Dissens über Schulstruktur: Pisa + Schülermangel = Schule für alle

Seit dem Pisa-Schock haben die Kultusminister hektisch reformiert. Bei der Abschaffung von Hauptschulen klaffen die Meinungen jedoch immer noch auseinander.

Zweigliedriges oder dreigliedriges Schulsystem - wie kommt Bildung am besten bei den Schülern an? Bild: dpa

Vor fünf Jahren wurde Klaus Klemm noch als Sozialist beschimpft, wenn er auf Podien das dreigliedrige Schulsystem angriff. Heute führt die Hamburger CDU den Essener Bildungsforscher als Unterstützer der von ihr propagierten Stadtteilschule: "Wie bitte?", sagt Klemm perplex. Die CDU hatte den bekennden Befürworter gemeinsamen Lernens nie auf ihrer Rednerliste. Doch die Zeiten ändern sich und Klemm konstatiert: "Der Trend geht zur Zweigliedrigkeit."

Nicht wegen, sondern trotz Pisa. Denn als 2001 zum ersten Mal die für Deutschland schmerzlichen Pisa-Ergebnisse veröffentlicht wurden, rauften sich die 16 Kultusminister der Länder erstaunlich schnell zusammen und entschieden, die Frage der Schulstruktur erst gar nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Stattdessen legten sie sieben Handlungsfelder fest, auf die fortan Zeit, Geld und Energien zu konzentrieren seien. Getreu dem Motto "Je schneller die Schüler die Schule überwinden, desto besser" verkürzten sie unisono die Zeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre und entschieden sich außer Rheinland-Pfalz für zentrale Abiturprüfungen. Ebenso einmütig bauten die Kultusminister die Sprachförderung im Kindergarten aus und die Grundschulen zu Ganztagsschulen um.

Das Geld für diese Umbauten gab freilich der Bund, die rot-grüne Regierung legte vor drei Jahren das 4 Milliarden schwere Ganztagsschulprogramm auf.

Dagegen kommen die Kultusminister bei der Erneuerung der Lehrerbildung überhaupt nicht voran. Auch am Dienstag betonte zwar Hessens Kultusministerin Karin Wolff (CDU) wieder, wie wichtig eine gute Ausbildung und die Wertschätzung für Lehrer sei. Sie verschwieg aber, dass sie und ihre Kultuskollegen sich auch im Jahr sechs nach der ersten Pisa-Untersuchung nicht auf einheitliche bildungswissenschaftliche Standards der Lehrerausbildung einigen konnten.

Stattdessen schulen sie eifrig zusätzliche Inspektoren und Schulprüfer zur Kontrolle. "Testen, testen, testen", das sei die politische Hauptlehre nach Pisa 2001 gewesen, moniert Marianne Demmer von der Bildungsgewerkschaft GEW. Damit erreiche man aber zunächst keine Verbesserung des Unterrichts. Doch immerhin: "Die Tabuisierung der Strukturdebatte wurde nicht durchgehalten."

Pisa habe hier als Beschleuniger gewirkt, meint Demmer. "Aber die Demografie wird alle Bundesländer zwingen sich zu bewegen", prognostiziert sie.

Obwohl die CDU in ihrem Grundsatzprogramm am dreigliedrigen Schulsystem festhält, mehren sich die Abtrünnigen in den Bundesländern, die zumindest die Hauptschulen abschaffen wollen. In Schleswig-Holstein etwa wird die Zahl der Grundschüler bis 2010 um 20 Prozent schrumpfen. Die große Koalition aus CDU und SPD will Haupt- und Realschulen bis 2010 zu Regionalschulen zusammenfassen. Parallel dazu wurden in diesem Jahr sieben Gemeinschaftsschulen neu gegründet, in denen die Schüler bis zur zehnten Klasse gemeinsam lernen und das Abitur ablegen können.

Rheinland-Pfalz will von 2009 an die Hauptschulen schrittweise abschaffen. In der neuen "Realschule plus" lernen die bisherigen Haupt- und Realschüler mindestens bis zur siebten Klasse gemeinsam.

In Hamburg legte Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) ein Programm zur Fusion von Haupt-, Real- und Gesamtschulen zu Stadtteilschulen vor. Und weil Anfang 2008 in Hamburg gewählt wird, könnten die ersten Stadtteilschulen bereits im nächsten Jahr eröffnen. Dinges-Dierig wird in den eigenen Parteikreisen schon als neue Ursula von der Leyen bezeichnet.

Ihr Hamburger Modell inspirierte die Berliner Schulexperten der CDU im Sommer zu einem Masterplan Bildung, in dem Hauptschulen keine eigenständige Rolle mehr spielen. Der den Grünen gewogene CDU-Landeschef, Friedbert Pflüger, stellt sich hinter den Plan. Die mit der Linkspartei regierende SPD erhob vor einer Woche elf Schulverbünde in den Status der Gemeinschaftsschule, in denen Haupt-, Realschüler und Gymnasiasten gemeinsam lernen.

Doch die Gegenbewegung zur "Einheitsschule" hat ebenfalls eingesetzt. In Hessen stellte Kultusministerin Karin Wolff (CDU) in der vergangenen Woche die Zukunft der Hauptschule vor, das praxisorientierte Modell "Lernen und Arbeiten in Schulen und Betrieben" (SchuB). "Die Hauptschule als Auslaufmodell zu bewerten, führt zu Motivationsverlusten bei vielen jungen Menschen", sagt die einstige Gymnasiallehrerin. In Baden-Württemberg ignoriert Kultusminister Helmut Rau (CDU), unterstützt vom konservativen Philologenverband, konsequent die Forderung von 400 Schulleitern nach Abschaffung der Hauptschule (siehe taz vom 24. 11.). Auch der niedersächsische Bildungsminister Bernd Busemann (CDU) will die Hauptschulen nicht antasten. Stattdessen plädierte er am Wochenende in der Neuen Osnabrücker Zeitung für einen Ausstieg aus der Pisa-Studie.

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