Diskussion um neues Schulmodell: Rüttgers gegen Gemeinschaftsschule

Da Haupt- und Realschulen an Bedeutung verlieren, entwickeln CDU-Kommunen alternative Schulmodelle. Den Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers interessiert das nicht.

Nur die Gymnasien und die Gesamtschulen trotzen dem Schülerschwund. Bild: dpa

Alexander Ruhe hat eigentlich einen beschaulichen Job. Er ist Leiter des Fachbereichs Schule in der Gemeinde Ascheberg im Münsterland in Nordrhein-Westfalen, 15.000 Einwohner. Doch seit einigen Wochen klingelt sein Telefon öfter als früher. An der Leitung: Berufskollegen aus anderen Gemeinden Nordrhein-Westfalens, die sich nach der Schulpolitik in Ascheberg erkundigen wollen.

Denn um trotz kleinerer Jahrgänge in der Gemeinde Kindern und Jugendlichen aller Bildungsstufen eine Schule bieten zu können, hat Ascheberg einen besonderen Weg eingeschlagen. Der Stadtrat hat sich einstimmig für die Profilschule entschieden, in der alle Schüler gemeinsam bis zur neunten Klasse lernen können. Pikant: Damit widersprach die CDU-Mehrheit im Stadtrat der Linie des eigenen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, der jede Form von Gemeinschaftsschule wie dieser ablehnt.

Dem Problem müssen sich viele Gemeinden in Nordrhein-Westfalen stellen, denn die Zahlen sind alarmierend: Im abgelaufenen Schuljahr besuchten 37 Prozent weniger Schüler eine Hauptschule als sieben Jahre zuvor. Die Realschulen vermelden eine ähnliche Tendenz, wenn auch nicht ganz so stark: 16 Prozent beträgt der Rückgang der Schülerzahlen im gleichen Zeitraum. Ursache ist der demografische Wandel, der die Jahrgangsgrößen von Jahr zu Jahr verringert - aber auch das veränderte Wahlverhalten der Eltern, die ihre Kinder zunehmend auf höhere Schulen schicken. Für die Haupt- und Realschulen in ländlichen Gebieten ist diese Entwicklung existenzbedrohend. "Allein bei den Hauptschulen sind über zwei Drittel jetzt schon gefährdet", sagt die bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Sigrid Beer, "der demografische Bruch ist zu groß." Dass mehr integrierte Schulen gebraucht würden, zeigten die Kommunen gerade durch Eigeninitiativen: "Dort hat man begriffen, dass Bildung zu einem Standortfaktor geworden ist", sagt Beer.

Doch im verantwortlichen Landesministerium in Düsseldorf wird geblockt. Bildungsministerin Barbara Sommer (CDU) lässt durch ihren Sprecher ausrichten, dass das "bestehende System die optimale Förderung für die Schüler bedeutet" und sich das demografische Problem "nicht lösen lässt, indem man das Schulsystem ändert". Man sei trotzdem "offen" und entwickle "Konzepte".

Die Haltung der Ministerin bringt mittlerweile sogar den Koalitionspartner FDP auf die Palme. Deren Generalsekretär Christian Lindner poltert nun, "Bildungskonservative in der Union nehmen die Realitäten nicht zur Kenntnis". Auch Lindner fordert "flexible Lösungen", lehnt aber die Gemeinschaftsschule grundsätzlich ab. Sein Ansatz: "Neue Kooperationen und die regionale Schulautonomie stärken".

Die von Lindner geforderte flexible Lösung wurde nicht nur in Ascheberg schon umgesetzt, auch in anderen Kommunen in Nordrhein-Westfalen geht man alternative Wege. So will der parteilose Bürgermeister Jörg Schönenburg in der Gemeinde Schalksmühle eine Gemeinschaftsschule etablieren, und auch in Aschebergs Nachbargemeinde Drensteinfurt denkt Bürgermeister Paul Berlage (CDU) über eine ein solches Modell nach - gegen die Linie der eigenen Landesregierung. Auch dort habe man erkannt, dass eine Gemeinde es sich nicht leisten könne, für manche Jugendliche keine Schule anzubieten.

Unabhängig von der demografischen Entwicklung appelliert der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, für mehr integrative Lösungen im Schulsystem. "In diesen Modellen müssen Schüler nicht aus ihrem Umfeld heraus", andernfalls müssten sie die Schule verlassen, argumentiert Beckmann. Aber auch andersherum ergäben sich positive Effekte. "In Gemeinschaftsschulen profitieren die Schwächeren von den Anregungen der Stärkeren."

Für die Politik fordert Beckmann einen Bildungskonsens. "Es wäre wichtig, dass sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen, bisher ändert sich nach jeder Wahl wieder etwas." Beckmanns Fazit: "Gute Bildungspolitik ist keine Parteipolitik."

In Ascheberg ist Alexander Ruhe stolz darauf, dass man sich von Parteiinteressen lösen konnte und "eine pragmatische Lösung gefunden hat". Für die CDU-Mitglieder im Rat sei dies zwar schwierig gewesen, letztlich habe man aber eingesehen, "dass die Lösung einer Landesregierung nicht immer die beste Lösung für einen Ort sein muss".

Mittlerweile arbeitet man in Ascheberg mit voller Kraft daran, dass das ehrgeizige Projekt "Profilschule" auch umgesetzt werden kann. In der nächsten Woche gibt es Informationsveranstaltungen, in der folgenden Woche wird eine Umfrage im Ort gestartet, wie viele SchülerInnen sich tatsächlich bei einer solchen Schule anmelden würden. "Dies wurde uns von der Landesregierung auferlegt", sagt Ruhe.

Ob das Modell alle Hürden der Skeptiker um Rüttgers und Co passieren wird, ist aber auch für den Bildungsreferenten unsicher. Ruhe: "Es gibt Anzeichen, dass sich das Ministerium querstellt."

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