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Doppelausstellung zu William KentridgeIn diesen heil’gen Hallen kennt man die Rache nicht

Der südafrikanische Künstler William Kentridge wird 70. Das Folkwang Museum in Essen und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden würdigen sein Werk.

William Kentridge, „I Look in the Mirror, I Know What I Need“, 2024 Foto: Nicolas Brasseur, William Kentridge, Courtesy Item Editions, Paris

Vielleicht ist das ja doch ein großer Irrtum, diese Idee, dass Kunst möglichst nah dran sein muss, um zu wirken. Vielleicht ist ja doch die Distanz der wirksamere Katalysator, ja sogar der einzig wirklich taugliche Brandbeschleuniger, der Kopf und Herz zuverlässiger entzündet, als die klebrig sich andienende Nähe zum Publikum, zum Alltag, zur eigenen Erlebniswelt.

Vor 15 Jahren gastierte William Kentridge beim Wander-Festival „Theater der Welt“, das damals im Ruhrgebiet stattfand, mit einem Puppenspiel: Claudio Monteverdis frühbarocke Oper „Il ritorno d’Ulisse in patria“ hatte er mit den Stabpuppen der Kapstadter Handspring Puppet Company in Szene gesetzt.

Den Hintergrund des Puppenspiels bildete ein Film, der mit archaischen Mitteln arbeitet. Jedes einzelne Bild seiner Clips zeichnet er von Hand mit Kohle oder Pastellfarben. Die singenden Akteure bewegten die Stabpuppen selbst und nahmen keinerlei Kontakt mit dem Publikum auf. Ein Abend von maximaler Künstlichkeit und purer Theatermagie, berührend und bewegend.

Nun ist Kentridge zurück im Ruhrgebiet mit der ersten Station der vier Ausstellungen, die sein universelles Schaffen anlässlich seines 70. Geburtstags Revue passieren lassen. Ein Schaffen, das seine großen Themen früh gefunden hat und damit seiner Zeit voraus war und ihr zugleich völlig enthoben scheint. Denn es hat sich stets allen Moden verweigert und sich trotz seines entschiedenen politischen Engagements nie in die Untiefen des lärmend-rechthaberischen Aktivismus verirrt.

Die Ausstellungen

„William Kentridge: Listen to the Echo“. Museum Folkwang Essen, bis 18. Januar 2026; Staatliche Kunstsammlungen Dresden, bis 4. Januar, 15. Februar und 28. Juni 2026. Katalog (Steidl Verlag): 38 Euro.

Die großen Menschheitsthemen

William Kentridge wuchs als privilegierter Weißer mit litauisch-jüdischen Wurzeln unter dem Apartheitregime in Südafrika auf. Seine Eltern waren prominente Anwälte, sie vertraten unter anderem den ehemaligen Präsidenten Südafrikas, Nelson Mandela. Kentridge studierte in Südafrika und Europa, unter anderem Politik und Afrikanistik. Seine Themen als Künstler spiegeln seine Herkunft, bis heute kreist sein Schaffen um Rassismus, Ausbeutung und Ungerechtigkeit, um die Mechanismen repressiver Systeme, um

Flucht, Schuld und Vergebung, Menschlichkeit und Gemeinschaft. Kurzum, um die großen Menschheitsthemen und ihre Echokammern in der Kunst. Denn Kentridge arbeitet immer auch mit Verweisen auf die Kunstgeschichte, nicht zuletzt durch die eigene, altmeisterliche Zeichenkunst, aber auch die Bezüge zur Geschichte der bewegten Bilder, zum Comic und zur Theaterkunst, die mit Verfremdungseffekten stets die erhellende Distanz der Guckkastenbühne wahrt.

Eines der ästhetischen Markenzeichen von Kentridges Arbeit ist der Schalltrichter auf einem Dreifuß, mal Megafon, mal Grammofontrichter, mal Schallverstärker, mal Lauschgerät. „Listen to the Echo“ lautet der den Westen mit dem Osten der Republik vereinende Titel der Megaausstellung, deren Auftakt das Essener Museum Folkwang bildet.

Rund 160 Exponate aus fünf Jahrzehnten umspannen hier sein gesamtes Schaffen, die Auswahl der Arbeiten nimmt – wie auch in Dresden – bewusst Bezug auf die Geschichte des Ausstellungsorts. Essen ist wie Johannesburg eine ehemalige Bergbaustadt, hier ging es um Kohle, dort um Gold, und auch für Kentridges Lebensthema der Auseinandersetzung mit der kolonialen Geschichte gibt es in Essen einen Anknüpfungspunkt, war es doch der Essener Baedeker-Verlag, der einst das „Jahrbuch über die deutschen Kolonien“ herausgab.

Virtuos eingesetzte Tonspuren in Filmarbeiten

In der komprimierten Essener Schau sind alle Genres von Kentridges breitem Schaffen vertreten: Zeichnungen, animierte Filme, Druckgrafiken, Skulpturen, Tapisserien und Mehrkanal-Filminstallationen. Seine Filme mixen auf einzigartige Weise Elemente von Spielfilm-, Dokumentar- und Experimentalfilm, immer aber bleibt die schwarz-weiße Zeichnung die Grundlage seiner Kunst; bei den Filmarbeiten spielen zudem stets virtuos eingesetzte Tonspuren mit suggestiv eingesetzter Musik eine entscheidende Rolle.

