EMtaz: Unsinn der Schweigeminute: Einfach mal die Fresse halten

Vor dem Frankreich-Spiel war mal wieder Schweigen verordnet. Gehört sich halt. Wer hingegen bei der Hymne schweigt, wird gerügt. Was soll das?

Die Teams von Frankreich und Albanien bei der Schweigeminute

Hatten nichts zu sagen: die Teams von Frankreich und Albanien Foto: imago/panoramic

Wer vor dem Spiel Frankreich gegen Albanien den Ton nicht an hatte, konnte kaum wissen, warum eine Schweigeminute stattfand. War's wegen Orlando? War's wegen des Terroraktes in Frankreich, der einem Ehepaar das Leben kostete? Es passiert so viel Scheiße neben dem Fußballbetrieb – man muss schon raten, welcher davon gerade der Grund ist, mal eben nichts zu sagen.

Bei der Schweigeminute nichts zu sagen, gehört zum guten Ton. Anders ist es, wenn jemand von sich aus bei der Hymne die Klappe hält – aus welchen Gründen auch immer.

Es ist absurd, wie oft darüber gesprochen wird, wer die Nationalhymne nicht mitsingt, wer sich nur die Herzgegend massiert und wer mit Inbrunst mitgeht, wenn die Kinder des Vaterlandes vorwärtsmarschieren, weil der Tag des Ruhmes gekommen ist. Es ist noch nicht lange her, da musste sich Frankreichs Karim Benzema diversen Journalisten stellen und erklären, warum er kurz nach der Hymne ausspuckte. Wegen der Speichelbildung! Aber das reichte nicht als Erklärung. Er spuckte auf Frankreich, stand zu lesen. Als wäre es außergewöhnlich, dass Fußballer ausspucken, auf dem Feld.

Auch jetzt, während der EM, sehen sich diverse Spieler genötigt zu erklären, warum sie nicht das Hohelied ihrer Nation singen, sondern stattdessen in stiller Andacht dastehen und diesen Akt der kollektiven Selbstvergewisserung stoisch über sich ergehen lassen. Die Diskussion hat man inzwischen in allen Ländern, bei denen nicht ausschließlich Bionationale mitspielen – außer bei Spanien. Da hat der König einst den Text gestrichen, weil er ihn schlecht fand. Der darf das, ein Fußballspieler nicht.

Sportverbände diktieren die Benimmregeln

Und warum sollen sie denn nicht nicht singen, sie stören ja keinen? Sie sind nur nicht dabei. Es ist noch nicht einmal eine Verweigerung – es setzt sich ja keiner auf den Boden oder zieht die Hose runter, während das Orchester dudelt; aber allein schon nicht andächtig genug zu gucken oder nicht wenigstens die Lippen zu bewegen, ist schon Vergehen genug, um national besprochen zu werden.

Sportverbände diktieren, wozu man die Fresse hält, und Sportredaktionen, wann man sie aufzumachen hat. Als der Schwede Tobias Karlsson bei der Handball-EM Anfang des Jahres mit einer regenbogenfarbenen Kapitänsbinde auflaufen wollte – aus Solidarität mit den Homosexuellen und als Zeichen gegen Homophobie – da hat der Europäische Handballverband ihm das verboten. Die Spielführerbinde sei „als Teil des Trikotsatzes anzusehen“ und müsse deswegen „eine Farbe oder mehrere Farben der jeweiligen Nation enthalten“, hieß die schwache Begründung.

Die Schweigeminute vor dem Frankreich-Spiel war ein Moment der großen Leere. Weswegen trauern wir um das eine, um das andere aber nicht? Wer entscheidet, was beschweigenswert ist? Was müssen wir bedenken, bevor wir ohne schlechtes Gewissen ein Fußballspiel sehen dürfen? Warum überlässt es die Uefa nicht den Leuten – Spielern, Trainern, Publikum – zu entscheiden, welche Zeichen sie setzen wollen?

Darüber immerhin könnte man dann sprechen. Stattdessen bleibt von dieser Minute nur ein Eindruck: Es war ein beredtes Schweigen, das nichts heißt.

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