Diskussion in Saarlouis: Wofür steht die SPD, Herr Maas?

Im Gespräch mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) über soziale Gerechtigkeit und die Chancen seiner Partei.

In Saarlouis wurde im Theater am Ring rege diskutiert Bild: Malaika Rivuzumwami

von ANN-KATHRIN LIEDTKE

Vorbei an Stahlbauten, stillgelegten Gruben, mittlerweile bewaldeten, aber dennoch unnatürlich in die Höhe ragenden Schuttbergen: schon in der Landschaft zeigt sich Saarlands Imageproblem. Jede zweite Familie lebte hier früher vom Bergbau. Doch das ist lange vorbei: Im Juni 2012 wurde der Betrieb der einzig aktiv verbliebenen Grube Saarlouis-Ensdorf eingestellt. Nun ist vor allem Ford mit rund 6.500 Arbeitsplätzen einer der größten Arbeitgeber in der Region.

Hier, in seiner Geburtstadt Saarlouis – mit knapp 34.000 EinwohnerInnen die sechstgrößte Stadt des Saarlandes – traf taz.meinland Bundesjustizminister Heiko Maas. Zusammen mit ihm diskutierten die taz-RedakteurInnen Barbara Junge und Jan Feddersen über Hasskriminalität, den Erfolg der AfD und das Wahlprogramm der SPD.

Wir müssen reden – sagt die taz. Bis zur Bundestagswahl im September tourt taz.meinland durch die Republik. Wir wollen wissen: Was ist hier eigentlich los? Wie ist die Stimmung im Land und wo liegen die tatsächlichen Probleme und Chancen?

Eines dieser Probleme, so ordnet Heiko Maas die Geschehnisse der vergangenen zwei Jahre ein, liege darin begründet, dass der verstärkte Zustrom geflüchteter Menschen bei vielen in Deutschland Ängste ausgelöst habe, die von Populisten instrumentalisiert wurden. Die Lage habe sich aber mit der Zeit – und etwaigen politischen Maßnahmen – entpannt.

„Ich denke die Populisten haben ihr Angstmacherthema verloren“, sagt Maas. „Und ich bin überzeugt davon, dass sich viele von ihnen inzwischen selbst entlarvt haben oder sogar gestellt wurden.“ Dennoch gäbe es keinen Grund sich zurück zu lehnen: Hasskriminalität in den Sozialen Netzwerken sei um über 300 Prozent gestiegen. „Gewalt entsteht zuerst im Kopf.“ Das Internet bietet oftmals die erste Plattform.

Soziale Gerechtigkeit, eine Illusion?

Das Publikum an diesem Abend wirkt konzentriert. Überwiegend – so der Eindruck – ist man bereits überzeugt von Maas. Seine Aussagen werden mit sympathisierendem Nicken und zaghaften Applaus begleitet – übermäßige Empörung oder Begeisterung sind selten auszumachen.

„Mit Höcke würde ich mich nicht mehr in eine Talkshow setzen.“

In der Diskussion dreht es sich – die diesjährigen Bundestagswahlen am 24. September im Blick – besonders um den Wahlkampf der SPD, die sich nach drei verlorenen Landtagswahlen immer noch in einem Stimmungstief befindet. Wenig überraschend machte die Partei soziale Gerechtigkeit zum Kerninhalt ihres Wahlprogramms. „Ist soziale Gerechtigkeit nicht eigentlich eine Illusion?“, hakt Barbara Junge nach. „Gibt es momentan nicht wichtigere Themen als soziale Gerechtigkeit?“

„Die FDP sagt, in einer Welt, in der jeder dafür sorgt, dass es einem selbst gut geht, geht es irgendwann allen gut“, antwortet Maas. „Ich finde das funktioniert so nicht. Wir müssen auch schauen, dass es anderen gut geht. Wir können das nicht alleine schaffen.“

Ein Gefühl des Abgehängt-Sein

Doch wo fängt wer am besten an, um anderen zu helfen? „Wir haben gemerkt: Abgehängt-Sein, weniger soziale Gerechtigkeit, ist ein entscheidendes Thema. Das Gefühl, dass die Gesellschaft auseinander bricht“, erzählt Jan Feddersen und schöpft aus seinen Erfahrungen rund 50 Termine von taz.meinland in ganz Deutschland, wo sich dieser Eindruck immer wieder bestätigte. „Angela Merkel scheint das Bild des Zusammenhalts besser zu transportieren als die SPD.“

„Das weise ich entscheidend zurück!“, erwidert Maas. Was Angela Merkel repräsentiere sei Stabilität, wenig Veränderung, eine relativ geringe Arbeitslosigkeit – aber nicht unbedingt ein Bild der Gerechtigkeit.

„Ich finde in der digitalen Welt zeigt sich, wie die Gesellschaft auseinander brechen kann.“

Sind die WählerInnen also bequem geworden? Zunächst wirkte der Schulz-Effekt auch im Saarland. Die Umfragewerte der SPD stiegen, erstmals wurde ernsthaft über eine Rot-Rot-Grüne Koalition nachgedacht. Dann kam die saarländische Landtagswahl: 40,7 Prozent für die CDU, 29,6 Prozent für die SPD. Eine herbe Niederlage. Dazu 6,1 Prozent für die AfD.

