Dogan Akhanli nach seiner Freilassung: "Ich kämpfe um meine Freiheit"

"Ich will einen klaren Freispruch", sagt der deutsch-türkische Schriftsteller Dogan Akhanli. Er hat Angst vor der ungerechten türkischen Justiz, bleibt aber trotzdem freiwillig in der Türkei.

Wartet auf seinen Prozess: Dogan Akhanli Bild: dapd

taz: Herr Akhanli, wie geht es Ihnen jetzt, drei Wochen nach Ihrer Freilassung aus der Untersuchungshaft?

Dogan Akhanli: Ich hatte zunächst Angst vor dem, was mich erwartet. In den letzten Jahren in Köln habe ich oft an unser Dorf, an meinen Vater und an meine Kindheit dort gedacht. Im Sommer letzten Jahres bin ich dann nach fast 20 Jahren in die Türkei zurückgekehrt, vor allem, weil ich meinen kranken Vater besuchen wollte - trotz des Risikos, verhaftet zu werden. Dann starb mein Vater, während der türkische Staat mich grundlos im Gefängnis festhielt. Ich war so entnervt und wütend auf diesen Staat, dass ich am liebsten direkt nach meiner Freilassung nach Deutschland zurückgeflogen wäre.

Das haben Sie aber nicht getan, stattdessen sind Sie in der Türkei geblieben.

Die Vita: Geboren 1957 im nordosttürkischen Savsat, Schriftsteller, lebt in Köln.

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Die Verhaftung: Im August vergangenen Jahres, als Akhanli zum ersten Mal nach 19 Jahren wieder in die Türkei reiste, um seinen schwerkranken Vater zu besuchen, wurde er verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm die Beteiligung an einem Raubüberfall im Jahr 1989 vor. Obwohl mehrere Zeugen ihn entlasteten, musste er vier Monate im Gefängnis verbringen, ehe er am 8. Dezember 2010 ohne weitere Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Während seines Gefängnisaufenthalts starb sein Vater. Gegen seine Verhaftung gab es in der Türkei wie im Ausland Proteste. Der Prozess soll ihm März fortgesetzt werden.

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Die Vorgeschichte: Vor dem Putsch 1980 war er in einer linken Organisation und tauchte danach unter. Von Mai 1985 bis September 1987 saß er im Gefängnis und wurde gefoltert. Im Jahr 1991 floh er nach Deutschland, bekam Asyl und wurde 2001 eingebürgert. Zuvor hatte die Türkei ihn ausgebürgert.

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Das Werk: Gerade erschien auf Türkisch sein Roman "Fasil". Auf Deutsch kam zuletzt das Buch "Die Richter des Jüngsten Gerichts".

Ich habe mich doch dazu entschlossen, zumindest am Grab meines Vaters Abschied zu nehmen und habe mich auf den langen Weg nach Ciritdüzü gemacht. Unser Dorf liegt am Schwarzen Meer, kurz vor der Grenze nach Georgien. Als ich in der Kreisstadt ankam, erfuhr ich von meiner Schwester als Erstes, dass unser Onkel gerade ins Krankenhaus gekommen war. Ich empfand das als einen erneuten Tiefschlag. Zum Glück war es ein Fehlalarm. Mein Onkel war so lebendig und begrüßte mich begeistert im Krankenhaus, mir fiel ein Stein vom Herzen.

Wie war es, nach so vielen Jahren in Ihr Dorf zurückzukommen?

Es war wie eine Heimkehr. Ich wurde begrüßt wie ein verlorener Sohn. Die Menschen im Dorf gaben mir das Gefühl, als wäre ich nur zwei, drei Tage weggewesen. Ich gehörte selbstverständlich dazu. Und sie waren stolz auf ihren Schriftsteller, ihren "Kämpfer gegen Ungerechtigkeit", wie eine Tante zu einem türkischen Fernsehsender sagte. Ich fühlte mich toll. Das war die Türkei, die ich so lange vermisst hatte.

Ging es Ihnen nur in Ihrem Dorf so oder haben Sie auch woanders, hier in Istanbul beispielsweise, die Türkei neu entdeckt?

Ja, auch Istanbul war aufregend und voller schöner Erfahrungen. Ich habe hier mein neues Buch "Fasil" vorgestellt. Ein Verlag, den ich über meinen Anwalt aus dem Gefängnis heraus kontaktieren konnte, hat das Manuskript in Rekordzeit bearbeitet und gedruckt. Die erste Lesung hier war wie ein Treffen unter Freunden; ein Treffen mit vielen Menschen, die mich unterstützt haben, während ich im Gefängnis saß. Es war für mich fast wie ein Traum, ich konnte kaum glauben, dass es real war.

Sie sind zwar jetzt nicht mehr im Gefängnis, aber Ihr Prozess geht ja im März weiter. Womit rechnen Sie?

