Dokumentation „Ein neues Produkt“: An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen

Die "Unternehmensberatung für Neubauplanung" entwirft neue Arbeitswelten, die Stadtteile wie die Hafencity prägen. Der Filmemacher Harun Farocki hat zugeschaut.

Herren über Raum und menschliche Ressourcen: Mitarbeiter des Quickborner Teams. Bild: Deichtorhallen

HAMBURG taz | Sie werden umworben und befragt, man forscht über ihre Bedürfnisse und Kommunikationsstrukturen: Die modernen Mitarbeiter in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft, so ein erster Eindruck, den Harun Farockis Film „Ein neues Produkt“ vermitteln könnte, müssen glückliche Wesen sein.

45 Minuten kann man zusehen und vor allem zuhören, wie über Arbeit geredet wird: Brauchen Angestellte in der heutigen vernetzten Zeit überhaupt noch eigene Schreibtische? Wenn sie keinen individuellen Arbeitsplatz im Firmengebäude haben, wie schafft man trotzdem ein starkes Zugehörigkeitsgefühl? Wie müssen Orte des produktiven Austausches beschaffen sein? Wie viel Anteil soll ein Vorgesetzter am Privatleben seiner Mitarbeiter nehmen?

Diese Fragen verhandeln in Farockis Film Mitarbeiter der Hamburger Firma Quickborner Team, einer „Unternehmensberatung für Neubauplanung“, wie es auf der Website heißt. Der Firmensitz lieg in bester Lage an der Außenalster, die Aufgaben, derer man sich dort annimmt, sind: die Anordnung von Schreibtischen, die Platzierung von Kommunikations- und Ruhezonen innerhalb des Hauses, aber auch die Entwicklung abstrakter Raumkonzepte, in denen sich das Beziehungsgeflecht innerhalb eines global agierenden Unternehmens abbilden lässt.

68, gehörte 1966 bis 1968 zu den ersten Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Eines seiner aufklärerischen Anliegen ist es, die in unserer Gesellschaft strikt getrennten Sphären der Warenproduktion und der Bilderkonsumtion zusammenzubringen.

Dazu entwickelte er eine reflexiv-dialektische Methode: durch Montage und Off-Kommentar befragte er die Bilder nach den Bedingungen ihrer Entstehung und Verbreitung. So beobachtete er in "Ein Bild" (1983) das Fotoshooting eines Playboy-Centerfolds, in "Schlagworte, Schlagbilder" (1986) ließ er den Medienphilosophen Vilem Flusser eine Titelseite der Bild-Zeitung analysieren.

Bis jetzt hat Farocki mehr als 90 Filme gedreht. Daneben hat er als Drehbuchautor bei zahlreichen Filmen von Christian Petzold mitgewirkt.

Die Mitarbeiter des Quickborner Teams sehen sich als Vordenker einer modernen Arbeitswelt, der sie eine vermarktbare Form zu geben suchen. Ihre Hauptarbeitsmittel dabei sind: Flipcharts, Post-its, Eddings und vor allem die Sprache. Ihre Arbeit, das zeigt Farockis Film, besteht neben der Computersimulation von Räumen in der Suche nach neuen Worten, die die beratenen Firmen nutzen können, um sich ihren Mitarbeitern und Kunden als modern darzustellen.

Die Arbeit und die Bilder, die sich eine Gesellschaft von ihr macht, waren immer schon eines der zentralen Themen des Filmemachers Harun Farocki. Seit den 90er-Jahren hat er sich dabei immer häufiger der Mittel des Direct Cinema bedient, das heißt einer nicht intervenierenden, rein beobachtenden Methode (keine Interviews, keine Kommentare).

„Ein neues Produkt“ zeigt eindrucksvoll, dass man mit diesem Verfahren auch den neuen Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnissen gut auf die Schliche kommen kann. Macht manifestiert sich heute im Gebrauch einer neuen Form von Sprache, die von allen, die an Arbeitsprozessen teilhaben, eingeübt werden muss, in Bewerbungen, Schulungen, Mitarbeiterbesprechungen, Firmenmitteilungen, Beratungsgesprächen.

Probleme heißen „Herausforderungen“, Schwächen „Entwicklungsmöglichkeiten“, Führung heißt „Coaching“ und Personal nennt man „Human Resources“. Wie alle Ressourcen sind auch die Mitarbeiter heute ein quantifizierbares und somit effizienter zu nutzendes Produktionsmittel. Wenn man genau hinhört, erfährt man in „Ein neues Produkt“ bei all dem Gerede über „Coffee Spots“ und flache Hierarchien, worum es eigentlich geht bei diesen Beraterfirmen und den Firmen, die sie beraten: um das Kreieren und Einüben einer schöneren Sprache für eine größere Ausbeutung.

Das Quickborner Team hat unter anderem das neue Unilever-Gebäude in der Hamburger Hafencity mitkonzipiert, doch dorthin unternimmt Farocki nur einen kurzen Ausflug. Er konzentriert sich auf die Beobachtung von Gesprächssituationen, was durchaus konsequent ist.

Wer dennoch wissen will, wie die modernen Arbeitswelten aussehen, die Firmen wie das Quickborner Team entwerfen, sollte sich den Dokumentarfilm „Work Hard – Play Hard“ von Carmen Losmann ansehen. In sorgfältig kadrierten Cinemascope-Einstellungen macht Losmann die Räume der heutigen Dienstleistungsgesellschaft erfahrbar – nicht als Orte realer Arbeit, sondern als Bühnen. Was auf diesen Bühnen zur Aufführung kommt, sind die Rollen- und Sprachspiele, in denen Abhängigkeitsverhältnisse als Partizipation kaschiert werden.

Einige Worte, die man in keinem der beiden Filme zu hören bekommt: Lohn, Gehalt, Mitbestimmung, Betriebsrat, Gewerkschaft, Streik. Bei der Filmvorführung erinnerte Farocki an die frühen 60er-Jahre, „eine heroische Zeit ohne Unterwerfungsgesten“, als er auf den Hamburger Docks mit anderen Hafenarbeitern malochte. „Wenn da Chefs oder Politiker vorbeikamen, hat keiner mit denen gesprochen. Dazu waren die Arbeiter viel zu stolz, die haben höchstens wüst geschimpft. Einmal haben sie die Limousine eines Politikers mit einem Sandstrahler abgespritzt.“ So weit kann’s kommen, wenn man keinen Berater hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.