Eckpunkte zur Kindergrundsicherung: „Die Bedarfe von Kindern abdecken“

Die Kindergrundsicherung muss ganz neu berechnet werden, sagt Sabina Schutter von SOS Kinderdorf. Die Jugendlichen sollen am Prozess beteiligt werden.

Ein Kind sitzt auf einem Teppich und schiebt die Lokomotive einer Holzeisenbahn vorwärts

Bei der Grundsicherung werden bisher keine kindspezifischen Bedarfe wie Spielzeug berücksichtigt Foto: Anastasiya Amraeva/imago

taz: Frau Schutter, die Ampelkoalition will möglichst schnell die ersten Eckpunkte für die Kindergrundsicherung beschließen. Stimmt Sie diese Ansage optimistisch?

Sabina Schutter: Wir brauchen einen echten Paradigmenwechsel in der Armutsbekämpfung. Die aktuellen Zahlen zu Kinderarmut zeigen, dass sich seit Jahren nichts bewegt: Mehr als jedes fünfte Kind gilt in Deutschland als armutsgefährdet. Eine wirksame Kindergrundsicherung kann für echte Veränderung sorgen – und zwar für alle Kinder, egal welchen Aufenthaltsstatus sie haben oder in welcher Familienkonstellation sie leben. Damit wir Kinder in verdeckter Armut erreichen, brauchen wir einen vereinfachten, unbürokratischen Zugang zu den Leistungen. Zudem sollte sie die tatsächlichen und altersgerechten Bedarfe von Kindern abdecken. Es müssen Leistungen für Freizeit, Sport, Teilhabe und Bildung enthalten sein. Das sind die zentralen Aspekte. Und die sind, denke ich, auch nicht ganz unrealistisch.

Sie fordern, dass das Existenzminimum für Kinder eigenständig berechnet wird. Warum?

Es ist ein Unterschied, ob wir über ein Existenzminimum sprechen oder über eine Existenzsicherung. Aktuell ist das nicht adäquat, weil momentan Menschen, die selbst arm sind, die Vergleichsgruppe sind, anhand derer die Sätze für Kinder berechnet werden. Sie sollten sich aber an einer Kindheit in der gesellschaftlichen Mitte orientieren. Zudem werden keine kindspezifischen Bedarfe berücksichtigt. Denken Sie an Windeln oder Spielzeug – Kinder benötigen ja ganz andere Dinge. Deshalb plädieren wir dafür, dass der Kindergrundsicherung eine Neuberechnung der tatsächlichen und altersgerechten Bedarfe von Kindern zugrunde liegt. Ein wichtiger Aspekt ist, dass junge Menschen an dieser Neuberechnung beteiligt werden.

ist Vorstandsvorsitzende der NGO SOS Kinderdorf. Zuvor arbeitete sie für den Bundesverband Alleinerziehende Mütter und Väter

Wie stellen Sie sich diese Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vor?

Es gibt bekannte Beteiligungsformate, die schon bei anderen Gesetzgebungsverfahren angewendet wurden. Es ist ja nicht so, dass junge Menschen für die Politik nicht erreichbar wären. Beispielsweise könnte es Befragungen von Kindern und Jugendlichen geben.

Gibt es Bedingungen, von denen sie sagen, nur dann kann die Kindergrundsicherung ein Erfolg sein?

Die Kindergrundsicherung wird ein Erfolg, wenn die gesamtgesellschaftliche Stimmung dadurch verändert wird. Dass wir ein gesellschaftliches Klima haben, in dem anerkannt wird: Wir haben Kinder in dieser Gesellschaft und wollen alle gemeinsam, dass diese Kinder gut aufwachsen. Und dass wir bereit sind, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Die Ausgestaltung der Leistung und der niedrigschwellige Zugang sind natürlich wichtig. Aber ich glaube, wir brauchen hier auch dringend eine Diskursverschiebung.

Das ist ein hoher Anspruch.

Wenn es jetzt nach Veröffentlichung der Eckpunkte heißt, die Kindergrundsicherung nehme Eltern Arbeitsanreize, dann zeigt das eine problematische Haltung gegenüber armutsbetroffenen Familien. Wir wissen: Die meisten armutsgefährdeten Eltern sparen an allem – nur nicht an ihren Kindern. Kinderarmut ist sicher kein Arbeitsanreiz.

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