EMtaz: Vorrundenbilanz der DFB-Elf: Mach ma rein, ey!

Auf jeden Vorwurf – defensiv zu schlecht, offensiv zu harmlos – findet das deutsche Team auf dem Platz eine Antwort. Ein Manko bleibt aber.

Drei Fußballspieler in vollem Lauf, einer von ihnen, Thomas Müller, schießt

Thomas Müller schießt – und trifft wieder nicht Foto: dpa

PARIS taz | Mario Gomez nutzte die Gunst der Stunde für einen Appell. Nach seinem gewinnbringenden Treffer gegen Nordirland setzte er in den Katakomben des Prinzenparkstadions von Paris auch noch ein möglichst gewinnbringendes Lächeln auf und erklärte: „Wir sollten wieder mehr Fan dieser Mannschaft werden und nicht immer wieder aufs Neue nach dem Schlechten suchen.“

Er outete sich nach dem 1:0-Erfolg, der gleichbedeutend mit dem Gruppensieg war, als einer der größten Fans dieser deutschen Nationalmannschaft. Für dieses Team, sagte er, sei immer alles möglich.

Mit diesen Worten wollte Gomez sich nicht auf eine PR-Assistenzstelle bei Teammanager Oliver Bierhoff bewerben, sondern vielmehr der nächsten aufkeimenden Debatte die Grundlage nehmen. Über die geringe Torausbeute trotz fast schon unzähliger guter Gelegenheiten mochte sich der 30-Jährige gar nicht weiter auslassen.

Dass seit Beginn der EM so erregte öffentliche Diskussionen über deutsche Problemzonen auf dem Fußballfeld geführt werden, ist aber – anders als es Gomez vermutet – eher ein Zeugnis davon, wie viele Anhänger die deutsche Nationalmannschaft hat, deren exorbitante Erwartungen enttäuscht wurden.

Nach dem ersten Spiel gegen die Ukraine hieß es: Mit dieser Defensive kann man keinen Titel gewinnen. Nach dem zweiten gegen Polen war klar: wer so wenige Chancen herausspielt, muss bald nach Hause fahren. Und nach dem Spiel gegen Nordirland treibt diese Ineffizienz von Thomas Müller (zweimal das Torgestänge) oder Mario Götze vielen die Sorgenfalten auf die Stirn.

Kleine positionelle Verschiebungen

Die Debatten haben alle ihren berechtigten Kern, sie werden nur mit einer jeweils so grundsätzlichen Brisanz aufgepumpt, dass die Bestandsaufnahmen wie überzeichnete Karikaturen wirken. Im DFB-Lager zeigte das Wirkung. Recht dünnhäutig präsentierte man sich zuletzt wegen der Kritik.

Man könnte die Vorrunde der Deutschen in der Tat auch als einen stufenweisen Lernprozess deuten. Stach in einem Spiel eine Schwachstelle ins Auge, so war sie im nächsten schon nicht mehr zu sehen. In diesem Sinne blickt Gomez am Dienstagabend aufs Achtelfinalspiel am Sonntag in Lille: „Wir hatten heute viele Chancen. Der nächste Schritt ist nun, sie reinzumachen.“

Im Spiel gegen Nordirland treibt die Ineffizienz von Thomas Müller oder Mario Götze vielen die Sorgenfalten auf die Stirn

Besonders aber bei der Partie gegen Nordirland konnte man einen Entwicklungssprung beobachten. Zum einen eröffnete Löw mit seinem Mut, den unerfahrenen Joshua Kimmich auf die rechte Außenverteidigerposition zu beordern, dem Offensivspiel der Deutschen eine neue Perspektive. Zum anderen aber, und das war mindestens ebenso wichtig, löste er mit ein paar kleinen positionellen Verschiebungen die bisherige Blockade im Kombinationsspiel des Teams.

Thomas Müller rückte mehr ins Zentrum, was ihm offensichtlich gefiel: „Ich war näher an der Gefahrenzone.“ Weil Gomez die Stoßstürmerrolle übernahm, durfte Götze auf der linken Seite ein wenig nach hinten rücken, was diesem ebenfalls sehr zusprach. Er fühle sich dort wesentlich wohler, ließ er wissen. Wobei er nicht nur wegen seiner vergebenen Großchancen etwas glücklos agierte. Der größte Profiteur des verbesserten Angriffsspiels aber war Mesut Özil. Aus Löws Sicht lag das weniger an den Verschiebungen als an den guten Laufwegen seiner Mitspieler in die Tiefe. „Dadurch ist Özil besser zur Geltung gekommen“, konstatierte er.

Albanien? Slowakei?

Die verbesserten Laufwege, das höhere Tempo und das bessere Passspiel seien ausschlaggebend gewesen. Auf diesen Dreisatz brachte Löw das verbesserte Auftreten im letzten gegnerischen Drittel. Mit Vorsicht allerdings begegnete er der Frage, inwieweit seine Aufstellung Modellcharakter für die kommenden Spiele haben könnte.

Für die nächste Partie wäre diese schon übertragbar, wenn man bei möglichen Gegnern wie Albanien oder der Slowakei auf einen sehr defensiv stehenden Gegner träfe. Auf weitergehende Gedankenexperimente ließ er sich lieber nicht ein. Gomez zeigte ein weiteres Mal, dass er ein durchaus begrenztes Rollenrepoirtiere hat. Seine Passgenauigkeitsquote (78 Prozent) fiel weit vom Durchschnitt ab (92 Prozent). Aber er stand wieder einmal im richtigen Moment an der richtigen Stelle. Und weil er sich mit seiner Position im Strafraumzentrum sehr verbunden fühlt, half er auch seinen Mitspielern. Löw hob hervor, dass er damit die beiden Innenverteidiger sehr beschäftigt und anderen Räume verschafft habe.

Im Unterschied zu Mario Gomez empfand der Bundestrainer jedoch die mangelnde Effizienz vor dem gegnerischen Tor nicht als Petitesse. „Zur Halbzeit hätten wir 3:0 oder 4:0 führen und dann den ein oder anderen Spieler schonen können.“ Das wäre durchaus weit über das Spiel hinaus von Vorteil gewesen.

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