EU darf Seeräuber in den Tropen jagen: Paradies für Piraten

Die Seychellen sind das Zentrum der Fischereiindustrie des Indischen Ozeans. Bis dorthin haben somalische Piraten ihre Beutezüge mittlerweile ausgedehnt. Nun schickt die EU Truppen.

Alternative für afghanistanmüde Soldaten im Auslandseinsatz: die Seychellen, ein Archipel aus 115 Tropeninseln unter dem Äquator im Indischen Ozean. Bild: dpa

Für afghanistanmüde Soldaten im Auslandseinsatz gibt es bald eine Alternative. Die EU hat am Dienstag ein Truppenstationierungsabkommen mit einem exklusiven Urlaubsparadies geschlossen: die Seychellen, ein Archipel aus 115 Tropeninseln unter dem Äquator im Indischen Ozean. Die EU darf nun somalische Seeräuber bis in die Gewässer der Seychellen verfolgen. Es gehe um "abschreckende Wirkung", sagte der britische Botschafter Matthew Forbes in der Hauptstadt Victoria. "Dieses Land muss zusammen mit seinen Freunden diese Plage bekämpfen."

Das Bürgerkriegsland Somalia ist zwar von den Seychellen über 1.000 Kilometer entfernt, aber seine Piraten haben ihre Aktivitäten längst bis dorthin ausgedehnt. Erst am Dienstag früh griffen somalische Piraten nahe der Seychellen den dänischen Frachter "MV Nele Maersk" an, auf dem Weg von Oman nach Südafrika. Und im bisher am weitesten von Somalia entfernten Angriff kam am Montag der Öltanker "VLCC BW Lion" aus Hong Kong 400 Seemeilen nordöstlich der Seychellen unter Raketenbeschuss. Die Bemühungen von EU und Nato, Piraterie vor Somalia mit Kriegsschiffen zu unterbinden, haben also die Unsicherheit nicht eingedämmt, sondern sie breiter gestreut.

Somalias Piratensprecher begründen ihre Aktivitäten gerne mit den Raubzügen industrieller Fischfangflotten seit dem kriegsbedingten Verschwinden des somalischen Zentralstaates 1991: Alle Kontrollen seien danach weggefallen, die Meere seien leer, viele Somalis hätten ihre Lebensgrundlage verloren und müssten nun aus Verzweiflung Schiffe überfallen. Dieses hehre Bild des Piraten als tropischer Robin Hood verflüchtigt sich, seitdem sich das Piratenwesen von Somalias Sumpfküsten und Holzbarken entfernt hat. Piraterie in Somalia ist heute eine Sache global vernetzter Geschäftsleute mit modernen Schnellbooten, Insiderwissen und besten Kontakten vom Hafen Dubai bis in Somalias diverse Regierungen. Paradoxerweise jedoch hat erst dies die Piraten in die Lage versetzt, der industriellen Fischerei zu schaden.

Denn die Seychellen sind das Zentrum der Fischereiindustrie des Indischen Ozeans. Allein die Thunfischindustrie der Region setzt jährlich sechs Milliarden Dollar um. Gemäß dem geltenden Fischereiabkommen zwischen der EU und den Seychellen aus dem Jahr 2005 dürfen 52 europäische Schiffe in den 1,4 Millionen Quadratkilometern Wirtschaftszone des Archipels fischen, davon 40 Thunfischdampfer und 12 Trawler mit Schleppnetzen. 27 Lizenzen gehören Spanien, 22 Frankreich, 5 Portugal und eine Italien. Große Flotten aus Anrainerländern wie Pakistan, Jemen, Oman oder den Komoren sind ebenfalls aktiv.

2008 wurde Europas zulässige Höchstfischmenge sogar erweitert; die Jahresquote für Thunfisch beträgt heute 350.000 Tonnen, von denen drei Viertel tiefgekühlt nach Europa gebracht werden. Aber die Quote wird bei weitem nicht ausgefüllt. Das liegt vor allem an Überfischung, aber aus Sicht der Fischer ist es ein Sicherheitsproblem.

Frankreich griff kurzerhand zu einem Trick: Die im Rahmen der EU-Mission eingesetzten französischen Marinesoldaten werden seit Juli zum Teil an die Fischereiflotten ausgeliehen, samt Schiffen auf den Seychellen. Spanien hat erlaubt, private Sicherheitsfirmen zum Schutz der Schiffe anzuheuern.

Das bedeutet Krieg auf hoher See. Kaum eine Woche vergeht jetzt ohne einen bewaffneten Angriff auf ein europäisches Thunfischboot im Umkreis der Seychellen. Meistens werden die Piraten zurückgeschlagen; nur einmal waren sie bisher erfolgreich: Seit dem 2. Oktober befindet sich das 100 Meter lange spanische Fangfabrikschiff "Alakrana" mit 36 Seeleuten an Bord in der Hand von Piraten, die dafür 4 Millionen Euro Lösegeld verlangen. Außerdem haben somalische Seeräuber Fischkutter aus Thailand, Taiwan und Jemen entführt. Oktober und November gelten als die zwei besten Monate für den Thunfischfang im Ozean.