Zu sehen sind unter anderem vier Filme der Serie „Drawings for Projection“, die zwischen 1991 und 2020 entstanden. In ihnen verknüpft Kentridge Gegenwart und Vergangenheit Südafrikas, wie etwa den Aufstieg und Fall von Johannesburg, das nach den Goldfunden im späten 19. Jahrhundert als Minenstadt einen ähnlichen Boom erlebte wie das Ruhrgebiet, beinahe zeitgleich. Jede der animierten Sequenzen beruht auf einer Kohlezeichnung, die Kentridge mit der Kamera festhält.

Immer mit Schalltrichter: Ausstellungsansicht „William Kentridge – Listen to the Echo“ im Albertinum Dresden Foto: Oliver Killig, © Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Danach verändert er die Zeichnung und die nächste Aufnahme entsteht, es folgen immer weitere Veränderungen durch Zufügen oder Löschen, wobei der vorherige Zustand teilweise sichtbar bleibt, wie ein Schatten – oder Echo – des vergangenen Zustands. Die Filme entwickeln eine ganz eigene, poetische Sprache, die zwischen Melancholie und leiser Komik oszilliert und auch das Groteske nicht scheut.

Imposant ist der große Saal unter dem Übertitel „Porter“ mit 15 Tapisserien. Die zeigen expressive schwarze Schattenrissfiguren vor dem Hintergrund von historischen europäischen Landkarten des 19. Jahrhunderts.

Das Arrangement veranschaulicht Kentridges kollaborative Arbeitsweise, denn es zeigt die vergleichsweise winzige Vorlage des Künstlers mit gerissenem Papier und dahinter die riesigen Tapisserien an der Wand, die durch Übertragung von Hand auf großen Webstühlen in einer Werkstatt in der Nähe von Johannesburg gefertigt wurden. Den Titel „Porter“ verdankt der Saal den dargestellten Menschen. Sie tragen und ziehen die Lasten. Sinnfällige Bilder für Migrationsbewegungen.

Erinnerung an Verbrechen im heutigen Namibia

Von fast peinigender Dringlichkeit ist „Black Box /Chambre Noire“. Eine Arbeit, die an die Niederschlagung des Aufstands der Herero und Nama 1904 in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia erinnert: Das mechanische Figurentheater auf einer Art winziger Jahrmarktbühne stellt historische Zeugnisse dieses Völkermords Zeichnungen und Animationen von Kentridge gegenüber. Dazu erklingt, balsamisch gesungen, die Arie des Sarastro aus Mozarts „Zauberflöte“, eine Ikone der Aufklärungsutopie: In diesen heil’gen Hallen kennt man die Rache nicht.“ Das geht unter die Haut.

In Dresden verteilt sich die Kentridge-Ausstellung auf gleich drei Museen: Im Albertinum stehen zwei Filminstallationen im Mittelpunkt, das Kupferstich-Kabinett im Residenzschloss stellt das druckgrafische Werk Kentridges historischen Kupferstichen gegenüber, unter anderem von Albrecht Dürer und Francisco de Goya. Und in der Puppentheatersammlung im Kraftwerk Mitte hat das „Centre for the Less Good Idea“ aus Johannesburg eine Ausstellung erarbeitet, die das Puppen-Universum von Kentridge mit den historischen Objekten der Sammlung ins Gespräch bringt.

Den roten Faden der Dresdner Ausstellungen bildet das Phänomen der Prozession, vom Festumzug über den Aufmarsch bis hin zur Demonstration. Die Prozession spielt sowohl in Kentridges Werk als auch in der Stadt Dresden eine wichtige Rolle. Jeder Dresden-Tourist wird am monumentalen Fürstenzug nahe der Frauenkirche vorbeigeführt, der aus 23.000 Kacheln aus Meißner Porzellan besteht und die Ahnengalerie der sächsischen Markgrafen, Herzöge, Kurfürsten und Könige zeigt.

Monumentale Filminstallationen

Wilhelm Walters maßstabgerechte Vorzeichnungen dieses größten Porzellanwandbildes der Welt stehen nun in der Ausstellung zwei monumentalen Filminstallationen Kentridges gegenüber: „More Sweetly Play the Dance“ von 2015 und „Oh to Believe in Another World“ von 2022, die jeweils etwa 15 Minuten dauern.

Die erste zeigt eine Prozession von Schattenfiguren zu den Klängen einer Brass-Band, deren tanzende Skelette an mittelalterliche Totentänze erinnern. Die zweite ist sozusagen ein visuelles Echo auf Dmitri Schostakowitschs 10. Sinfonie, die als kaum kaschierte Abrechnung des Komponisten mit Stalin gilt. Kentridge wiederum verweist in einem atemberaubenden Mix der Mittel von historischen Filmschnipseln bis zu bizarrem Puppentheater nicht nur auf den beklemmenden Sog der Geschichte.

Er macht auch auf die janusköpfige Ambivalenz des Komponisten aufmerksam, der sich mit dem Regime arrangierte, unter dem er litt, und seine zwischen Affirmation und Kritik schillernde Haltung, die nicht ausdiskutiert ist. Eine überwältigende Arbeit, subtil und hoch musikalisch komponiert. Allein dafür lohnt die Reise.

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