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Drusen als VorbildHoffnung ist nicht naiv, sondern eine Entscheidung

In ihrer Heimat werden sie misshandelt. Trotzdem geben die Drus*­in­nen nicht auf. Zeit, von der Stärke der Opfer zu reden, nicht nur von ihrem Leid.

Menschen demonstrieren vor dem Brandenburger Tor für den Schutz von Minderheiten in Syrien im Juli 2025 Foto: Katharina Kausche/dpa

S onntagnachmittag, vor dem Roten Rathaus in Berlin wehen drusische Fahnen, Menschen singen Protestlieder. Es wirkt so friedlich, dass man sich erinnern muss, warum sie eigentlich hier sind: weil in Suwaida, im Süden ­Syriens, seit Wochen ihre Angehörigen belagert, ermordet und verschleppt ­werden.

Amnesty International dokumentiert außergerichtliche Hinrichtungen, die Vereinten Nationen bestätigen Vergewaltigungen, Entführungen und gezielte Tötungen von Drus*­in­nen – begangen auch von den sogenannten Sicherheitskräften der Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa. Wer hier in Berlin demonstriert, müsste gebrochen wirken.

Doch stattdessen ist von Ohnmacht nichts zu spüren. Es ist diese Kraft, die einen nicht loslässt. Weil sie im Widerspruch zu allem steht, was man erwarten würde. Statt Trauer und Resignation finden sich hier Widerstand, Zusammenhalt und Hoffnung.

Auch in Iran findet sich dieses Gefühl. Mehr als 850 Menschen wurden bis Ende August 2025 hingerichtet. Nach dem Krieg mit Israel im Juni reagiert das Regime mit noch brutalerer Härte gegen die Bevölkerung. Ständige Strom- und Wasserausfälle sowie die immer weiter steigende Inflation erschweren das alltägliche Leben zusätzlich.

Doch in zahlreichen Städten protestieren seit Wochen Hunderte gegen das Regime, riskieren Festnahmen und Folter. Politische Gefangene treten jeden Dienstag in den Hungerstreik, um gegen die Todesstrafe zu protestieren, und riskieren dafür noch härtere Repressionen und neue Haftstrafen. Sie tun es trotzdem.

Sprache des Widerstands

So unterschiedlich die Formen der Unterdrückung auch sind, der Widerstand spricht die gleiche Sprache. Es ist die Grammatik der Beharrlichkeit, die von Kurd*innen, Drus*innen, Ira­ner*in­nen und so vielen anderen geteilt wird. Jedes dieser Aufbegehren ist Teil eines größeren Zusammenhangs: der Weigerung, Gewalt als Schicksal hinzunehmen.

Von außen betrachtet wirkt all das oft wie ein verzweifeltes Aufbegehren gegen Übermacht. Doch diese Perspektive ist falsch. Was diese Menschen zeigen, ist mehr als bloßen Trotz. Es ist eine Haltung, die sagt: Wir nehmen als Menschen die Zukunft selbst in die Hand. Wir fordern das Recht auf Leben selbst ein. Im sogenannten Westen wird diese Kraft selten gesehen. Regierungen regieren mal mit Sanktiönchen, häufiger mit Schweigen, kaum jedoch mit echter Solidarität, die den Mut der Menschen ernst nimmt.

In den Medien wird oft von Opfern erzählt, seltener von deren Stärke. Doch wer nur auf das Leid starrt, übersieht die Hoffnung, die da­raus wächst. Für uns in Europa bedeutet das, dass Hoffnung nicht nur dort gebraucht wird, wo Bomben fallen oder Gefängnistore zuschlagen. Auch hier stecken wir fest in Zynismus und politischer Müdigkeit.

Genau darum soll es in dieser Kolumne gehen. Hoffnung ist keine ­naive Zuversicht, sondern die bewusste Entscheidung, immer wieder nach den Momenten zu suchen, in denen Menschen trotz allem nicht aufgeben. Sie sichtbar zu machen. Von ihnen zu lernen, wie Handlungsfähigkeit entsteht. Auch ich muss das aktiv lernen. Hoffnung fällt uns nicht einfach zu, sie ist eine Praxis, die erlernt werden muss.

Hoffnung ist Widerstand. Aus Prinzip Hoffnung zu haben, bedeutet, sich nicht mit dem Status quo zufriedenzugeben, sondern die eigenen Handlungsmöglichkeiten, die eigene Kraft zu erkennen und in Aktion zu treten.

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Daniela Sepehri
Jahrgang 1998, lebt in Berlin. Freie Social Media Beraterin, Autorin und Journalistin mit den Schwerpunkten Iran, Migration, Antirassismus und Feminismus. Bachelorabschluss in Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität Berlin.
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