ist richtig, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihren Lohnzuwächsen etwas behalten. Dadurch wird Kaufkraft geweckt und die Konjunktur stabilisiert. Diese Steuerentlastung ist dringend notwendig.

Das Geld fehlt der Entwicklungshilfe.

Nein, definitiv nicht. Denn die Wirtschaft kann so wachsen. Damit wird Steuergeld eingenommen und die Basis für gute Entwicklungspolitik geschaffen.

Und diesen Umweg finden Sie als Entwicklungsminister richtig?

Absolut. Ich finde ihn überfällig.

Selbst Finanzstaatssekretär Hartmut Koschyk hat eine Initiative unterschrieben, die sich für mehr Entwicklungsgeld einsetzt.

Das finde ich gut. Es unterstützt mich. Ich selbst unterschreibe nicht, weil ich mich selbst nicht zu etwas auffordern kann.

Wenn die staatlichen Gelder nicht reichen, müssen alternative Finanzierungsinstrumente her. Wie stehen Sie mittlerweile zur Finanztransaktionsteuer?

Die Bundesregierung will sie global. Das ist schwer durchsetzbar - also wollen wir sie zumindest europaweit. Mir persönlich sind marktwirtschaftliche Prinzipien aber lieber als eine Steuer. Die Finanztransaktionsteuer ist nicht kreativ genug. Ich bevorzuge andere Methoden, wie den Entwicklungsschatzbrief. Der ist leider erst dann umsetzbar, wenn die Zinsen wieder höher sind.

Die Bundesregierung will sie, gerade der Entwicklungsminister aber nicht - finden Sie das nicht komisch?

Die Finanztransaktionsteuer erinnert mich an den Jäger 90. Auch damals wurden die möglicherweise eingesparten Mittel für viele Dinge gleichzeitig ausgegeben. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass eine Finanztransaktionsteuer zu hundert Prozent in den Entwicklungsetat fließt. Die Steuer würde vor allem der Finanzierung der Krise dienen. Deswegen denke ich: Es gibt cleverere Methoden und Instrumente, zusätzliches Geld für Entwicklung zu bekommen.

Vor dem Jubiläum gab es Streit mit der SPD. Der ehemalige Minister Erhard Eppler wollte sprechen, Sie wollten das nicht. Warum?

Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte des Ressorts haben ehemalige Minister bei Jubiläen gesprochen. Der Bundespräsident wird sprechen, es gibt einen kulturellen Rahmen. Wir wollen mit dieser Veranstaltung in die Zukunft weisen und nicht alle ehemaligen Minister über die Veränderung in dem Politikfeld räsonieren lassen.

Der Konflikt zwischen Ihrer Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und Ihnen eskalierte danach. Warum kommen Sie beide so schlecht miteinander klar?

Das kann ich nicht bestätigen.

Wenn drei ehemalige Minister nicht erscheinen und Sie danach in einem Interview sagen, dass zwar noch nicht alle Spuren von Wieczorek-Zeul im Ministerium getilgt sind, Sie "aber daran arbeiten", dann ist das keine Eskalation?

Die Kritik meiner Amtsvorgängerin zielt darauf, dass ich eine andere Politik betreibe. Dafür bin ich aber gewählt worden. Wenn sie mir vorwirft, dass ich die Spuren im Haus tilgen will, dann sage ich: Diese Kritik ist nicht berechtigt. So weit bin ich noch nicht.

Sie betonten aber, dass Sie daran arbeiten.

Ich sage ja: So weit bin ich noch nicht.

Übersetzt heißt das, Sie wollen die SPD-Spuren im Ministerium tilgen.

Wir haben mal gefordert, das Ministerium mit dem Außenministerium zusammenzulegen, weil wir gegen die Politik von Heidemarie Wieczorek-Zeul gewesen sind. Wir haben für falsch gehalten, was sie gemacht hat. Seit wir gestalten können, machen wir die Dinge anders. Dazu stehe ich.

Was heißt das für das Entwicklungsministerium - immerhin haben Sie viele Mitarbeiter übernommen, die noch aus der Zeit Ihrer Vorgängerin stammen?

Das Haus ist ein Bundesministerium. Die Mitarbeiter sind hochkompetent, loyal und üben fachlich ihre Tätigkeit aus. Sie dienen der demokratisch legitim ins Amt gewählten Regierung.

Dienen ist das passende Wort?

So steht es im Beamtengesetz. Pflicht zum treuen Dienen. Ich hätte mir auch eine andere Formulierung vorstellen können.

Warum rasseln Sie und Frau Wieczorek-Zeul immer so zusammen?

Frau Wieczorek-Zeul hat mich mehrfach persönlich kritisiert, was für eine Amtsvorgängerin sehr unüblich ist. Darauf habe ich nicht reagiert. Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, da reagiert man. Das habe ich gemacht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.