EU-Mercosur-Abkommen: Klimaschutz ausgehebelt
Ein Klagerecht im Freihandelsabkommen höhle den Green Deal aus, warnen NGOs in einer aktuellen Studie. Die EU-Kommission bereitet Ratifizierung vor.

Nach Auffassung von Brot für die Welt, Misereor und Powershift räumt die aktuelle Fassung den Mercosur-Staaten ein Klagerecht gegen Europas Gesetze zu Nachhaltigkeit ein, die Teil des Green Deal sind. Der neu geschaffene Ausgleichsmechanismus sei im zentralen Schiedsgerichtsverfahren verankert, das die Staaten bei Verletzung des Abkommens nutzen können. Es gewähre den Staaten ein Recht auf Kompensationen, wenn EU-Gesetze wie die Entwaldungsverordnung ihre Handelsvorteile einschränken sollten, sagt Armin Paasch, Misereor-Experte für Handel und Menschenrechte. „Die EU würde sich beim Klimaschutz dauerhaft Fesseln anlegen.“
„Bei Ausgleichsmaßnahmen in Handelsabkommen geht es meistens darum, bestimmte Zölle zu senken oder den Marktzugang zu erweitern“, erklärt der Jurist Markus Krajewski, der schon viele Rechtsgutachten zu Handelsabkommen verfasst hat. Aus einer rechtspolitischen Betrachtungsweise sei dagegen nichts einzuwenden. „Wenn man sich das politisch anschaut, kann es aber natürlich bedeuten, dass diese Regelungen zu Nachhaltigkeit damit auch in der EU wieder unter Druck geraten können“, sagt Krajewski.
Die Studienautoren fürchten, dass Staaten den Mechanismus nutzen könnten, um „präventiv Druck“ auszuüben, „um missliebige Gesetzesvorhaben zu beeinflussen oder zu verhindern“. Außerdem könne eine Kompensation auch darin bestehen, dass die EU höhere Quoten von Zollbegünstigungen „für emissionsintensive oder waldgefährdende Güter wie Rindfleisch oder Ethanol“ erlaube, argumentieren sie.
Die entsprechende Passage kam im Zuge der Nachverhandlungen vergangenes Jahr hinzu. Besonders die Entwaldungsrichtlinie der EU hatte für Unmut bei den Mercosur-Staaten gesorgt. Die Regelung verbietet den Import von Waren in die EU, die mit Entwaldung in Zusammenhang stehen. Die südamerikanische Staatengemeinschaft sah sich damit bevormundet und benachteiligt.
Finaler Text noch nicht öffentlich
Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und Befürchtungen von Zolldrohungen Richtung Europa, ergab sich Ende letzten Jahres ein politisches Fenster für EU-Kommissarin Ursula von der Leyen, die Verhandlungen zum Abkommen abzuschließen. Diesen Abschluss verkündete sie zusammen mit den Präsidenten der Mercosur-Staaten im Dezember 2024.
Bis Ende Juli wollte die Kommission den finalen Text veröffentlichen. Eine Kommissionssprecherin wollte den Zeitplan gegenüber der taz jedoch nicht bestätigen. Danach müssen das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten zustimmen und das Abkommen ratifizieren. Doch das ist auch bei EU-Mitgliedstaaten weiterhin umstritten. Nachhaltigkeit ist das eine, die größere Lobby dürften Landwirte in Frankreich, Polen und Österreich stellen, die billige Konkurrenz aus Südamerika befürchten – ihre Regierungen stellen sich weiterhin quer.
Um sie zu besänftigen, wurde ein Fonds für Landwirte in Aussicht gestellt, sollten ihnen Nachteile durch das Abkommen entstehen. Die Kommission betont aber, dass sie damit nicht rechne. Denn sie hat bereits Kontingente für wichtige Güter wie Rindfleisch in den Text verhandelt, die weniger als zwei Prozent des gesamten Konsums in Europa über geringere Importzölle vergünstigen.
Für die Befürworter – dazu zählt auch die Bundesregierung – ist das Abkommen zentral, um neue Märkte zu erschließen und wichtige Rohstoffe zu sichern. Profitieren würden vor allem Europas Exportindustrien: Auto- und Maschinenbau, Pharma und auch die Ernährungsbranche.
Keine Sanktionen
Für die NGOs liegt genau darin ein grundsätzliches Problem des Freihandelsabkommens: Es sind diese Industrien, die den Klimawandel vorantreiben – aus Europa wie auch den Mercosur-Staaten. „Die vereinbarten Verbote von Exportbeschränkungen und der Abbau von Importzöllen begünstigen in Südamerika einseitig die Viehzucht, industrielle Zuckerplantagen und Sojafelder sowie den Bergbau“, sagt Studienautor Thomas Fritz von der Umweltorganisation Powershift.
„Genau diese Branchen sind in Südamerika hauptverantwortlich für die Zerstörung von Regenwäldern, Trockensavannen, Vertreibung indigener Gemeinschaften und Pestizidvergiftungen“. Die NGOs kritisieren auch, dass Passagen zu Klimaschutz und Menschenrechten im Abkommen nicht sanktioniert werden können.
„Die Kritik an den EU-Freihandelsabkommen, sie beinhalteten eine Streitbeilegung ohne Zähne, bleibt bestehen“, sagt auch Krajeweski. Er findet es dennoch wichtig, dass es diese Bekenntnisse zur Einhaltung von Verpflichtungen zu Klima, Umwelt und Menschenrechten überhaupt gibt. Die NGOs fordern die Bundesregierung und das Europäische Parlament auf, den Vertrag nicht zu unterzeichnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Normalisierung Israels Gewalt in Gaza
Tödliche Abstumpfung
Debatte um Mindestlohn
Wer beißt in den sauren Apfel?
Protest gegen Alice Weidel
Was der AfD wirklich nützt
Protest beim Sommerinterview mit Weidel
Ein Hoch auf den Zwischenruf
Neue Oper für Hamburg
Kein Applaus für Klaus Michael Kühne
Rassismus im Mietshaus
Wenn der Nachbar rechtsextrem ist