Diskussion über Arztgeheimnis: „Schnellschussartige Vorschläge“

Therapeuten lehnen die Lockerung der Schweigepflicht entschieden ab. Bei Gefahr ist jetzt schon ein Bruch des Arztgeheimnisses zulässig.

Eine Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht könnte zur Folge haben, dass PilotInnen gar nicht mehr zu MedizinerInnen gehen. Bild: dpa

FREIBURG taz | Noch ist es nur naheliegend, aber nicht sicher, dass Andreas L. den Absturz des Airbus absichtlich verursachte. Naheliegend scheint auch, dass dies mit seinem psychischen Zustand zu tun hatte. Seitdem die Uniklinik Düsseldorf am Montag die Krankenakten von L. der Staatsanwaltschaft übergeben hat, ist bekannt, dass L. früher von einem Psychologen als suizidgefährdet eingeschätzt worden ist. Außerdem war er am Tag seines mutmaßlichen Selbstmords krankgeschrieben, hatte das aber verschwiegen.

Deshalb geraten nun die Ärzte in den Blick, bei denen sich L. privat behandeln ließ. Hätten sie seinen Arbeitgeber Germanwings oder das Luftfahrtbundesamt als Aufsichtsbehörde warnen müssen?

Dem steht die ärztliche Schweigepflicht entgegen. Ein Arzt muss über alle medizinischen und persönlichen Informationen schweigen, die er von einem Patienten kennt. Wenn er unbefugt Patientengeheimnisse weitergibt, macht er sich selbst strafbar (§ 203 Strafgesetzbuch).

Die Schweigepflicht soll sicherstellen, dass Menschen ohne Angst vor Nachteilen zum Arzt gehen. Die Schweigepflicht soll zudem ermöglichen, dass Patienten offen mit dem Arzt reden, was die Erfolgschancen einer Behandlung erhöht. Allerdings ist ein Arzt unter bestimmten Bedingungen verpflichtet oder auch berechtigt, die Schweigepflicht zu brechen.

Fragebogen: In den USA müssen sich Piloten keinen regelmäßigen psychologischen Überprüfungen unterziehen. Ihre körperliche Fitness wird jedes Jahr gecheckt, bei Piloten ab 40 Jahren sogar alle sechs Monate. Psychische Unregelmäßigkeiten wie Depressionen werden während des medizinischen Checks mit einem Fragebogen erfasst. Über eine psychologische Ausbildung, mit der sie selbstmordgefährdete Piloten in Gesprächen erkennen könnten, verfügen die Ärzte der US-Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) nicht.

Meldepflicht: Eine Ausnahme stellen Piloten dar, die akut unter Psychopharmaka wie Antidepressiva stehen und dies der FAA gemeldet haben. Sie müssen Erfolge in der Behandlung und die Unbedenklichkeit der Medikamente für die Steuerung des Flugzeugs individuell nachweisen. Auch in den USA wird derzeit über regelmäßige psychologische Checks von Piloten diskutiert. (tk)

So muss er der Polizei mitteilen, wenn ein Patient während der Behandlung angekündigt hat, schwere Verbrechen zu planen. Wer so etwas für sich behält, macht sich wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten strafbar (§ 138).

Auch bei einem „rechtfertigenden Notstand“ (§ 34) darf der Arzt nach Abwägung der Interessen das Patientengeheimnis brechen. Erforderlich ist dann aber eine „gegenwärtige, nicht anders abwendbare“ Gefahr. Das wäre etwa der Fall, wenn ein Pilot ankündigt, noch am gleichen Tag trotz Krankschreibung zu fliegen.

Schwierige Entscheidung

Wenn keine „gegenwärtige“ Gefahr vorliegt, will die Bundesärztekammer bereits die „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ ausreichen lassen. Da bei Andreas L. zuletzt zwar eine Depression, aber weder Selbstmordabsichten noch Aggressionen gegen andere attestiert wurden, ist fraglich, ob dies einen Bruch des Arztgeheimnisses gerechtfertigt hätte.

Man kann den Schutz des Arztgeheimnisses natürlich lockern und verlangen, dass Ärzte jede psychische Krankheit eines Piloten melden können oder sogar müssen. Dann aber riskiert man, dass psychisch angeschlagene Piloten gar nicht mehr zum Arzt gehen und nicht einmal Hilfe suchen. Damit wäre der Sicherheit auch nicht gedient – im Gegenteil.

Die Psychotherapeuten lehnen eine Lockerung der Schweigepflicht jedenfalls ab. Sie sei ein zentraler Bestandteil der Therapie, sagte Dieter Best, Vorsitzender der Psychotherapeuten Vereinigung, der Agentur epd. Er warnte vor „schnellschussartigen Vorschlägen“ nach dem Absturz. Es müsse zudem verhindert werden, dass psychisch kranke Menschen stigmatisiert werden.

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