Dortmunds Kapitän Sebastian Kehl: Die Gier des Routiniers

Nach dem Derbysieg in Schalke zweifelt in Dortmund kaum einer mehr an der Wiederholung des letztjährigen Coups. Nur für Sebastian Kehl ist alles wie neu.

Freut sich wie ein kleines Kind: Sebastian Kehl im Kreise seiner Liebsten. Bild: dapd

GELSENKIRCHEN taz | Es gibt wohl kaum ein Mitglied der großen Gemeinde von Menschen mit schwarz-gelbem Herzen, für den Borussia Dortmunds deutscher Meistertitel des Vorjahres einen ähnlich bitteren Beigeschmack hatte wie für Sebastian Kehl. Als Kapitän des BVB musste der 32-Jährige aus der Ferne zusehen, wie seine Mannschaft die Liga überrollte, er selbst ackerte derweil in irgendwelchen tristen Rehazentren an seinem lädierten Körper.

Zweifel plagten ihn, es gab immer neue Rückschläge, nur zwei Spiele absolvierte er im Vorjahr über 90 Minuten. „Gerade dass im letzten Jahr nach dem Derbysieg auf Schalke ohne das Trikot mit der Nummer Fünf gefeiert wurde, war sehr bitter“, sagte Kehl nun. Beim 2:1-Erfolg der Borussia in Gelsenkirchen hatte er sein Shirt wieder einmal überaus prominent in Szene gesetzt.

Kehl hatte das Spiel sortiert, den Siegtreffer erzielt (63.) und war nach dem Schlusspfiff der Erste, der in die Kurve mit den wild jubelnden Fans hüpfte. Aus der Ferne sah er aus wie ein 20-Jähriger, der noch nie etwas Derartiges erlebt hat, dabei ist Kehl der Routinier. Er hat eben etwas nachzuholen. „Kehli giert möglicherweise mehr nach dieser Meisterschaft als jeder andere, weil das letzte Jahr für ihn nicht so wahnsinnig glücklich gelaufen ist“, sagte Trainer Jürgen Klopp, und die Bilder von diesem Samstag lieferten reichlich Indizien für diese These.

Auch als der Bus mit den designierten Meistern in Dortmund eintraf, stieg Kehl als Erster aus und badete genussvoll in der Euphorie, die nach dieser unglaublichen Woche mit den Siegen gegen die Bayern und auf Schalke in der Stadt herrscht. Zwar stand da noch nicht fest, dass die Münchner gegen Mainz zwei weitere Punkte liegen lassen würden und der BVB die Meisterschaft mit einem Sieg gegen Mönchengladbach am kommenden Wochenende auch rechnerisch nicht mehr zu nehmen wäre. Doch das Understatement der letzten Wochen wich mehr und mehr der Erkenntnis, dass die Titelverteidigung tatsächlich gelingen wird.

„Stolpersteine“ aus dem Weg geräumt

Unmittelbar nach dem Spiel hatte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke auf die Frage nach der Titelwahrscheinlichkeit noch von „Stolpersteinen“ gesprochen und erklärt: „Wenn wir uns durch solche Fragen weich machen lassen, dann habe ich noch Zweifel.“ Kehl hingegen, der seit Wochen in einer überragenden Form spielt, meinte: „Wir werden eine Feier machen, die ihresgleichen sucht.“ Im vorigen Jahr waren solche Sprüche von Jungspunden wie Neven Subotic oder Kevin Großkreutz zu hören, jetzt ist es Kehl, der mächtig abfeiern will.

Der ehemalige Nationalspieler steht seit über zehn Jahren bei Borussia Dortmund unter Vertrag, er wurde gleich im ersten Jahr Meister, erlebte dann die finstere Zeit der Finanzkrise, und jetzt wird er es sein, der die Meisterschale am 5. Mai in Empfang nimmt. Ein Bild von größerer Symbolkraft für die Auferstehung der Borussia kann es nicht geben, und Kehl wird mächtig stolz sein auf diese gereifte Mannschaft, die inzwischen alle Stilformen eines erfolgreichen Bundesligafußballs beherrscht.

Der Titelverteidiger hat in dieser Saison bereits tollen Kombinationsfußball gespielt und hohe Siege herausgeschossen, gegen die Bayern am vorigen Mittwoch hat der BVB taktisch-strategisch brilliert und nun auf Schalke die eigene Willenskraft unter Beweis gestellt.

„Wir haben heute fußballerisch nicht immer die richtige Lösung gefunden“, sagte Kehl, es gab zahllose Fehlpässe auf beiden Seiten und zwei „Sonntagsschüsse“ (Klopp) von Jefferson Farfan (9,) und Lukasz Piszczek (17.) ins Tor. Aber am Ende „zwingen die Dortmunder das Quäntchen Glück ein bisschen mehr, als wir das tun“, meinte Schalkes Trainer Huub Stevens. Das war eine treffende Analyse.

Drei Matchbälle hat der BVB jetzt. Was soll da noch schiefgehen? Zumal die Bayern den Kampf offenkundig aufgegeben haben. Selbst Jürgen Klopp räumte ein, er habe „kein schlechtes Gefühl bei dem Gedanken Meisterschaft“. Gut möglich, dass Dortmund schon am kommenden Wochenende wieder in einen Ausnahmezustand verfällt, wie vor einem Jahr. Manche Dortmunder werden dann eine gewisse Feierroutine entwickelt haben. Auf Sebastian Kehl trifft das aber gewiss nicht zu.

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