Die Bekanntgabe des Bundeskanzlerkandidaten der SPD habe, so Maas, den BürgerInnen vor allem eines signalisiert: Es gibt eine Alternative zu Merkel. Im Nachhinein betrachtet, räumt er ein, hätte seine Partei anschließend mehr Präsenz zeigen sollen. Doch die Serie der Niederlage bei den Landtagswahlen habe es der Partei und Schulz sehr schwer gemacht.

Ist die Wahl also schon entschieden? „Ich finde es arrogant von jemandem wie Christian Linder, wenn er sagt, die Wahl sei zum jetzigen Zeitpunkt bereits entschieden. Noch ist alles offen.“ Außerdem könne es nicht sein, dass es nicht um die Wahl eines Kanzlers oder einer Kanzlerin gehe, sondern nur darum, wer die Koalition mit Angela Merkel bilde.

SPD im Sinkflug – Was tun?

Die sinkenden Umfragewerte der SPD sind auch mit der Abwanderung der WählerInnen zu anderen Parteien zu erklären. „Leute, die früher bei der SPD waren sind nun Mitglied der AfD. Es ist schmerzlich, dass es so eine Entwicklung gab. Ich bin aber der Auffassung, dass man niemanden verloren geben darf“, meint Maas. Auch deswegen habe er sich dafür eingesetzt nicht pauschal die Teilnahme an Talkshows zu verweigern, bei denen Mitglieder der AfD anwesend seien. Denn hier liege die Chance die MitgliederInnen zu entlarven. „Mit Höcke würde ich mich aber nicht mehr in eine Talkshow setzen. Seit er die bescheuerte Idee hatte da rechtspopulistische Sprüche und eine Deutschlandflagge auszupacken.“

Der Hass der Rechtspopulisten habe dennoch überrascht. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Zwickau wurde der Bundesjustizminister von rund 70 Demonstrierenden empfangen. „‚Nazi-Schwein‘, ‚Stasi-Sau‘, ‚Hau ab!‘ stand auf den Plakaten. Bei manchen ist der Hass so groß geworden, dass kein Dialog mehr möglich ist.“

Auch im Saarland sitzen Mitglieder der AfD in den Stadträten. Der Diskussion müsse man sich stellen und im Einzelfall entscheiden, ob jemand zu überzeugen sei.

Nichts tun ist keine Alternative

Trotz allgemeiner Zurückhaltung bewegt ein Thema das Publikum der taz-Veranstaltung besonders: Hasskriminalität im Internet. „Wie soll das neue Gesetz genau aussehen?“, fragt ein junger Mann aus dem Publikum. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass so etwas zu steuern ist. Vielleicht sollte man Hass-Kommentare lieber ins Rampenlicht zerren, um die Täter zu enttarnen, statt sie zu löschen.“

Mit dem sogenannten „Facebook-Gesetz“ von Justizminister Maas, das der Bundestag mit den Stimmen von Union und SPD angenommen hatte, soll es möglich sein, dass Online-Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube „offenkundig strafbare Inhalte“ binnen 24 Stunden nach dem Hinweis löschen. KritikerInnen sehen vor allem die Meinungsfreiheit im Internet gefährdet.

„Der Müll soll nicht im Netz bleiben“, sagt Maas. Vielen Menschen fehle außerdem jegliches Bewusstsein dafür, was im Netz strafbar sei. Aber: „Das Netz bleibt frei. Das Gesetz ist Neuland, das stimmt. Doch die schlechteste Alternative ist, nichts zu machen.“

Ein Polizeibeamter aus dem Publikum pflichtet dem Minister bei: „Ich muss sagen, dass die Behörden dankbar sind, dass unser Justizminister dieses Gesetz auf den Weg gebracht hat. Bisher hatten wir faktisch keine Möglichkeit etwas zu löschen, das muss man mal so zugeben.“ Nun seien Verpflichtungen für die BetreiberInnen geschaffen worden. „Ich finde in der digitalen Welt zeigt sich, wie die Gesellschaft auseinander brechen kann. Gerade deswegen muss man sich auf Hasskriminalität im Netz einstellen.“

meinland, deinland, unserland

Während Maas beim Thema „Soziale Gerechtigkeit“ bei eher eingeübten Antworten bleibt und Mindestlohn, bedingungsloses Grundeinkommen oder die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz im Schnelldurchlauf abgehandelt werden, entlockten ihm die ModeratorInnen zum Schluss noch einige nicht-standardisierte Antworten: Wie stellt sich nun Heiko Maas sein Land vor?

„Mein Land ist ein freies Land, in dem die demokratische Grundordnung und Meinungsfreiheit gilt“, sagt Maas. „Und mein Land ist ein Land, in dem jeder eine Chance hat und die darf nicht von der sozialen Schicht abhängig sein.“