Diskussion um Unwort des Jahres: Hetze erlaubt, Information verboten

„Babycaust“ solle zum Unwort des Jahres 2017 gewählt werden, meint die Lagergemeinschaft Auschwitz. Sie hat gute Gründe dafür.

zwei Frauen halten an einer befahrenen Straße Transparente hoch

„Keine toten Frauen mehr. Legale Abtreibung jetzt.“ Darum geht es – hier in Peru und weltweit Foto: dpa

Volksverräter. Gutmensch. Lügenpresse. So lauten sie, die Unwörter der vergangenen Jahre. Nun bitten die sechs Juror*innen wieder um Vorschläge bis zum 31. Dezember. Wenn es nach Neithard Dahlen geht, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins „Lagergemeinschaft Auschwitz – Freundeskreis der Auschwitzer“, dann wird das Unwort des Jahres 2017 lauten: Babycaust.

In die Welt gesetzt haben diese Konstruktion aus „Baby“ und „Holocaust“ radikale Abtreibungsgegner*innen. Auf deren Webseite babykaust.de stehen unter dem Bild des Auschwitz-Tors die Worte „damals KZ’s“ (sic!), das Bild daneben zeigt einen Arzt zwischen den Beinen einer liegenden Frau, darunter steht: „heute OP’s“ (sic!). „Der neue Holocaust“ heißt es im Titel-Element der Webseite, auf der sich auch eine blutige Namensliste von Ärzt*innen findet, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, dazu Bilder blutiger Embryonen.

Ein Unwort des Jahres muss gegen die Prinzipien der Menschenwürde oder der Demokratie verstoßen, einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder „euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend“ sein. „Es verstößt gegen die Menschenwürde, den Tod und das unsagbare Leid von Millionen Menschen für eigene Zwecke zu instrumentalisieren und mit einem makaberen und zynischen Wort zu benennen“, sagt Neithard Dahlen. Der Begriff diskriminiere zudem Ärzt*innen, die den Eingriff vornehmen.

Nun sind das Wort „Babycaust“ und die Webseite so geschmacklos, dass man sie ignorieren möchte. Doch an Ärzt*innen wird das Wort durch Hetzkampagnen zwangsläufig herangetragen. Und ungewollt Schwangere landen auf der Webseite, wenn sie im Netz suchen, wer Abbrüche durchführt. Denn Ärzt*innen selbst dürfen darüber nicht informieren – dank Paragraf 219 a StGB, dem Werbeverbot für Abtreibungen.

Juristisch war der Webseite bisher nicht beizukommen: Es handle sich um Meinungsäußerung, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2015. Ein Grund mehr, gesellschaftlich gegen den Begriff Position zu beziehen.

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leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

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