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Durchsuchungen in mehreren BundesländernDobrindt verbietet islamistischen Verein Muslim Interaktiv

Wegen einer „verfassungsfeindlichen Grundhaltung“ hat das Bundesinnenministerium den islamistischen Verein verboten.

Im vergangenen Jahr organisierte „Muslim Interaktiv“ Demonstrationen zum Nahost-Konflikt, teilweise mit mehr als 1.000 Teilnehmer Foto: Giordano Stolley/imago

taz | Gerade erst wieder wetterte „Muslim Interaktiv“ auf seinem Tiktok Kanal gegen die deutsche Staatsräson für Israel und warf arabischen Staaten, die an einer Friedenslösung für Nahost eintreten, „Verrat“ vor. Die Hamas preist die Gruppe als „legitime Widerstandsbewegung“. Und mit bis zu 2.300 Anhängern stand sie im vergangenen Jahr auch mehrmals in Hamburg auf der Straße und forderte, in schwarze Pullover gewandet, ein „Kalifat“.

Nun ist damit Schluss: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat am Mittwochfrüh den Verein „Muslim Interaktiv“ verboten. Das Bundesinnenministerium wirft der Gruppe vor, gegen die verfassungsmäßig Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung zu verstoßen. Sieben Objekte in Hamburg wurden durchsucht, wo die Gruppe vor allem aktiv war. Zudem wurden zwölf weitere Objekte in Berlin und Hessen durchsucht, die den ähnlich orientierten Gruppen „Generation Islam“ und „Realität Islam“ zugerechnet werden.

„Wer auf unseren Straßen aggressiv das Kalifat fordert, in unerträglicher Weise gegen den Staat Israel und Juden hetzt und die Rechte von Frauen und Minderheiten verachtet, dem begegnen wir mit aller rechtsstaatlicher Härte“, erklärte Dobrindt. Eigentlich war das Verbot schon für den Sommer geplant gewesen. An der Begründung der Verfügung wollte das Innenministerium dann aber nochmal nachbessern.

Nach taz-Informationen richteten sich die Durchsuchungen am Mittwoch auch gegen den Wortführer von „Muslim Interaktiv“, Joe Adade „Raheem“ Boateng. Behörden werfen der Gruppe vor, sich klandestin organisiert zu haben, der Student aber gilt als zentrale Figur.

„Muslim Interaktiv“ hatte sich Anfang 2020 gegründet, wurde bereits wenig später als extremistisch eingestuft und war schon länger ein Verbotskandidat – gilt sie doch als eine Nachfolgevereinigung der bereits 2003 in Deutschland verbotenen Hizb ut-Tahrir. Dort, wie bei „Muslim Interaktiv“, ist das erklärte Ziel ein weltweites Kalifat der Muslime – dem sich Nichtmuslime unterwerfen sollen. Staatliche Einflussnahmen werden abgelehnt.

Neben durchchoreografierten Kundgebungen setzt die Gruppe vor allem auf Social Media. Allein auf Tiktok hatte sie zuletzt 18.800 Follower*innen, denen aufwändig produzierte Videos präsentiert wurden, viele davon von Wortführer Boateng. Und die Teilnehmendenzahlen ihrer Kundgebungen in Hamburg zeigten, wie mobilisierungsfähig die Gruppe auch auf der Straße war.

„Muslim Interaktiv ist die innovativste Gruppe im deutschen Islamismus bislang“, sagt der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück. Indem die Organisation religiöse Motive mit Elementen aus Jugend- und Straßenkultur kombiniert habe, sei es ihr gelungen vor allem junge Männer anzusprechen. „Klug gemachte Agitation“, nennt Kiefer das.

Dabei habe „Muslim Interaktiv“ mit dem Krieg zwischen Israel und Hamas in Gaza oder zuletzt der „Stadtbild“-Debatte gezielt Themen instrumentalisiert, die muslimische Jugendliche umtreiben würden. Auch der Hamburger Verfassungsschutz hatte zuletzt eingeschätzt, die Gruppe befördere eine „desintegrative Wirkung unter der muslimischen Bevölkerung und eine Spaltung der Gesellschaft“.

Dass Verbot hält Islamwissenschaftler Kiefer für richtig, der Staat müsse sich gegen seine Feinde zur Wehr setzen. Kiefer warnt aber auch: „Verbote schaffen das Problem nicht aus der Welt.“ Hizb ut-Tahrir sei noch nach jedem Rückschlag schnell unter neuem Namen wieder aufgetaucht. Kiefer fordert deshalb auch eine Stärkung der Islamismusprävention in Deutschland, etwa in Form von Bildungsprojekten oder Aussteigerprogrammen. Helfen könne zudem eine Altersbeschränkung für soziale Medien.

Dobrindts Ministerium wirft der Gruppe zudem vor, das Existenzrecht Israels zu bestreiten. Immer wieder wetterte die Gruppe gegen „Zionisten“, denen Deutschland einen „Blankoscheck“ ausstelle. Die Hamas-Angriffe auf Israel am 7. Oktober 2023 wurden begrüßt.

Hamburgs Innenminister Andy Grote (SPD) erklärte zu dem Verbot, es sei eine „gefährliche und sehr aktive islamistische Gruppierung ausgeschaltet“ worden. Hamburg habe maßgeblich an dem Verbot mitgewirkt. Man gehe „mit aller Härte und Konsequenz gegen islamistische Strukturen vor“, so Grote.

Auch Wortführer von „Realität Islam“ und „Generation Islam“ waren zuletzt für ein Kalifat eingetreten und auf Social Media aktiv. Das Innenministerium begründete die Razzien auch bei diesen Gruppen damit, dass sie „dringend verdächtig“ seien, die gleichen Verbotsgründe wie „Muslim Interaktiv“ zu vertreten. Im Sommer hatten beide Gruppen indes beteuert, sich aufgelöst zu haben. Ihre Wortführer aber machten weiter und mobilisierten auch zu Kundgebungen. In Berlin folgten dem etwa im Juli immer noch rund 1.500 Personen.

Die Razzien gegen „Realität Islam“ und „Generation Islam“ dienten den Behörden denn auch dazu, Licht in deren organisatorische Strukturen und damit auch deren potenziell finanzielle Schlagkraft zu bringen. Insgesamt rechneten die Behörden dem Nachfolgespektrum der Hizb ut-Tahrir in Deutschland zuletzt 850 Mitglieder zu – eine Verdoppelung im Vergleich zu vor fünf Jahren.

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