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Drogenkonsum in BerlinMies vercracktes Berlin

Berlin erreichte 2024 einen Höchststand drogenbedingter Todesfälle. Die Inszenierung der Stadt als Drogenmetropole verschärft das Problem.

Ikkimel singt: „Keta und Krawall, meine Nase ist wund“ Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Berlin taz | Sie will noch nicht ins Bett, hat doch gerade erst eine „gefetzt“. Die Ganze Generation Z sei am Montag eh „mies vercrackt“. Das singt die Berliner Rapperin Ikkimel in ihrem Song „Deutschland“, gemeinsam mit dem Rapper Ski Aggu. In einem anderen Track rappt die Mitte-20-Jährige: „Keta und Krawall, meine Nase ist wund.“ Die Sängerin Zsá Zsá singt von „Xanax, high sein, Rauschgift illegal“, der Rapper Pashanim lässt uns wissen: „Meine Freunde sind auf Lean wie Heroin.“

Die Verherrlichung und Ästhetisierung von chemischen Drogen hat in der Berliner Popkultur Hochkonjunktur. Wer nicht ballert, gehört nicht dazu. In der Feierszene sind Koks, Keta und andere Substanzen Teil der Szene-Codes: Das Kokstaxi wird schon beim Abendessen bestellt, auf Dating-Apps inszenieren sich Menschen mit Nasendusche, sich Pferdebetäubungsmittel (Ketamin) reinzuknallen, ist Kult. Du warst noch nie im Berghain und hast dir drei Nächte lang die Nasenscheidewand aus’m Leib geballert? Wie provinziell.

Die Kehrseite: Während die Zahl der drogenbedingten Todesfälle bundesweit abnimmt, steigt sie in Berlin an. Die Berliner Polizei verzeichnete mit 294 Opfern 2024 einen Höchststand – zehn Prozent mehr als 2023. In diesen Schritten wächst die Zahl seit Jahren.

Besonders makaber: dass selbst Unternehmen sich der Codes bedienen. Audi wirbt am RAW-Gelände in Friedrichshain für sein E-Auto mit „Typisch Berlin: Elektro und Speed“. Der Fahrdienst-Anbieter Clevershuttle wirbt mit Slogans wie: „Wie Koks-Taxi. Nur ohne Koks“. Auch in Serien wie „4 Blocks“ oder „Dogs of Berlin“ wird der exzessive Drogenkonsum als Teil des coolen Stadtimages inszeniert – Produktionen, die vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert werden.

Drogen und Techno eng verzahnt

Chemische Drogen gehören seit jeher zur Berliner Techno-Kultur. Dass sie in der Popkultur besungen und stilisiert werden, ist nicht neu. Neu ist ihre massenhafte Verbreitung, vor allem in den sozialen Medien. Auf Tiktok erreicht die Drogenszene Millio­nen: Unter Hashtags wie #RaveTok stolpern Berliner Raver mit riesigen Pupillen nach Tagen aus dem Berghain, Jugendliche filmen Slow-Motion-Clips von weißen Lines auf Spiegeln, bunten Pillen in der Handfläche und Rauchwolken, die mit Musik hinterlegt werden. Untertitelt wird das Ganze mit Sprüchen wie: „Große Teller = kleinere Probleme.“

Unter den Videos tauschen sich Nut­ze­r*in­nen über Dealerkontakte aus und darüber, wie alt sie beim ersten Konsum waren: 15, 13, 11 Jahre alt – die meisten minderjährig. Eine von ihnen schreibt: „War seit drei Jahren nicht ein einziges Mal mehr in der Schule, bin ein Junkie geworden, kann nicht mehr ohne Drogen und weiß, dass ich nicht älter als 20 werde.“

Die Sorge ist nicht unberechtigt. Drogentote werden in der Hauptstadt immer jünger. Im vergangenen Jahr starben 40 Personen unter 26 Jahren – darunter auch fünf Minderjährige.

Ikkimel hat recht: Die Gen Z ist mies vercrackt. Aber ihre Tracks, mit denen sie Millionen von Menschen erreicht, sind nicht unbedingt hilfreich.

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18 Kommentare

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  • Man kann durchaus subsumieren: Berlin kann ohne Drogen nicht feiern. Punkt. Wer an einem Wochenende durch die Clubs stolpert, merkt schnell, wie brüchig das Image der Hauptstadt der Ekstase wäre, wenn mal für 48 Stunden keine Pille, kein Pulver und kein Spray in Umlauf wäre. Ernüchternd im wahrsten Sinne des Wortes.

    Es ist nicht nur anstrengend, die ganzen Menschen zu ertragen, die ohne chemische Hilfe nicht in der Lage sind, Spaß zu haben - es ist auch entlarvend. Hinter der Fassade von Freiheit und Selbstentfaltung steckt häufig nur eine Mischung aus Koksatem, MDMA-Kieferkauen und der panischen Angst, nüchtern langweilig zu wirken. Das ist weniger Hedonismus als vielmehr Flucht vor der eigenen Leere.

    Man redet sich Toleranz ein, aber in Wahrheit herrscht Gruppenzwang: Wer die Substanzen verweigert, wird schnell zum Fremdkörper.

  • Ketamin ist kein "Pferdeberuhigungsmittel". Es wurde für den Gebrauch am Menschen entwickelt und ist in der Humanmedizin ein weit verbreitetes und eingesetztes Mittel.

    Dass es auch in der Veterinärmedizin zum Einsatz kommt macht es nicht zum "Pferdeberuhigungsmittel", so wie man Ibuprofen auch nicht als "Pferdeschmerzmittel" bezeichnen würde weil es auch bei Pferden eingesetzt wird.

