EU-Gipfel: Industrie wichtiger als Klima
Europas Staats- und Regierungschefs stellen Emissionshandel und Verbrenneraus in Frage. Unklar, wie das Klimaziel 2040 erreicht werden soll.
Die EU schraubt ihre Ambitionen in der Umwelt- und Klimapolitik weiter herunter. Beim EU-Gipfel in Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs gefordert, das Klimaziel für 2040 industriefreundlich zu gestalten und auf Wettbewerbsfähigkeit zu trimmen. Wichtige Maßnahmen wie der Emissionshandel und das Verbrenneraus wurden infrage gestellt. Kanzler Friedrich Merz (CDU) startete sogar einen Frontalangriff auf das Lieferkettengesetz.
Das Europaparlament hatte es vor dem Gipfeltreffen abgelehnt, die Regeln für umwelt- und sozialverträgliche Lieferketten weiter auszuhöhlen. „Die gestrige Entscheidung des Europäischen Parlaments ist inakzeptabel“, polterte dagegen Merz in Brüssel. Er pochte darauf, die Vorschriften für Unternehmen zu lockern. Die „fatale Fehlentscheidung“ der Abgeordneten müsse korrigiert werden. Darauf bestehe er, sagte Merz nach dem EU-Gipfel.
Der Chef der deutschen SPD-Gruppe im Parlament, René Repasi, hielt dagegen. „Es steht einem nationalen Regierungschef wie Kanzler Merz nicht an, das Europäische Parlament, das ihm gegenüber nicht rechenschaftspflichtig ist, für eine demokratische Mehrheitsentscheidung zu kritisieren“, sagte Repasi. Das EU-Parlament sei kein „Abnickverein“. Doch die konservative Parlamentspräsidentin Roberta Metsola deutete Entgegenkommen an.
In der Straßburger Kammer gibt die konservative EVP den Ton an, die vom CSU-Politiker Manfred Weber geführt wird. Weber verfolgt dieselben Ziele wie Merz. Er will den gesamten „Green Deal“ der EU aufweichen, um der Industrie entgegenzukommen und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Weber hatte angekündigt, auch das für 2035 geplante Aus für Verbrennermotoren zu kippen. Der EU-Gipfel forderte die EU-Kommission auf, dazu einen Vorschlag vorzulegen.
Zweite Stufe des Emissionshandels unter Beschuss
Auch das ETS 2, die zweite Stufe des europäischen Emissionshandels, steht unter Beschuss. Die EU-Chefs sprachen sich für Änderungen am CO2-Preissystem für den Gebäude- und Verkehrssektor aus, das 2027 eingeführt wird. Viele Staaten fürchten, dass die Preise beim Heizen und Tanken durch die CO2-Bepreisung des ETS 2 zu stark steigen. Die EU-Kommission soll nun einen industriefreundlichen und sozialverträglichen Plan vorlegen.
Unklar ist, wie die EU mit den nun geplanten Änderungen und Lockerungen noch das Klimaziel für 2040 erreichen will. Die EU-Kommission hat eine Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 vorgeschlagen. Der EU-Gipfel hat sich zwar in einem Nebensatz zu diesem Ziel bekannt, die EU-Kommission aber zugleich aufgefordert, die „nötigen Bedingungen“ zu schaffen. Damit schafft man eine Hintertür.
Dies zeigt sich auch am neuen „Wording“ der Staats- und Regierungschefs. Statt wie bisher von der „grünen Transformation“ sprechen sie nun von einem „wettbewerbsfähigen grünen Übergang“. Alle Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen werden unter den Primat der Wettbewerbsfähigkeit gestellt. Kanzler Merz kündigte zudem einen Sondergipfel für Februar an. Er soll sich vollständig um die Rettung der Industrie und die Wettbewerbsfähigkeit drehen.
Für den neuen, industriefreundlichen Fokus haben sich auch Frankreich, Polen und die Slowakei ausgesprochen. Beim EU-Gipfel kam es sogar zum Schulterschluss zwischen Merz und dem slowakischen Regierungschef Robert Fico. Sie forderten gemeinsam Maßnahmen zugunsten der Autoindustrie. In der Slowakei sitzen viele Zulieferer deutscher Unternehmen. Zuvor hatte Fico wochenlang das 19. Sanktionspaket gegen Russland blockiert.
Die Reaktionen auf die Gipfelentscheidungen fallen gemischt aus. Der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss sprach von einem „Kuhhandel“. Positiv sei, dass das Klimaziel für 2040 vorerst gerettet worden sei – allerdings um den Preis schmerzhafter Zugeständnisse. Zentrale Bausteine der europäischen Klimaarchitektur seien abgeschwächt worden. Die Industrie reagierte positiv. Allerdings müssten den Worten nun Taten folgen.
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