EMtaz: Vorschau England – Island: Britain is an Island

Im Achtelfinale treffen die Engländer auf ihre Zukunft. Von ihren Gegnern können sie lernen, was es heißt, ein Volk am Rande Europas zu sein.

Isländische Fußballfans mit gehörnten Wikingerhelmen

Trotz spitzer Hörner irgendwie knuffig: Islandfans im Wikingeroutfit Foto: dpa

Würden bei der Europameisterschaft Punkte für Knuffigkeit vergeben werden, Island stünde schon im Finale. Die Mannschaft bedient die Sehnsüchte von Fußballfans, die von der EM bisher enttäuscht wurden. Fans, die sich an Werbeblöcke vorbeikämpfen müssen, vollgestopft mit sympathischen Herren wie Pierluigi Collina und Atze Schröder, um dann selbst von Spanien oder Deutschland nur fußballerische Kantinenkost serviert zu bekommen.

Nun treffen die Isländer im Achtelfinale auf England (21 Uhr). Auf den ersten Blick haben beide Teams nicht viel gemein: Hier die edle Premier-League-Truppe, in der jeder Spieler einen höheren Marktwert hat als die Panama Papers des isländischen Exregierungschefs.

Und dort die Isländer, skandinavische Romantiker. Sie spielen keinen schönen Fußball, haben aber auch nie behauptet, das tun zu wollen. Auf Ästhetik setzen sie in anderen Bereichen: Ihr Torhüter Hannes Thor Halldorsson (no games with names) drehte mal das Video für den isländischen Beitrag für den Eurovision Song Contest 2012. Und wem das noch nicht schon zehnmal von Béla Réthy erzählt wurde, kriegt es hier noch mal nahegebracht: Islands Trainer Heimir Hallgrimsson ist eigentlich Zahnarzt (no games with ­names, too). Der berühmteste Teil des Teams ist aber seit dem Einzug ins Achtelfinale der Fußballkommentator Gudmundur Benediktsson.

Beim sehr späten Siegtor gegen Österreich quiekte er wie gesengte Hühner in ­einer Wiesenhof-Schlachterei, und jetzt kennen alle Europäer den isländischen Ausdruck für: Jaaaaaa! Das Spiel erzielte in Island beinahe eine Einschaltquote von 100 Prozent.

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Jener Kommentator war bis Samstag übrigens im Nebenjob Co-Trainer des KR Reyk­ja­vík, dem isländischen Serienmeister. Das ist in etwa so, als würde Béla Réthy zwischen zwei EM-Spielen nach Hause fliegen und den FC Bayern zur Meisterschaft coachen. Man stelle sich das also lieber nicht vor. Ganz so romantisch ist übrigens auch der Liga­alltag in Island nicht. Die erste Liga heißt Pepsideild und klingt nicht nur zufällig wie eine Getränkemarke.

Nach dem Spiel noch Handynummern tauschen

Beim Achtelfinale in Nizza werden bis zu 30.000 isländische Fans erwartet, das sind fast 10 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: Als letztmals so viele Deutsche nach Frankreich marschierten, war mein Opa dabei. Doch auch wenn Englands Mannschaft vermutlich gegen die Isländer siegen wird, sollten die Engländer nach dem Spiel nicht nur Trikots, sondern auch Handynummern mit den Isländern tauschen. Sie könnten sie noch gebrauchen.

Auch die Isländer waren mal eine bedeutende Weltmacht (Wikinger, Walfang) und hatten mal eine bedeutende Weltwährung (Kronen)

Denn England kann von Island erfahren, wie es sich anfühlt, ein nicht so bedeutender Inselstaat am Rande Europas zu sein. Eine Aussicht, die die Engländer nicht grämen, sondern trösten sollte. Auch die Isländer waren mal eine bedeutende Weltmacht (Wikinger, Walfang) und hatten mal eine bedeutende Weltwährung (Kronen).

Auch Island hat eine Banken- und Finanzkrise hinter sich, von der sich das Land erst allmählich erholt. Trotzdem oder gerade weil die Insel heute so putzig unwichtig ist, finden alle Island so sympathisch: so harmlos wie schön. England muss sich die Liebe der Europäer freilich erst wieder erarbeiten. Sie sind auf einem guten Weg, der Brexit war dafür der erste, richtige Schritt in die Harmlosigkeit.

Ein Blick ins Jahr 2018

Man kann sich mühelos vorstellen, wie die englische Mannschaft bei der nächsten WM in zwei Jahren in Großrussland auftritt und dort die Herzen der europäischen Fußballfans gewinnt: Die Premier League ist als Profiliga insolvent und abgewickelt, Englands Fußballer sind wieder im besten Sinne Amateure, also Liebhaber. Tagsüber schuften sie auf dem Bau oder pendeln als Arbeitsmigranten in die EU-Mitgliedsstaaten Schottland und Polen, abends kicken sie in den verfallenden Ruinen in Wembley und an der Anfield Road.

Mit Ach und Krach qualifiziert sich eine Bande von Rotschöpfen mit blasser Haut, angeführt vom berüchtigten Kneipenschläger Wayne R. Im letzten Spiel der Vorrunde, ausgetragen auf der Krim, kommt es zum Spiel England gegen Österreich (oder dem, was 2018 von Österreich übrig ist).

Und wenn die Three Lions dann in letzter Minute der Nachspielzeit das Siegt(h)or(son) schießt, kreischt der englische Fußballkommentator. Das Video davon wird ein Hit bei Snapchat, auch wenn niemand mehr diese merkwürdige Sprache der Insulaner versteht.

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