Diskussion um britischen EU-Austritt: Unternehmen gegen Brexit

Drei Millionen Arbeitslose mehr? 20 Milliarden Euro weniger? In der Brexit-Debatte werden große Zahlen verhandelt. Es fehlen an Sachlichkeit.

Millennium-Brücke in London im Regen

Ganz schön traurig, diese Brexit-Debatte: die Millennium-Bridge in London. Foto: reuters

LONDON taz | Die Protagonisten in den Lagern für und gegen den Austritt aus der EU in Großbritannien spielen gern mit großen Zahlen. So behauptete der Liberaldemokrat Danny Alexander zu Beginn der Debatte, der Austritt würde zum Verlust von drei Millionen Arbeitsplätzen führen, weil diese von Exporten in die EU abhingen. Daniel Verna vom Finanzinstitut Uni Credit prophezeite, längerfristig werde das britische Bruttosozialprodukt um 6 Prozent sinken und das Land in eine Rezession rutschen. Die Investmentbank Goldman Sachs sagt voraus, der Wert des britischen Pfund werde um 20 Prozent sinken.

Nachdem Londons Bürgermeister Boris Johnson sein Gewicht ins Brexit-Lager schmiss, fiel das Pfund um 1,7 Prozent gegenüber dem US-Dollar, der tiefste Fall seit sieben Jahren. Es mag ein Warnzeichen eines nervösen Sektors sein. Immerhin stehen viele aus dem Banken- und Finanzbereich gegen einen Austritt Großbritanniens aus der EU. Die Ratingagentur Moody’s warnte, dass Großbritannien sein AA1-Kreditrating verlieren würde, andere wie Goldman Sachs, Morgan Stanley und Meryll Lyon unterstützten das proeuropäische Kamp deswegen sogar mit direkten Spenden.

200 der führenden Firmen Großbritanniens unterschrieben am Dienstag ein Manifest für den Verbleib in der EU, unter ihnen erzbritische Namen wie Marks & Spencer und Vodaphone. Auch die Autoindustrie warnte vor einem Austritt. Doch als vor einigen Jahren der damalige liberale Finanzminister Gordon Brown einen Beitritt zum Euro erwog, warnten sie schon einmal, ohne die EU-Währung könne sie nicht bestehen. Brown blieb beim Pfund – und die Autoindustrie wuchs. Ein schwächeres Pfund könnte auch positiv für den Export sein.

Auch im Brexit-Lager schätzt man große Zahlen. Der Austritt würde laut der Gruppe „Leave.out“ Großbritannien 20 Milliarden Euro Ausgaben ersparen, mit einem Gewinn von 933 Pfund pro Haushalt. Zusätzlich bräuchte man nicht mehr Milliardenbeträge aufzuwenden, um EU-Richtlinien umzusetzen, rechnet Leave.out vor. Doch der Fall Norwegen zeigt, dass, um mit der EU weiter handeln zu können, 93 von 100 der wichtigsten Regeln eingehalten werden müssen. Und den Handel mit der EU wollen die Brexit-Gegner erhalten.

Auch der EU-Mitgliedsbeitrag beträgt mit 10 Milliarden Euro eher halb so viel wie von Leave.out angegeben. Dass 90 Prozent der britischen Landwirtschaft von EU-Subventionen abhängig sind, vor allem in Wales, Schottland und Nordirland, wird gern verschwiegen. Brexit-Befürworter Richard North, der ein Buch über die sterbende britische Landwirtschaft geschrieben hat, glaubt, dass die britische Regierung keine andere Wahl habe, als den Sektor selbst zu unterstützten.

Ein kritisches „Ja“ ist schon zu viel

Labour und die meisten Gewerkschaften kritisieren die EU, wollen aber Mitglied bleiben. Für einige ist aber auch ein kritisches Ja zur EU zu viel. So erklärte Keith Richmond, Sprecher der Lokführergewerkschaft Aslef, die von der EU-Kommission geforderte europaweite Privatisierung des Bahnnetzes habe die Gewerkschaft zu den Brexit-Befürwortern geführt. „Wir fordern, die Bahn in Großbritannien wieder zu verstaatlichen“, so Richmond. Außerdem hätte die EU zu wenig zum Schutz von Arbeitern beigetragen und würde sich immer mehr „zu einem Klub der Bosse entwickeln, wie das TTIP Abkommen beweise“.

Die Gewerkschaft der Bäcker und Lebensmittelarbeiter (BFAWU) stand zunächst ebenfalls für einen EU-Austritt, stimmte am Ende aber für den Verbleib. „Ohne die EU sind wir den neoliberalen Plänen der Tories schutzlos ausgeliefert“, erklärte Generalsekretär Ronnie Draper.

Einer dieser Neoliberalen mag der Tykoon John Mills vom Teleshoppingunternehmen JML sein. Arbeitnehmerrechte sind eher nicht sein Problem. Europa sei als Markt sowieso nicht mehr so interessant, dafür sei die Mitgliedschaft in der Europäischen Union viel zu teuer, sagte er dem Nachrichtensender der BBC.

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