Durch Wände schauen: Der Spion im Mobiltelefon

US-Forscher haben ein Gerät entwickelt, mit dem man Menschen durch Wände beobachten kann. Es könnte in jedes Handy eingebaut werden.

Das Ziel ist, zu erkennen, ob hinter der Mauer jemand ist Bild: dpa

CAMBRIDGE taz | Superman kann es, Knight Riders Auto kann es, und jetzt kann es auch Dina Katabi: durch eine Wand hindurch spähen. Was den fiktiven Helden mit Röntgenblick oder Infrarot gelingt, schafft die Informatikprofessorin mit einem WLAN-Empfänger.

Den platziert sie vor einem geschlossenen Büro, in dem ihr Doktorand Fadel Adib hin und her läuft. Er bewegt sich vom WLAN-Gerät weg, und die Kurve auf einem Monitor schlägt nach oben aus. Er geht in die andere Richtung, und die Kurve zeigt nach unten. Er streckt den Arm aus – auch diese kleine Bewegung nimmt das Gerät wahr.

Bis zu drei Personen kann es erspähen. Und das ist erst der Anfang: „In ein paar Jahren können wir wahrscheinlich die Silhouette eines Menschen erkennen“, sagt Dina Katabi.

„Wi-Vi“, heißt die neue Erfindung der Forscher vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. Das steht für Wireless Vision, drahtloses Sehen. Damit kann man jemanden beobachten, der sich in einem geschlossenen Raum bewegt – ohne, dass derjenige es mitbekommt. Was Actionfans entzücken mag, alarmiert Datenschützer.

Wie Radio oder Funk bedient sich auch WLAN elektromagnetischer Wellen. Wenn die auf einen Menschen treffen, werden sie reflektiert. Bisher allerdings war es schwierig, diese Reflexionen zu messen, wenn sich zwischen Mensch und Sender/Empfänger eine Wand befindet – denn auch Wände reflektieren einen Teil der elektromagnetischen Wellen. Um die Reflexionen der Person und der Wand zu trennen, mussten Wissenschaftler berechnen, wann die jeweiligen Wellen wieder beim Empfänger ankommen. „Dafür brauchte man sehr viel Strom und einen Lastwagen voller aufwändigem Gerät“, erklärt MIT-Forscherin Dina Katabi. Über diese Ausrüstung verfüge nur das Militär.

Der Funkempfänger der MIT-Forscher dagegen lässt sich auf einem Chip in ein Smartphone einbauen, ein zusätzliches Gerät ist nicht nötig. Der Trick: Wi-Vi sendet zwei Signale gleichzeitig. Wenn diese von unbewegten Objekten reflektiert werden, gleichen sie sich gegenseitig aus. Übrig bleibt das Signal, das vom bewegten Objekt, also dem Menschen, reflektiert wird.

Anfang Oktober hat das MIT die neue Erfindung bereits vorgeführt; Unternehmen wie Microsoft, Intel und Cisco hatten Vertreter geschickt. „Sie waren begeistert“, sagt Fadel Adib, der die Technologie als Doktorand mitentwickelt hat, „möglicherweise werden wir mit ihnen zusammenarbeiten, um die Technologie für Konsumenten zugänglich zu machen“.

Informelle Selbstbestimmung

Wenn Wi-Vi für wenig Geld jedem zur Verfügung stehe, gefährde das allerdings die informationelle Selbstbestimmung, sagt Thomas Brückmann, Sachbearbeiter beim Landesdatenschutzbeauftragten von Mecklenburg-Vorpommern: „Hier kann jede Person ohne ihr Wissen und Wollen durch Dritte beobachtet werden.“ Einbrecher oder Stalker etwa könnten herausfinden, ob sich jemand im Haus befindet und wie sein Tagesablauf ist.

So könne ein Fremder an personenbezogene Daten gelangen – und da greife das Bundesdatenschutzgesetz, so Brückmann. Damit wäre das Beobachten mit Wi-Vi in Deutschland nur zulässig, wenn eine entsprechende Rechtsvorschrift besteht oder der Betroffene einwilligt.

Sollte das Gerät tatsächlich die Silhouette eines Menschen anzeigen, würde sich ein Beobachter möglicherweise sogar strafbar machen. „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ heißt der Passus im Strafgesetzbuch. Allerdings, so Datenschützer Brückmann, müsse erst einmal geklärt werden, ob auch eine Silhouette darunter fällt.

Der Glaube an den Fortschritt

Während die Juristen noch gar nicht mit Klären angefangen haben, forscht Dina Katabi am MIT schon weiter. Im Informatiklabor, einem verwinkelten, mehrstöckigen Gebäude, das von Hundertwasser inspiriert scheint, gibt es überhaupt nicht viele geschlossene Räume, in die man hineinspionieren könnte. Studenten sitzen mit ihren Laptops in offenen Arbeitsecken auf bunten Stühlen. Eine Umgebung, in der man an den technischen Fortschritt glaubt.

Wer nicht in seiner Wohnung von Fremden beobachtet werden will, könne sich schützen, sagt Informatikerin Katabi: „Jeder kann ein WLAN-Signal blockieren.“ Daran hat Datenschützer Thomas Brückmann allerdings Zweifel: „Dieser Aufwand kommt für den Normalbürger sicherlich nicht infrage.“

Leichter umzusetzen wäre wohl eine Art Anklopffunktion: Wenn ein Nutzer in einen Raum hineinspähen will, sendet das Wi-Vi-Gerät zunächst automatisch eine Anfrage an die Person im Raum. Nur wenn diese das Eindringen erlaubt, funktioniert es. „Die Politik muss die Hersteller verpflichten, eine solche Funktion einzubauen“, sagt Dina Katabi. Allerdings: Dieses Warnsignal funktioniert nur, wenn der Mensch im Raum selbst per WLAN online ist.

Vielseitige Nutzung

Trotz der Kritik glaubt Computerwissenschaftlerin Katabi, dass ihre Erfindung sogar zum besseren Schutz der Privatsphäre beitragen könnte. Zum Beispiel in Altenheimen: „Wenn ein hilfsbedürftiger Mensch im Badezimmer ist, kann man ihn überwachen, ohne dass man eine Kamera aufstellen muss.“ Das könne auch hilfreich sein, wenn man nachts durch eine leere Straße geht und überprüfen will, ob jemand folgt. Polizisten könnten die Technologie nutzen, wenn sie ein Gebäude stürmen. Und Feuerwehrleute könnten Menschen in einem brennenden Haus besser finden.

Die MIT-Wissenschaftler gehen inzwischen noch einen Schritt weiter: Sie haben eine spezielle Funktechnik entwickelt, die sogar die räumliche Position eines Menschen erkennen kann – ein 3D-Blick durch die Wand. „Das ermöglicht es, Haushaltsgeräte zu steuern, indem man einfach auf sie zeigt“, erläutert der Informatikdoktorand Fadel Adib.

Die speziellen Funksignale könnten die Gestensteuerung bei Computerspielen deutlich verbessern. Bisher muss der Spieler direkt vor der Spielkonsole stehen. Mit der neuen Technik kann er dagegen sogar in einem anderen Raum sein und sich etwa in einem virtuellen Spiel hinter einem echten Möbelstück verstecken. Professorin Katabi sagt, sie wolle diese „guten“ Anwendungen bekannter machen: „Letztlich kommt es bei jeder Technologie darauf an, wie man sie nutzt.“

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