Ehrung der DDR-Richterin Hilde Benjamin: Von wegen starke Frau

In einer Broschüre wollte der Bezirk Steglitz-Zehlendorf „starke Frauen“ ehren – darunter auch die berüchtigte DDR-Richterin Hilde Benjamin.

Hilde Benjamin sitzt auf der Richterbank, vor ihr steht ein Angeklagter

Hilde Benjamin 1952 bei Gericht in einem Prozess gegen eine Gruppe von sieben Spionen der „Freiheitlichen Juristen“ Foto: Bundesarchiv, CC-BY-SA 3.0

Die „Bluthilde“ nannte man sie im Volksmund, die DDR-Justizministerin und Vorsitzende mehrerer Schauprozesse. 67 Mal urteilte Hilde Benjamin zwischen 1949 und 1953 über „Republikfeinde“, Alt-Nazis und „Wirtschaftssaboteure“. Ihre Bilanz: zwei Todesurteile, 15 lebenslängliche Haftstrafen und insgesamt 550 Jahre Zuchthaus. Den Mauerfall erlebte sie nicht mehr, Benjamin starb im April 1989 mit 87 Jahren in Ostberlin.

Hilde Benjamin wird aufgrund ihrer Tätigkeit als Richterin nicht nur von Konservativen und AntikommunistInnen kritisch eingeordnet. Sie als eine „starke Frau“ zu bezeichnen, läge vielen fern. In einer Broschüre, erschienen im schwarz-grün regierten Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf, ist jetzt aber genau das passiert: „Starke Frauen in Steglitz-Zehlendorf 1945 – 1990“ heißt das 76-Seiten-dicke Heft, das der taz vorliegt und in der Hilde Benjamin neben Frauen wie Jutta Limbach und Ingeborg Drewitz gewürdigt wird. Beziehungsweise gewürdigt werden sollte.

Denn auf der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Mittwochabend hatten die CDU- und FDP-Fraktion mit ihren Dringlichkeitsanträgen Erfolg, die Broschüre gedruckt nicht weiter vertreiben zu lassen und digital ohne den Beitrag über Hilde Benjamin zu veröffentlichen. Mit Ausnahme der Linksfraktion stimmten alle anderen dem Antrag der FDP zu. „Die Vernichtung der Broschüre unterdrückt doch nur die Diskussion. Es braucht eine kritische Ergänzung und Diskussion und keine ideologische Grabenkämpfe“, reagierte die Linksfraktion auf Twitter am Donnerstag.

Der stellvertretende Bezirksbürgermeister und Stadtrat für Gleichstellung, Michael Karnetzki (SPD), war aufgrund einer Dienstreise auf der Versammlung nicht anwesend. Eine Stellungnahme lies er trotzdem verlesen. Darin entschuldigte er sich bei den anderen genannten Frauen für die Nennung Benjamins. Die Broschüre war im Auftrag des Jobcenters von einem freien Träger erstellt worden, Karnetzki hatte darin aber ein Vorwort geschrieben.

Nur eine kleine Auflage

Bereits am 9. Mai hatte sich der Ausschuss Frauen und Gleichstellung des Bezirkes Steglitz-Zehlendorf im Rathaus Zehlendorf getroffen. Die Frauenbeauftragte Hildegard Josten stellte dort eine Broschüre vor, die starke Steglitzer- und Zehlendorferinnen würdigen soll. Die Auflage ist mit 100 Stück sehr klein, auf der Internetseite des Bezirks gibt es sie aber auch digital aufzurufen.

„Als wir die Broschüre bekamen und darin Hilde Benjamin entdeckten, waren wir ziemlich irritiert“, sagt Kay Ehrhardt, der Fraktionsvorsitzender der FDP im Bezirk. „Es ist natürlich wichtig, dass Frauen geehrt werden, aber doch nicht jemand wie Frau Benjamin“, erklärt er.

Diese Ansicht teilte man in der Ausschusssitzung. Gemeinsam einigten sich die Fraktionen darauf, die Broschüre vorerst nicht weiter zu vertreiben und aus dem Internet zu entfernen.

Das bestätigt auch Hubertus Knabe, Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. „Als wir ein Exemplar der Broschüre bei Frau Josten angefragt hatten, wurde sie uns nicht herausgegeben. Es hieß, der Senat habe der Veröffentlichung nicht zugestimmt“. Von der Webseite verschwand die elektronische Form der Broschüre laut Ehrhardt allerdings nicht auf Anfrage des Senats, sondern des Frauenausschusses – und zwar am Freitag vergangener Woche.

Die Senatsverwaltung für Kultur und Europa wusste bis zum Montag nichts von der Broschüre, wie die stellvertretende Sprecherin Anja Scholtyssek der taz mitteilte: „Wir als Senatsverwaltung sind für diese Broschüre auch gar nicht verantwortlich“. Aber wer dann?

Doris Habermann, YOPIC e.V.

„Unserer Meinung nach sind Menschen auch für ihre positiven Eigenschaften zu würdigen.“

Laut Impressum ist die Politikwissenschaftlerin Claudia v. Gélieu für das Projekt verantwortlich. Redaktionell betreut wurde es jedoch von dem Verein YOPIC („Young People for International Cooperation e.V.“), der Doris Habermann vorsitzt. Erstellt hatten die Broschüre acht TeilnehmerInnen einer Arbeitsmaßnahme des JobCenters.

„Wir haben ihre Taten ja nicht verheimlicht“

Auf Anfrage der taz sagte die Vereinsvorsitzende Doris Habermann: „Wir stehen nach wie vor dazu, Hilde Benjamin in dieser Broschüre genannt zu haben. Benjamin ist eine starke Frau, die sich in ihrer Zeit beispielhaft für die Gleichstellung von Frauen eingesetzt hat. Menschen sind nicht nur schwarz und weiß. Wir haben ihre Taten ja nicht verheimlicht. Wir wollten ihre wichtige Arbeit für die Gleichberechtigung deshalb aber nicht vernachlässigen“.

Auf die Frage, ob die Würdigung einer Frau, die Todesurteile gesprochen habe, nicht Grenzen überschreite, sagte Habermann: „Manche mögen das so sehen, aber das ist dann eine subjektive Einschätzung. Unserer Meinung nach sind Menschen auch für ihre positiven Eigenschaften zu würdigen. Benjamins Einsatz für die Gleichberechtigung zählt für uns dazu“.

Die Einstellung der Broschüre durch die BVV wollte Habermann nicht kommentieren. Das Logo des Bezirkes, das YOPIC ohne dessen Einwilligung auf die Broschüre gesetzt hatte, dafür schon. „Das war ein Fehler“, sagt Habermann.

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