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Drohnenkrieg in der Ukraine„Tunnel des Lebens“ für die Front

Netze, die in Dänemark, Polen und den Niederlanden zum Fischfang genutzt wurden, schützen jetzt ukrainische Soldaten vor russischen Drohnenangriffen.

Ukrainische Freiwillige laden in Luzk dänische Fischernetze aus, die an der Front vor Drohnenangriffen schützen Foto: Larysa Novosad

Luzk taz | An einem heißen Julitag arbeiten mehrere Männer auf einer Baustelle im Industriegebiet der westukrainischen Stadt Luzk. Sie laden große Fischernetze von einem Lastwagen ab. Einen Moment lang duftet Luzk nach Meer. Sand und Salz aus der Ostsee werden auf die Ladefläche des Lastwagens geschüttet – für die „Tunnel des Lebens“.

Mehrere junge Männer schneiden die Netze mit Messern in große, rechteckige Stücke. Diese werden nach einer Weile wieder in den Lastwagen geladen. „Heute Abend fährt der Lkw an die Front“, erzählen Wera Schwarzkop und Natalja Hruschka – zwei Frauen, die den Prozess beaufsichtigen.

Sie sind Freiwillige und leiten im westukrainischen Gebiet Wolyn gleichzeitig mehrere Hilfsprojekte für die Armee. Nach der Abfahrt des Lasters mit den Fischernetzen wird Hruschka in eine Schule gehen, um beim Weben von Tarnnetzen behilflich zu sein. Schwarzkops Handy klingelt ununterbrochen: Sie verhandelt mit Lieferanten von Fahrzeugen für die Front. Vier sind auf dem Weg aus Europa in die Ukraine, zwei stehen an der Grenze, mehrere weitere werden in Luzk repariert, andere sind bereits auf dem Weg Richtung Osten.

Doch jetzt hat für die Freiwilligen die Organisation der Versorgung der Truppen mit Fischernetzen aus Dänemark, den Niederlanden und Polen Priorität. Das Militär nutzt sie zum Bau von Verteidigungs­tunneln in der Nähe der Frontlinie, um russische Drohnen abzuwehren.

Krieg in der Ukraine

Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.

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Schutzkonstruktion nach russischem Muster

Fotos und Videos von der Front im Sommer 2025 zeigen oft Holzpfähle entlang der Straßen, zwischen denen Schutznetze gespannt sind. Russische Truppen haben im Sommer 2023 begonnen, solche Strukturen in der Nähe von Bachmut einzusetzen. Damals handelte es sich noch nicht um durchgehende Tunnel, sondern um einzelne gespannte Netze, in denen sich Drohnen verfangen konnten.

Vorteile von Fischernetzen sind ihre Langlebigkeit und die fehlende Reflexion von Sonnenlicht

Dann begannen die russischen Besatzer, die Nachschubwege für ihre Ausrüstung mit Fischernetzen abzudecken und so sichere Korridore zu schaffen. Der ukrainische Funktechniker Serhij Flesch schrieb in seinen sozialen Netzwerken, dass die Russen in der Nähe von Tschassiw Jar einen zwei Kilometer langen Tunnel aus Netzen angelegt hätten. Gleichzeitig prahlten die Russen damit, dass ein Fischernetz effektiver sei als ein übliches Metallnetz. Im Fischernetz verfangen sich die Propeller der Drohnen. Bei einer Kollision mit dem Metallnetz explodiert die FPV-Drohne und kann Verletzungen verursachen.

Weitere Vorteile von Fischernetzen sind ihre Langlebigkeit und die fehlende Reflexion des Sonnenlichts, sodass sie von Drohnenpiloten nicht erkannt werden.

Schutz von Straßen, Schützengräben und Unterständen

Mit der Zeit begann auch das ukrainische Militär, diese Netze einzusetzen. „Die Idee dahinter ist, dass eine FPV-Drohne, die Fahrzeuge auf diesem Straßenabschnitt angreift, dieses Netz nicht bemerkt und sich aufgrund der schlechten Qualität des analogen Videos darin verfängt. Doch selbst wenn der Drohnenpilot das Netz erkennt, kann er sich dem Ziel nicht nähern, um es zu zerstören.

Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass das Netz vor Glasfaser-Drohnen schützt“, erläutern Analysten des Portals Militarnyi. Mittlerweile werden Fischernetze nicht nur entlang der Logistikrouten gespannt, sondern auch über Schützengräben und Eingängen zu Unterständen.

Länderübergreifende Freiwilligenarbeit

Dank des Einsatzes von Wera Schwarzkop, ihrem Team und internationalen Partnern sind bereits sechs große Netzlieferungen aus Europa über Luzk an die Front erfolgt. „Alles begann im Sommer 2024. Meine Bekannte aus Polen, Olga Charnetskaja, die mittlerweile eine Freundin geworden ist, sagte, dass es in der Ostsee Netze gebe, die das polnische Militär in die Grenzstaddt Przemyśl liefern könne. Von dort haben wir sie mit einem eigenen Transport in die Ukraine gebracht“, erzählt Wera

Auch lokale Unternehmer machten mit. Serhij Hawrylowytsch transportierte kostenlos Netze aus Europa in die Stadt Roschyschtsche nahe Luzk. Dort wurden sie von Soldaten oder Freiwilligen ausgeladen und in die Ostukraine geliefert.

Später schlossen sich auch dänische Partner dem Projekt an. Wera kontaktierte über ihren Freund Mychajlo Makarow, einen Unternehmer aus dem wolynischen Horochiw, den Dänen Carl Futtrup. „Mychajlo setzte sich ans Steuer seines Lastwagens und fuhr nach Dänemark. Auf eigene Kosten, mit eigenem Treibstoff. Nur um zu sehen, wie viele Netze Carl hatte. Und er belud den Lastwagen sofort“, erinnert sich Wera.

Fischernetze aus Skandinavien

Skandinavische Länder, in denen es eine entwickelte Fischerei­industrie gibt, sind zu Netzlieferanten geworden. Laut Futtrup hätten fünf dänische Häfen die Erlaubnis zum Einsammeln von Netzen erhalten oder beantragt.„Wir erhalten immer mal wieder Nachrichten, dass die von uns gespendeten Netze einen Angriff verhindert oder ein Leben gerettet haben“, sagt Carl Futtrup.

Der Däne hat bereits den Transport von 120 Tonnen Fischernetzen in die Ukraine organisiert. Den Transport finanzieren Freiwillige in Europa und der Ukraine. „Es gibt noch keine offizielle Hilfe. Wir stemmen das komplett aus eigener Kraft“, sagt der Freiwillige. „Wären diese Netze früher da gewesen und hätte man damit schon Tunnel bauen können, hätten viele der Männer und Frauen überlebt.“

Obwohl weithin der Eindruck vorherrscht, Europa sei kriegsmüde, beobachtet Schwarzkop das Gegenteil: Die Hilfe aus dem Ausland sei heute sogar noch größer als noch vor einem Jahr. „Jedes Mal ist es eine echte Leistung, Netze zu liefern. Aber überraschenderweise klappt das, weil viele hilfsbereite Menschen da sind“, sagt die Freiwillige Wera Schwarzkop. „Wir haben kein recht aufzugeben, auch wenn es schwierig ist. Und darum suchen wir auch bereits einen neuen Sponsor für die nächste Netzlieferung.“

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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1 Kommentar

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  • Schön zu sehen, das die dringend notwendige Unterstützung weiter stattfindet.



    Das Gefühl der "Kriegsmüdigkeit" nimmt in Deutschland leider schleichend zu. Selbst in die Nachrichten schafft es die Ukraine ja eigentlich nur noch, wenn es mehr als drei oder fünf Tote in der Nacht gab. dabei hätten diese tapferen Menschen eigentlich jeden Tag eine Sondersendung verdient. Denn ob die Menschen in der Ukraine Kriegsmüde sind, fragt leider niemand.