EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Perfider Quatsch

Das Bundesverfassungsgericht beschädigt mutwillig den Ruf der EZB – allein um sich selbst mit Bedeutung zu umwehen.

Ein Spiegel der deutschen Gesellschaft? Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist verstörend. Ihm ist anzumerken, dass die Karlsruher Richter gaaaaanz wichtig sein wollen – und dafür gern bereit sind, die Europäische Zentralbank und den Europäischen Gerichtshof zu beschädigen.

Die Richter hatten zu bewerten, ob die Europäische Zentralbank Staatsanleihen ankaufen darf, um die Zinsen nach unten zu drücken. Konkret ging es dabei um 2,1 Billionen Euro, die die EZB zwischen 2015 und 2019 ausgegeben hatte, um die Wirtschaft in der Eurozone anzukurbeln.

Gegen dieses Kaufprogramm hatten die deutschen Richter nicht viel einzuwenden. Aber einfach nicken wollten sie auch nicht, sondern setzten sich maximal in Szene. Bedeutungsschwer dekretieren sie, dass die Kaufprogramme teilweise nicht verfassungsgemäß seien.

Diesem schweren Vorwurf folgte eine erstaunlich lächerliche Begründung: Die EZB hätte die „Verhältnismäßigkeit“ ihrer Maßnahmen nicht dargelegt. Sie hätte nicht ausreichend begründet, was ihre Beschlüsse für Aktionäre, Mieter, Immobilienbesitzer, Sparer und Versicherungsnehmer bedeuten würden. Dieser Vorwurf ist abwegig. Die EZB ist permanent damit beschäftigt, die makroökonomischen Folgen ihrer Geldpolitik abzuschätzen.

Ökonomischer Nationalismus

Im Kern verlangt das Bundesverfassungsgericht also, dass die EZB bei allen Analysen das Wort „verhältnismäßig“ hineinklebt. Leider ist dieser Quatsch nicht lustig, sondern perfide: Das Bundesverfassungsgericht beschädigt mutwillig die Reputation der EZB, um sich selbst mit Bedeutung zu umwehen.

Genauso rabiat gehen die Karlsruher Richter mit dem Europäischen Gerichtshof um, der im Dezember 2018 befunden hatte, dass die EZB-Ankäufe in Ordnung seien. Dieses Urteil sei „willkürlich“, behauptet das Bundesverfassungsgericht – und signalisiert damit erneut, dass die oberste Deutungshoheit in Karlsruhe zu residieren hat.

Das Bundesverfassungsgericht war schon immer ein Spiegel der deutschen Gesellschaft. Momentan spiegelt es den ökonomischen Nationalismus, der hierzulande grassiert.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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