Diskussion um Abschiebungen nach Syrien: Merz will abschieben und einladen
Kanzler Merz hat sich für Abschiebungen nach Syrien ausgeprochen – und den syrischen Übergangspräsidenten eingeladen. Linke und Grüne sind entsetzt.
taz/afp | Nachdem sich auch Bundeskanzler Friedrich Merz zu Abschiebungen nach Syrien eingelassen hat, äußern Opposition und Hilfsorganisationen ihr Befremden über die Debatte. Merz war am Montagabend seinem Bundesaußenminister und Parteikollegen Johann Wadephul in den Rücken gefallen, der öffentlich bezweifelt hatte, dass Abschiebungen nach Syrien möglich seien.
Merz sagte, es gebe für Syrer*innen „keinen Grund für Asyl mehr“ in Deutschland, und hatte die Erwartung ausgesprochen, dass viele von ihnen freiwillig in ihre Heimat zurückkehren werden. Wer sich jedoch weigere, den könne man „selbstverständlich auch in Zukunft abschieben.“ Aktuell finden keine Abschiebungen nach Syrien statt, allerdings arbeitet das Innenministerium nach eigener Aussage daran, diese zunächst für Straftäter zu ermöglichen. Die meisten Syrer in Deutschland haben befristete Aufenthaltsgenehmigungen und genießen als Bürgerkriegsflüchtlinge subsidiären Schutz. Zwar sagte Außenminister Wadephul inzwischen, es gebe keine Differenzen zwischen ihm und Merz, doch die öffentliche Kritik hält an.
Politiker*innen von SPD, Grünen und Linken hatten sich am Wochenende erfreut über Wadephuls Aussagen gezeigt und ihn gegen die aufkommende Kritik aus der CDU in Schutz genommen. So sagte der SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf, Wadephul habe sich „sehr ausgewogen“ geäußert und klargemacht, „dass die Dinge nicht so einfach gelagert sind, wie sie manchmal dargestellt werden“.
Dass nun auch Merz sich deutlich für Abschiebung aussprach, kritisierte am Dienstag die Grünen-Abgeordnete Lamya Kaddor. „Zu glauben, man könnte jetzt massenhaft abschieben, verkennt die Realität vor Ort“. Sie hatte Wadephul auf der Reise nach Syrien begleitet. Ihr Parteikollege und innenpolitischer Sprecher der Fraktion Marcel Emmerich sagte, dass mehr als die Hälfte der Krankenhäuser in Syrien nicht mehr funktionierten und „dass die Infrastruktur dann natürlich nach Jahren des Bürgerkrieges vollkommen zusammengebrochen ist“.
Al-Scharaa: Erst auf der Terrorliste, jetzt vom Westen hofiert
Cansu Özdemir, außenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, nannte Merz’ Aussagen „verantwortungslos und zynisch“. Der Kanzler versuche „mit dem Thema Abschiebungen von den sozialen Problemen in Deutschland abzulenken“ und ignoriere die Realität vor Ort. Özdemir warnte davor, den syrischen Präsidenten Ahmed al-Scharaa in Berlin zu empfangen. Merz hatte eine entsprechende Einladung ausgesprochen. Dies zeige, „wie wenig der Union humanitäre Werte bedeuten“, so Özdemir. „Al-Scharaa ist ein Verbrecher, der nicht von der Bundesregierung hofiert werden darf.“
Al-Scharaa hatte als Anführer der Miliz HTS Ende 2024 die Macht in Syrien übernommen und den Langzeitdiktator Baschar al-Assad gestürzt. Die Miliz ist die Nachfolgeorganisation der Al-Nusra-Front, einem Ableger der dschihadistischen Terrororganisation Al-Qaida. Die Al-Nusra-Front soll unter anderem an Massakern an Zivilist*innen in Syrien beteiligt gewesen sein. Auch deshalb stand al-Scharaa lange auf Terrorlisten der USA. Seit seiner Machtübernahme gibt er sich gemäßigt und wird vom Westen teils hofiert. Unter seiner Herrschaft kam es im letzten Jahr aber mehrmals zu Massakern regierungsnaher Milizen an Mitgliedern verschiedener Minderheiten, teils mit hunderten Toten.
Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl äußerte Kritik. Deren Sprecher Tareq Alaows sprach von „14 Jahre Krieg, zerstörten Infrastrukturen, humanitärer Not und fehlender Sicherheit“ in Syrien. „Und Unionspolitikern fällt wieder einmal nichts anderes ein, als Abschiebungen zu fordern.“ Damit stoße die Union „Hunderttausende vor den Kopf, die sich längst unserer Gesellschaft zugehörig fühlen.“
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