Doku "Pornografie & Holocaust": Die Inszenierung der Gewalt

Die Doku "Pornografie & Holocaust" von Ari Libsker erzählt die Geschichte der Stalags. Die pornografischen israelischen Groschenromane spielten in deutschen Lagern.

Das erste seiner Art: "Stalag 13" von Elie Keidar alias Mike Baden. Bild: Verleih

Ein Reporter beschrieb es als "das schrecklichste Buch, das jemals auf Hebräisch erschienen ist". 1962 verbot ein israelisches Gericht einen Groschenroman mit dem Titel "Ich war Oberst Schultzes Hündin". Es handelte davon, wie ein SS-Offizier eine französische Insassin eines Gefangenenlagers foltert. Das Buch war eine extreme Version der sogenannten Stalag-Romane. Die Stalag-Welle hatte parallel zum Prozess gegen Adolf Eichmann das Land erfasst. Hunderte dieser Groschenromane wurden in hohen Auflagen an Kiosken in ganz Israel verkauft.

Der israelische Dokumentarfilm "Pornografie & Holocaust" von Ari Libsker widmet sich dem Phänomen. Er ist 2008 entstanden und nun in deutschen Kinos zu sehen. "Stalag 13" war das erste Buch, das 1961 dem Genre seinen Namen gab. Sein unerwarteter Erfolg provozierte die serielle Produktion von Geschichten, deren Plot immer derselbe war: Ein alliierter Soldat, meist ein amerikanischer Pilot, wird gefangen genommen und in einem deutschen Stammlager interniert, das von sadistischen weiblichen SS-Offizieren regiert wird. Der Gefangene wird gedemütigt, sexuell missbraucht und vergewaltigt. Doch die Geschichte nimmt ein gutes Ende: Der Soldat kann sich befreien und ist nun selbst derjenige, der die SS-Frauen sexuell ausbeutet und bestraft.

Libskers Film zeigt, dass die meisten der Autoren Kinder von Eltern waren, die im Schatten des Holocaust-Traumas lebten. Entweder waren die Eltern selbst Überlebende der Lager, oder sie hatten ihre Familien verloren. Anfang der Sechziger waren ungefähr die Hälfte aller Israelis Überlebende des Holocausts, über den aber fast nicht gesprochen wurde. Informationen waren rar, und Überlebende wurden oft mit Arroganz behandelt. Erst der Eichmann-Prozess setzte den Holocaust auf die Agenda. Zum ersten Mal waren die schwer erträglichen Berichte von Überlebenden zu sehen, zu hören und zu lesen.

Das Stalag-Genre brach ein doppeltes Tabu, indem es einerseits auf trivialisierende Weise den Holocaust berührte, wenn auch nur indirekt: Seine Geschichten spielten in Gefangenenlagern, nur selten in Konzentrationslagern. Andererseits führten die Romane Pornografie für ein größeres Publikum in einem puritanischen Land ein.

"Wir kehrten die Figur der unterworfenen, vergewaltigten Frau um. Wir machten sie zur Herrscherin, gaben ihr Sklaven, nämlich Piloten und Offiziere, die zu Würmern wurden", sagt der Herausgeber der ersten Reihe von Stalags, Esra Narkiss, mit verstohlenem Stolz über diese Subversion der herkömmlichen Rollen. Der Historiker Omer Bartov beschreibt im Film, dass Anfang der Sechziger in Israel eine Atmosphäre der Verdrängung geherrscht habe. Die Doku illustriert das mit einem Ausschnitt der auch in Deutschland populären Teeniekomödie "Eis am Stil", in der ein Protagonist ein "Stalag"-Heft in der Badewanne liest.

Die Stalags hatten demnach eine befreiende Wirkung, sowohl in sexueller Hinsicht als auch in Bezug auf bis dahin unausgesprochene Traumata. In den Stalags brachen sich Fantasien der Ermächtigung Bahn, die über die Realität der Massenvernichtung triumphierten. Sie illustrieren darüber hinaus einmal mehr das Phänomen, dass Opfer sich manchmal mit Tätern identifizieren.

Doch die Doku nimmt das Stalag-Phänomen zum Anlass, über die "bizarre Art" nachzudenken, in der schlecht informierte Lehrer den Holocaust in Israel heute vermitteln. Einen immer noch kanonisierten Vorläufer der Stalags erkennt Filmemacher Ari Libsker in K. Zetnik. Unter diesem Pseudonym verfasste Jechiel Feiner-Dinur bereits wenige Monate nach seiner Befreiung in Auschwitz-Birkenau den Roman "Salamandra" über die Lager. Er gehört bis heute in Israel zum Schulstoff. Von seriösen Forschern war K. Zetnik jedoch immer schon eines pornografischen Einschlags bezichtigt worden. Außerdem stellt er auch keineswegs den zentralen Text im Curriculum israelischer Schulen, wie Libsker befürchtet.

Libsker versucht die Vulgarisierung des Holocaust und der Gier nach Schockierendem mit dem Phänomen der Stalags in Verbindung zu setzen. Doch die Stalags sind gerade ein Beweis dafür, dass sich das Problem der Verbindung zwischen Pornografie und Nazismus nicht so einfach lösen lässt. Auch in der stets nüchternen Beschreibung von Primo Levi nimmt die überflüssige, exzessive Gewalt, die Inszenierung der sinnlosen Rituale der Ordnung breiten Raum ein. Beide sind für Levi gerade nicht Ergebnis der sadistischen Neigungen Einzelner, sondern integraler, wenn nicht sogar wesentlicher Teil des Vernichtungsapparats, der auf Erniedrigung und Entmenschlichung abzielte.

So grell, vulgär und respektlos die Stalag-Romane auch gewesen sein mögen - sie durchbrachen das Schweigen derer, die den Lagern entkommen waren. Die Kinder der Überlebenden, die die ständige Todesangst ihrer Eltern gespürt hatten, machten diese Erfahrung öffentlich. Die Stalag-Autoren zogen intuitiv die Verbindung zwischen Sex, Sadismus und der Inszenierung der Gewalt im faschistischen Projekt. Libskers Film deckt diesen Zusammenhang auf und verliert ihn durch seine moralische Positionierung gegen eine schädliche Pornografisierung des Holocaust am Ende wieder aus dem Blick.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.