Ebola-Tagebuch – Folge 36: Panikvirus in New York

In den USA entfaltet Ebola ungeahnte Nebenwirkungen. Die PolitikerInnen in New York haben nun zwei Gegner: das Virus und die Panik vor ihm.

Prävention gegen die Ausbreitung: Polizisten mit Flugblättern in New York Bild: ap

NEW YORK taz | Positiv lautet das Urteil, die Radio- und Fernsehsender unterbrechen ihr Programm. Am späten Donnerstagnachmittag war Dr. Craig Spence in das Bellevue-Krankenhaus von New York eingeliefert worden; bis vor neun Tagen war er mit Ärzte ohne Grenzen im Einsatz gegen Ebola in Westafrika. Jetzt steht fest: Er ist selbst infiziert. New York hat seinen ersten Ebola-Fall.

Gleichzeitig mit dem Patienten erfährt das ganze Land am Donnerstagabend von der Diagnose. Vor einem Reihenhaus in Harlem, in dessen Innerem die Wohnung des Arztes versiegelt ist, stehen Polizisten. Der Bürgermeister und der Gouverneur von New York sowie hochrangige GesundheitspolitikerInnen kündigen noch für den Abend eine Pressekonferenz im Krankenhaus an. CNN bietet mehr Ebola-ExpertInnen auf, als die USA Ebola-Kranke haben. Und auf Twitter schreibt jemand: „Rechtzeitig zu Halloween“.

Die Panikmaschine dreht sich seit Ende September, als im texanischen Dallas der Liberianer Thomas E. Duncan an Ebola erkrankt und gestorben war. Seither haben die großen Fernsehsender das Thema nicht mehr losgelassen. An vielen Tagen geben sie Ebola mehr Raum als Syrien und der Ukraine und den bevorstehenden Halbzeitwahlen in den USA. Dabei geht es weniger um die Epidemie in Westafrika, wo rund 5.000 Menschen gestorben sind, als um die USA, wo bislang – den New Yorker Patienten mitgezählt – genau neun Menschen an Ebola erkrankt sind, von denen einer gestorben ist.

Die Gesichter von Ebola in den USA sind die beiden Krankenschwestern aus Dallas sowie ein Kameramann, ein Arzt und Missionare, die krank aus Westafrika zurückgekommen sind. Außer Dr. Craig Spencer in New York sind sie inzwischen alle geheilt. Aber Nichtbetroffene leben ihre Geschichten in Fantasieen weiter. In Mississippi behalten Eltern ihre Kinder zu Hause, als sie erfahren, dass der Schuldirektor in Sambia gewesen ist, wohin es von Westafrika fast so weit ist wie nach Amerika – das Tausende Kilometer von Westafrika entfernt liegt. In New Jersey sollen Kinder, die in dem ebenfalls ebolafreien Ruanda waren, 21 Tage in Quarantäne gehen, bevor sie zum Unterricht zugelassen werden. In Louisville, Kentucky, wählen Leute die „Selbstisolation“, um eine Ansteckung zu vermeiden. Wohlgemerkt gibt es in keinem der drei Bundesstaaten einen Ebola-Fall.

Ansprachen zur Beruhigung

Bürgermeister Bill de Blasio will dergleichen Panik in der 8-Millionen-Stadt New York vermeiden. Weder die NachbarInnen des erkrankten Arztes noch andere U-BahnkundInnen und auch nicht andere Nutzer der Bowling-Bahn in Brooklyn, an der er am Vorabend seiner Einlieferung gespielt hat, haben eine Ansteckung zu befürchten, versucht er zu erklären. Bei der Pressekonferenz im Krankenhaus versichert der Bürgermeister etwas, das Präsident Barack Obama seit Wochen beinahe täglich wiederholt: Ebola überträgt sich nicht durch die Luft, sondern nur durch Körperflüssigkeiten.

New Yorks Gesundheitschefin, Mary Bassett, will mit dem Hinweis beruhigen, dass nicht einmal die Verlobte des Liberianers Duncan den Virus bekommen hat. Obwohl sie tagelang mit dem Schwerkranken in einer Wohnung zusammen war.

Politisches Potential

Die PolitikerInnen in New York wissen, dass sie zwei Gegner haben: den Ebola-Virus und die Ebola-Panik. Erschwerend aber kommt hinzu, dass Kongressabgeordnete in Washington inzwischen das politische Potential von Ebola erkannt haben. Zwei Dutzend von ihnen verlangen, dass die USA den Kontakt mit Westafrika abbrechen, keine Flüge von dort mehr erlauben und keine Visa mehr vergeben. Andere überlegen noch. Von GesundheitsexpertInnen, die dagegen halten, dass die beste Verteidigung gegen Ebola die Bekämpfung vor Ort ist und dass ein Reiseverbot ein Hindernis auch für HelferInnen wäre, lassen sie sich nicht beeindrucken.

Zuletzt entspannte sich die Stimmung an der heimischen Ebola-Front. Die Regierung verstärkte die Fieberkontrollen für Einreisende aus Westafrika an fünf Flughäfen. Das Weiße Haus stellte Ron Klain als künftigen Ebola-Sonderbeauftragten vor. Und in Nebraska verließ NBC-Kameramann Ashoka Mukpo das Krankenhaus als geheilter Mann. Wenige Stunden danach kam der Ebola-Fall in New York.

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