EU-Sondergipfel in Brüssel: Last-Minute-Deals zum Brexit

In Brüssel hat vor dem EU-Sondergipfel am Sonntag eine hektische Krisendiplomatie eingesetzt. Manche Themen sind noch strittig. Der Ausgang ist ungewiss.

Theresa May und Jean-Claude Juncker

Theresa May besuchte überraschend EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Foto: reuters

BRÜSSEL taz | Am Sonntag soll die Scheidung zwischen der EU und Großbritannien besiegelt werden – mit einem letzten Brexit-Gipfel in Brüssel. Doch nun sind neue Zweifel an einer gütlichen Trennung aufgekommen. Es geht um Gibraltar, die Fischerei-Rechte und die künftigen Beziehungen. In Brüssel reiht sich ein Krisentreffen an das nächste.

Bereits am Mittwochabend war die britische Premierministerin Theresa May überraschend in die belgische Hauptstadt geeilt, um mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die angeblich letzten Hürden auszuräumen. Das Treffen habe „sehr gute Fortschritte“ gebracht, hieß es hinterher – doch offenbar keinen Durchbruch.

Deshalb will May am Samstag noch einmal nach Brüssel kommen. Der Blitzbesuch kurz vor dem Brexit-Gipfel soll dem heimischen Publikum auf der britischen Insel signalisieren, dass die in London heftig angefeindete Premierministerin bis zur letzten Minute kämpft. Er deutet jedoch auch auf ungelöste Probleme hin.

Welche das sind, will niemand sagen. Alles bleibt unter dem Deckel, es gibt nicht einmal Leaks. Unklar ist auch, was an den Gerüchten dran ist, dass Kanzlerin Angela Merkel gedroht habe, den Brexit-Gipfel platzen zu lassen. Die Kanzlerin habe damit gedroht, am Sonntag gar nicht erst nach Brüssel zu reisen, berichtete der Guardian.

Unklar ist auch, was an den Gerüchten dran ist, dass Kanzlerin Angela Merkel gedroht habe, den Brexit-Gipfel platzen zu lassen

In deutschen Regierungskreisen wird das nicht bestätigt. Merkel wolle am Sonntag nur noch das fast 600 Seiten starke Austrittsabkommen unterzeichnen, heißt es. Auf Nachverhandlungen werde sich die Kanzlerin jedoch nicht einlassen. So sei es auch mit den anderen EU-Chefs abgesprochen; der Gipfel soll schon gegen Mittag enden.

Also müssen die Verhandlungen vorher stattfinden und das ist offenbar der Sinn der hektischen Krisendiplomatie. Am Donnerstag treffen sich die EU-Botschafter in Brüssel, am Freitag kommen dann auch noch die „Sherpas“ – also die Wasserträger von Merkel und ihren Amtskollegen – zu vermutlich letzten Beratungen.

So viele Krisentreffen gab es selten in Brüssel. Selbst auf dem Höhepunkt des Schuldenstreits mit Griechenland 2015 ging es nicht so hektisch zu. Ungewöhnlich ist auch, dass die Gespräche nun von Juncker geführt werden und nicht mehr von EU-Verhandlungsführer Michel Barnier, der das Austrittsabkommen mühsam ausgehandelt hatte.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist der Scheidungsvertrag fertig. Die EU will ihn nicht mehr „aufmachen“. Zum anderen haben bereits die Verhandlungen für den nächsten Vertrag begonnen, in dem die künftigen Beziehungen zwischen London und Brüssel geregelt werden. Außerdem ist der Brexit nun endgültig zur „Chefsache“ geworden, es geht um große Politik, nicht um Paragraphen.

Der spanische Regierungschef Pedro Sánchez drohte mit einem Veto gegen den Brexit-Deal, falls die Gibraltar-Frage nicht geklärt werde

Den größten politischen Einsatz wagt dabei jemand, mit dem bisher niemand gerechnet hatte: der spanische Regierungschef Pedro Sánchez. Er drohte mit einem Veto gegen den Brexit-Deal, falls die Gibraltar-Frage nicht geklärt werde. Sánchez möchte erreichen, dass ein Passus im Austrittsvertrag zu Gibraltar nachträglich geändert wird.

Doch das lehnen die anderen EU-Länder ab. Sie versuchen, Spanien zu isolieren und den Gibraltar-Streit zu einem rein bilateralen Problem herunterzuspielen. Tatsächlich ist Sánchez nun auch mit May im Gespräch. Ob das eine Last-Minute-Einigung im jahrhundertealten Streit um den „Affenfelsen“ am Mittelmeer bringt, ist jedoch offen.

Als noch gefährlicher könnte sich der Streit um die künftigen Beziehungen mit London erweisen. May versucht, möglichst viele Details in einen (noch nicht fertigen) Anhang zum Austrittsvertrag hineinzuschreiben. Auf diese Weise will sie versuchen, den Weg für ein – zumindest aus britischer Sicht – günstiges Freihandelsabkommen zu ebnen.

Doch genau das wollen die verbleibenden 27 EU-Länder unbedingt verhindern. Vor allem Frankreich steht auf der Bremse. Paris will sich nicht nur die bisher gültigen Fischerei-Rechte sichern, sondern Großbritannien auch hohe Steuer-, Umwelt- und Sozialstandards vorschreiben. Andernfalls, so die Sorge, könnte es zu Dumping kommen.

Ende offen

Wie das alles zusammenpassen soll – Mays Ambitionen, Sanchez’ Drohung, Merkels Abneigung gegen Nachverhandlungen und die französischen Vorbehalte – kann niemand in Brüssel sagen. Immerhin wurde am Donnerstag eine erste Einigung gemeldet. Die Unterhändler haben sich nach Aussagen eines EU-Vertreters auf die Erklärung zu den künftigen Beziehungen nach dem Brexit geeinigt.

Doch ob der „Zukunftpakt“ die geheimen Beratungen der Botschafter und der Sherpas übersteht, bleibt abzuwarten. Bis Sonntag könnte es noch manche Überraschung geben.

Hier finden Sie ein Q & A zum Brexit-Deal

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