Die Verhandlung ist lebenswichtig für mich. Ich will einen klaren Freispruch, es soll alles bis zum Ende geklärt werden. Für mein Gefühl war die Entlassung aus der Untersuchungshaft praktisch ein Freispruch. Ich kann nicht glauben, dass das Gericht im März die Farce fortsetzt und mich tatsächlich für etwas verurteilt, mit dem ich so offensichtlich nichts zu tun habe.

Werden Sie denn aus Köln zum Prozess anreisen?

Ich weiß es noch nicht genau, aber ich glaube, ich haue nicht mehr ab. Ich will im März da sein, ich will den Schutz, den mir die deutsche Staatsbürgerschaft bietet, nicht in Anspruch nehmen, sondern um mein Recht und meine Freiheit hier kämpfen.

Warum?

Für den Prozess selbst ist meine persönliche Anwesenheit nicht wichtig. Aber falls ich in Abwesenheit verurteilt würde, könnte ich nicht mehr in die Türkei fahren. Sie würden mir einen wichtigen Teil von mir nehmen, und das will ich nicht mehr zulassen. Dann müssen sie mich vor den Augen der Weltöffentlichkeit erneut verhaften und in den Knast stecken. Das wäre eine Kriegserklärung für mich, und ich will nicht mehr davor weglaufen.

Haben Sie keine Angst dabei?

Doch, ich habe riesige Angst. Die Richter und Staatsanwälte haben hier ja so viel Macht - man ist ihnen ausgeliefert. Nach meiner Verhaftung war klar, dass der Staatsanwalt mich im Gefängnis sehen wollte. Meine Version der Geschichte hat ihn überhaupt nicht interessiert, er hat nie mit mir geredet - er hat nicht ermittelt oder die Polizei ermitteln lassen. Selbst als ich 1985 vor dem Militärgericht stand, hatte ich nicht so ein Gefühl der Hilflosigkeit wie jetzt. Aber die großartige Solidaritätskampagne für mich in Deutschland und auch in der Türkei hat dann ja dafür gesorgt, dass sie mich nicht einfach im Gefängnis verschwinden lassen konnten. Das Schönste im Knast war übrigens, dass ich nach einiger Zeit die taz und die Zeit geschickt bekam. Ich konnte in aller Ruhe alles über diese blöde Sarrazin-Debatte lesen. Im Knast war das lustig zu lesen, wie da ganz Deutschland im Aufstand war.

Warum bleiben Sie nicht einfach in Köln und lassen die Türkei hinter sich?

Ich bin ein türkischer Schriftsteller. In den Jahren, in denen ich in Köln war und nicht in die Türkei fahren konnte, hatte ich Angst, mein Türkisch, den Anschluss an die lebendige Sprache zu verlieren. Ich hatte Angst, aus der türkischen Literaturszene herauszufallen. Es hat mich krank gemacht, dass ich nicht zurückfahren konnte. Ich habe mich intensiv mit der deutschen Sprache auseinandergesetzt, ich denke auch oft in Deutsch, aber wenn ich dann schreibe, ist es doch automatisch in Türkisch. Das war auch bei meinem letzten Buch so. Wenn ich in Deutsch hätte schreiben können, wäre das Exil vielleicht weniger Exil gewesen.

Ist "Fasil", die Geschichte einer Folterung, ein autobiografischer Roman?

Der Ausgangspunkt ist autobiografisch, ja. Mein Folterer, damals, 1985, war sehr musisch, er konnte traditionelle Fasil-Lieder singen. Ich habe aber nicht meine persönliche Geschichte erzählt, sondern zunächst mit vielen anderen Folteropfern geredet oder ihre Berichte gelesen. Beim Schreiben habe ich festgestellt, dass es mir viel schwerer fiel, dem Opfer eine Stimme zu geben als dem Täter. In dem Buch versucht ein Vater seinem Sohn zu erzählen, was ihm im Gefängnis zugefügt wurde. Er scheitert immer wieder daran.

Was hat sich für Sie durch die Erfahrungen des letzten halben Jahres verändert?

Meine Wut, die ich in Köln empfunden habe und natürlich als ich hier wieder ins Gefängnis gesteckt wurde, ist jetzt, nach der Freilassung, Schritt für Schritt zurückgegangen. Mein Traum jetzt ist, drei Monate im Jahr in mein Dorf am Schwarzen Meer zurückkehren zu können, um dort zu schreiben. In Deutschland alles vorzubereiten und zu recherchieren und dann hier im Dorf zu schreiben. Ich bin froh, dass ich nach meiner Freilassung nicht gleich zurückgeflogen, sondern noch vier Wochen hier geblieben bin. Ich kehre jetzt als veränderter Mensch nach Köln zurück.

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