Als Reaktion wurden Teile der industriellen Fangflotten bereits aus der Region abgezogen, die verbleibenden dümpeln zumeist im Hafen von Victoria. Es sind noch 10 Thunfischtrawler aus Frankreich übrig, 14 (ohne die gekaperte "Alkrana") aus Spanien und 8 aus den Seychellen selbst. Es herrsche "Unruhe und Panik" unter den spanischen Fischern, berichtete dieser Tage der spanische Fischereiverband und äußerte die Hoffnung, dass sich die Lage verbessert, wenn demnächst Spanien das Atalanta-Kommando übernimmt.

Dass aus der Abwehr der Piraterie vor Somalia stillschweigend der Schutz der europäischen Industriefischerei vor den Seychellen wird, was die EU im Mai mit einer förmlichen Erweiterung des Einsatzgebietes abgesegnet hat, ist nicht die einzige erstaunliche Konsequenz des Misserfolges der Piratenbekämpfung. Interessieren sich die Europäer vor allem für Fisch, denken die USA beim Indischen Ozean an Terroristen.

Dass Somalia eine Basis für radikale Islamisten geworden ist, die sich zum Teil zu al-Qaida bekennen, war bereits Ende 2001 der Grund für die Seekomponente der internationalen Antiterrormission "Enduring Freedom", die die Seewege um die Arabische Halbinsel und das Horn von Afrika überwacht. Auch die Komoren und Kenia haben schon militante Islamisten hervorgebracht. Der Indische Ozean zwischen Somalia und Pakistan als Dschihadisten- und Schmuggelroute - das ist der Alptraum sämtlicher US-Geostrategen. Ein Ring von Instabilität rund um den westlichen Indischen Ozean würde auch Öllieferungen aus dem Persischen Golf sowie Asiens Seehandel Richtung Europa direkt treffen.

Die bisherigen Militärstützpunkte des Auslands im Indischen Ozean sind für die Überwachung dieser Region alle etwas zu weit weg. Auf dem britischen Diego Garcia steht das US-Militär, Frankreich hält eine Reihe von Inseln wie Réunion, das zum Komoren-Archipel gehörende Mayotte, diverse Eilande rund um Madagaskar. Der große französische Truppenstützpunkt in Dschibuti reicht auch nicht mehr aus. Dieses Jahr hat Frankreich einen Militärstützpunkt in den Vereinigten Arabischen Emiraten eröffnet, die USA schlossen ein Truppenstationierungsabkommen mit den Seychellen bereits im Juli.

Ein Geschwader unbemannter US-Drohnen traf Anfang November auf den Seychellen ein und wurde letzte Woche der lokalen Regierung vorgeführt. "Der Krieg gegen Piraterie muss an vielen Fronten geführt werden", sagte Joel Morgan, Umweltminister der Seychellen und Leiter des Piraterieausschusses der Regierung.

Wie weit wird die Militarisierung des Indischen Ozeans noch gehen? Zum ersten Mal seit der Kaperung der ukrainischen "MV Faina" mit über 30 Panzern für Südsudan im September 2008 geriet letzten Samstag erneut ein Waffenschiff in somalische Piratenhand: Die "MV Almezaan" mit der Flagge Panamas und 3.000 Tonnen "Business-Material" aus Dubai für einen Kunden in Somalia wurde am 7. November nahe der Piratenhochburg Hobyo entführt. Das Schiff sei eines von mehreren, die das UN-Waffenembargo gegen Somalia brechen, sagen Quellen in der Region.

Das hat Somalias machtlose Übergangsregierung erzürnt, da zwei spanische Kriegsschiffe ganz in der Nähe untätig geblieben seien, sagte der Piraten-Sonderbeauftragte der Regierung, Ismail Haji Noor. Er forderte die EU-Flotte dazu auf, sich auf Somalia zu konzentrieren und eine Seeblockade zu organisieren, damit weder Waffen noch illegale Fischerboote mehr nach Somalia durchkämen. "Die Kriegsschiffe könnten zum ersten Mal etwas Positives tun, indem sie illegale ausländische Fischkutter daran hindern, wichtige somalische Ressourcen zu plündern."

Auf den Seychellen dürfte der Somalier wenig Gehör finden. Die Inseln finden an ihrer Rolle als militärische Drehscheibe Gefallen: Die Marinesoldaten hinterlassen viel mehr Geld als die Luxustouristen, die jetzt schon seit einem Jahr wegbleiben.

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