    Das ungeprüfte und unhinterfragte Übernehmen dieser sensationsheischenden Fehlinformation spricht nicht für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema.

    • @hans meier:

      Stimmt. Aber können wir uns darauf einigen, dass wie bei allen anderen Drogen die nicht medizinisch notwendige Anwendung schädlich ist?

  • Ein weiterer Grund den Länderfinanzausgleich einzustellen. Für viele ist es cool nach Berlin zu ziehen, weil dort viel los ist. Das gönne ich ihnen, ist aber kein Grund, dass die Nicht-Berliner das mit-finanzieren müssen.

    • @Alter WeißerMann:

      Die Drogen kaufen sich die Leute selbst.

      Lustig, was so gegen den Länderfinanzausgleich vorgebracht wird. Zufällig aus Bayern?

    • @Alter WeißerMann:

      Ich glaube nicht dass der LFA daran gebunden sein sollte dass man den Lebensstil aller Menschen gut findet, die in einem Empfängerland leben.

      Viele Leute in Sachsen leben anders als ich das für richtig halte, deswegen würde ich ihnen nicht den Geldhahn zudrehen wollen.

  • "Du warst noch nie im Berghain und hast dir drei Nächte lang die Nasenscheidewand aus’m Leib geballert?"



    In der Tat - das habe ich noch nie gemacht. Und darauf möchte ich auch in Zukunft gerne verzichten. Ebenso: Auf eine Stadt und deren Bewohner die sich selber und ihre Umgebung derart misshandeln dass sie solche "Rituale" zu brauchen glauben.



    Ich habe in der Vergangenheit immer wieder mal Urlaub in verschiedenen Metropolen gemacht. So auch mehrmals in Berlin. Heute aber erinnere ich mich nur noch mit Grausen daran. Never ever!



    Das kommt halt davon, wenn man darauf verzichtet sich das Gehirn wegzuballern. Da bleiben einem ein paar Gehirnzellen erhalten - und die finden sowas verdammt uncool.

  • Leider werden Drogen jeder Art immer wieder verharmlost. Nicht nur von Musikern.

  • Das paradoxe ist doch, dass es gerade sehr provinziell ist in die Hauptstadt zu ziehen und sich so "cool" wegzuballern.



    Echte Berliner und Städter haben das gar nicht nötig und werden von den ganzen Dorfmenschen links überholt in einem Spiel, dass sie nie ausgerufen haben.

    • @peter pawn:

      Da gehen Ihnen die Stereotype durch. Echte Dorfmenschen meiden Berlin. Ist ihnen mit zu viel Zwängen verbunden. Dorf ist freier.

      • @rakader:

        Wir wohnen in einem Dorf, und es ist die Hölle.



        Die Drogen sind nicht unbedingt auf dem neuesten Stand, aber das Leben ist generell laut, ordinär, rücksichtlos, und das durch fehlende Polizeipräsenz viel ungestörter für die Verursacher.

      • @rakader:

        Sie drehen die Stichprobe um: Ich rede davon, wie viele von den Leuten, die sich in Berliner Clubs wegballern, eigentlich vom Dorf kommen. Sie antworten aber auf die ganz andere Frage, wie viele Dorfmenschen nach Berlin ziehen und sich dort wegballern. Das sind zwei verschiedene Verteilungen.

        Ich denke im Prinzip haben wir wahrscheinlich beide Recht ;)

        • @peter pawn:

          Ihre Beiden Stereotypen liegen falsch. Der spezielle Anstieg an Drogentoten in Berlin kann nicht durch einen speziellen Anstieg von Dörflern nach Berlin oder in die Clubs erklärt werden.

  • Ich denke es ist eher Symptom als Problem.

    Bei dieser Welt, Gesellschaft und Zukunft wundert es mich jedenfalls nicht.

    Da könnte ja mal angesetzt werden.

    • @Malte Schaper:

      Hier müsste die Mehrheit bei sich selbst ansetzen - was die zu ändern aus sich selbst zu ändern bereit ist, ist für denkende und fühlende Menschen kaum vorstellbar, die aktuellen Zustände sind schon unerträglich.

    • @Malte Schaper:

      Natürlich ist das eher Ausdruck eines tiefer zugrundeliegenden Problems. Aber es ist eben auch gleichzeitig ein Problem an sich, mit eigenen Dynamiken, wie bspw. die hier thematisierte Glorifizierung. Interessant, dass es hier nicht Vogel-Strauß-mäßig weggeleugnet wird, wie bei der ähnlich gelagerten Problematik bestimmter Formen des Hip Hop in Hinblick auf Gewalt, Gangster-Verklärung und Machoverhalten. Nichts davon hat zwingend einen negativen Einfluss auf ein Individuum. In der (statistischen) Masse aber wird es seinen Teil beitragen zu evtl. weniger klugen Entscheidungen einer Generation, in der insgesamt (wenn auch unterschiedlich verteilt) viel Unsicherheit herrscht.

    • @Malte Schaper:

      Lieber nicht bis 70 warten und dann zum Ruhestand wegschießen, nachdem man für die Rentnerschwemme/Konzerne in einer immer giftiger und heißer werdenden Welt malocht und in der nicht gedämmten 2-Zimmer-Absteige vegetiert hat, die >60 % des Monatseinkommens verschlingt?



      Das könnte ein Blickwinkel sein, in einem Deutschland, dem Kinder und junge Erwachsene absolut egal sind.

      • @TOM1976:

        Genau das meinte ich. Nur nicht so schön ausformuliert. :)